Aus den Feuilletons

Was bleibt vom Jahr 2017?

Was bleibt vom alten Jahr?
Was bleibt vom alten Jahr? © Unsplash/ freestocks
Von Klaus Pokatzky · 30.12.2017
Das Jahresende ist auch in den Feuilletons naturgemäß die Zeit für einen Rückblick. Die Debatte um Sexismus ist darin ein prominentes Beispiel. Der "Tagesspiegel" findet, dass die Täter jahrzehntelang unbehelligt blieben, sei das besonders Perverse an den Sexismus-Fällen.
"Soll ich jetzt, oder soll ich nicht?", fragte die Wochenzeitung DIE ZEIT. Ich auf jeden Fall soll jetzt hier. "Wann ist der richtige Zeitpunkt für etwas?", gab uns Jens Jessen das nächste Rätsel auf. Die Antwort ist klar - denn:
"Traditionell gilt Silvester nicht nur als der Tag, an dem sich ein Hang zur öffentlichen Ruhestörung ungestraft ausleben darf, sondern auch als ein Tag, der nahelegt, lang aufgeschobene Entschlüsse zu treffen, Geständnisse zu machen oder Erwartungen zu formulieren."
Traditionell gilt das Jahresende als die Zeit, wo die Feuilletons zurückblicken. "Warum 2017 ein Rekordjahr für Wolkenkratzer ist", erklärte uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am Beispiel Chinas. "Immer mehr denken wir in Klischees und Vorurteilen", führte uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG da wieder ins Erdgeschoß zurück und brachte Beispiele.
Nehmen wir nur die Schotten. "Stellt euch hintereinander, damit ich euch mit einer Kugel erschießen kann - so spricht der Schotte, wenn er seine Frau mit ihrem Liebhaber ertappt." Den Witz erzählte Hannes Hintermeier und gab dann seine Liebeserklärung für Dudelsack und Whisky ab. "Fährt einer heutzutage nach Schottland, trifft er keineswegs auf Geizhälse, sondern auf eine offene Gesellschaft, die auf steigende Touristenzahlen mit ausgesprochener Freundlichkeit reagiert."

"Ein Mann ist mehr als nur ein Bräutigam"

Traditionell gilt das Jahresende als die Zeit, wo die Feuilletons in die Zukunft schauen. Die SÜDDEUTSCHE präsentierte "Ideen, die uns bleiben": Die Männer zum Beispiel. "Wer keine Frau ist, ist ein Mann. So war es bisher. So ist es nicht mehr. Wer keine Frau ist, muss kein Mann sein, sondern ist womöglich intersexuell, richterlich anerkannt, ein drittes Geschlecht." Das haben wir ja unseren Verfassungsrichtern zu verdanken; es gab doch richtig Schönes 2017, das fand auch die SÜDDEUTSCHE: "Fassen Sie Mut, meine Herren! Drei Geschlechter sind besser als keines. Ein Mann ist mehr als nur Bräutigam. Männer werden auch im nächsten Jahr wichtige Aufgaben erfüllen." Aber in Maßen bitte.
"Nach 2017 ist sexualisierte Macht- und Gewaltausübung kein Schattengewächs mehr", brachte uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE in "das Thema des Jahres" - mit dem Filmproduzenten Harvey Weinstein und all den anderen Grabschern. "Es handelt sich nicht um einen Webfehler in der Ordnung der Unterhaltungsindustrie", meinte Verena Lueken.
"Es handelt sich um ein Strukturproblem in der Organisation des gesamten öffentlichen und auch des Wirtschaftslebens der Vereinigten Staaten und darüber hinaus. In Schweden zum Beispiel haben sich weit mehr als tausend Frauen über sexuelle Übergriffe in der Musikindustrie beklagt."
Der Berliner TAGESSPIEGEL erinnerte an das besonders Perverse an den Sexismus-Fällen. "Viele Täter sind alte Männer, ihre Verbrechen liegen teils Jahrzehnte zurück", schrieb Christiane Peitz. "Das Schweigen über die Straftaten währte bis jetzt. Das ist der Kern des aktuellen Skandals: Dass die Täter bis in die Gegenwart unbehelligt blieben, dass sie Komplizen haben."

Ein Gentleman verletzt nie die Gefühle anderer

Und was lernen wir daraus? "Wie geht es den Männern? Und wie geht es allen anderen mit den Männern?", fragt da die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG und widmet dem Thema fast ihr gesamtes Silvesterfeuilleton. "Vorläufig", antwortet Harald Staun, "würde es vielleicht schon reichen, sich daran zu erinnern, dass Eigenschaften wie Zurückhaltung, Höflichkeit, Sanftheit schon einmal als Inbegriff der Männlichkeit galten, lange bevor der Begriff Gender seine Karriere begann: Ein Gentleman, so jedenfalls stellte es sich die britische Aristokratie vor, wird nicht einfach, wer den Handkuss perfekt beherrscht. 'Ein Gentleman‘, so lautet die hübsche Definition, die man gelegentlich dem Dichter Oscar Wilde zuordnet, 'ist jemand, der nie die Gefühle eines anderen unabsichtlich verletzt‘." Am besten verletzt er die Gefühle eines anderen weder mit Absicht, noch unabsichtlich.
"Die Geschichte geht weiter", machte uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG Mut für 2018. "Die Geschichte wird von keinem Engel begleitet, weder einem wachenden noch einem verzweifelnden. Die Menschen, die gegensätzliche Interessen und Motive haben, müssen sie selber machen, in Kampf und Kompromiss", schrieb Urs Hafner. Da kann manchmal die innere Einkehr helfen. "Als Jugendlicher habe ich die Stille mehr gesucht als heute", lasen wir in CHRIST UND WELT. "Damals habe ich mich mit 15 Freunden zum Schweigen in der Eifel verabredet", sagte im Interview der Katholik Armin Laschet. "Wir haben von Freitag bis Sonntag geschwiegen. Das würde ich heute nicht mehr schaffen." Ist auch etwas schwierig, wenn man Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist - und deshalb kommt der CDU-Politiker Armin Laschet heute am besten im Gottesdienst zur Ruhe: "Dort fällt Anspannung von mir ab. Es ist eine ungewöhnliche Stunde. Ich telefoniere da nicht, twittere nicht, schaue nicht auf das Handy." Wäre auch nicht so gentlemanlike für einen Gottesdienstbesucher.
"Übrigens, ich höre zum Jahresende auf." So zitierte die FRANKFURTER ALLGEMEINE Horst Kugler. Der hat Jahrzehnte in einem Laden im Museum für Angewandte Kunst in Köln "Schmuck, Uhren, Schals, Taschen, Büchern und Accessoires" verkauft, wie uns Andreas Rossmann mitteilte. Endlich würdigte das Feuilleton da mal einen der ganz und gar unbekannten Basisarbeiter des Kulturbetriebes. Nicht ohne feinen Hintersinn. "Andreas Rossmann", teilte uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE am Samstag mit, "tritt am morgigen Sonntag nach 31 Jahren als Kulturkorrespondent dieser Zeitung in Nordrhein-Westfalen in den Ruhestand".
Schade. Übrigens: Ich höre zum Jahresende nicht auf. Guten Rutsch!
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