Aus den Feuilletons

"Muss die Kunst für die Künstler büßen?"

Ein Porträt des Regisseurs Dieter Wedel
Muss sich schwerer Anschuldigungen erwehren: Dieter Wedel © picture alliance / dpa / Swen Pförtner
Von Ulrike Timm · 31.01.2018
Die Feuilletons von "Zeit", "Tagesspiegel" und "FAZ" fragen sich, ob es okay sei, Kunstwerke, Filme oder Bücher von mutmaßlichen Vergewaltigern zu mögen. Wenn man über Dieter Wedel rede, sei man schnell auch bei zahlreichen Frauenquälern, Mördern oder Pädophilen der Kunstgeschichte, schreibt die "Zeit".
Darf man guten Gewissen Filme sehen, Bilder schauen und Bücher lesen von Künstlern, die menschlich veritable Arschlöcher, womöglich sogar von Vergewaltiger und regelrechte Verbrecher waren oder sind?
Das fragt sich und uns die ZEIT, die doch als erste die Frauen zu Wort kommen ließ, die Regisseur Dieter Wedel der Demütigung, des Missbrauchs, der Gewalt beschuldigen.

Darf man - oder darf man nicht?

Hanno Rautenberg schaut skeptisch auf Boykottaufrufe – nie wieder Dieter Wedels Filme gucken, Kevin Spacey aus dem Film geschnitten, Chuck Closes Ausstellung abgesagt: "Ob da wirklich was war, muss sich erst erweisen, hoffentlich vor Gericht. Womöglich geschieht es allen diesen Männern ganz recht. Womöglich sind sie schuldig geworden und haben ihre Macht missbraucht. Allerdings, auch wenn es so war, bleibt die Frage, warum Kunst jetzt für das attackiert wird, was man Künstlern zur Last legt."
"Muss die Kunst für die Künstler büßen?" fragt denn auch die ZEIT und veranschaulicht, wie wenig gerichtsfest berühmte Künstler in der Vergangenheit agierten, der Mörder Caravaggio, der Frauenquäler Picasso, oder Lewis Carroll, der immer wieder nackten Mädchen mit der Kamera auf den Leib rückte und als Autor von Alice im Wunderland gefeiert wird - ein eher kleines Licht dagegen der Dauerbetrüger und Dieb Karl May… Heute aber scheint es, als müsse das "Schadstoffhaltige der Künstlerexistenz herausgefiltert werden. Es gilt das Prinzip Verbraucherschutz."
Es läuft auf Parallelität hinaus, meint der TAGESSPIEGEL, Wedels "Schattenmann" ansehen heißt, den Schattenmann Wedel mitdenken, meint Joachim Huber, und: "Das ist leistbar, und das ist auch zumutbar."

Lovis Corinth und der nackte Junge

Ähnlich sieht es Philipp Demandt, der Direktor der Frankfurter Schirn – er hat einmal ein Bild von Lovis Corinth offensiv in die Schausammlung gehängt, als eine Besucherin den nackten kleinen Jungen drauf monierte und den Künstler einen Pädophilen schalt. Demandt sagt gegenüber der FAZ: "Die Wirkung eines Kunstwerks liegt nicht zuletzt im Auge des Betrachters. Und sie ist abhängig von den Zeitumständen. Jeder Mensch hat das Recht, ein Kunstwerk zu mögen oder aber abzulehnen. Aber über allem steht das Recht, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und das kann der Betrachter nicht, wenn man ihm ein Kunstwerk vorenthält."
"Nähe ist ein ferner Ort", lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG – könnte eine nächste, ziemlich pseudo-philosophisch verquirlte Sentenz zum Thema dieser Tage sein, oder? Allein - Lothar Müller schreibt seinen Mini-Essay in einer Reihe der SÜDDEUTSCHEN, die da fragt: "Was ist Heimat?" Und der Mann legt sich ins Zeug, will die sozialutopische Dimension des Heimatbegriffs darlegen, fängt bei den alten Römern an, strebt in Siebenmeilenstiefeln ins 18. Jahrhundert, streift die großen Aus- und Einwanderbewegungen, den Nationalstaat und den Marxismus und gelangt, tatsächlich, bis ins Himmelreich. Alles auf drei Spalten, Chapeau! Gerät aber doch reichlich verschwurbelt, und die Kohlekumpel auf dem Foto, die "Zum Lichte empor, verdüstert" davonstreben, sie sehen, pardon, recht ratlos aus.

Die Kirche kann warten

Die WELT vermeldet eine kleine innerkirchlichen Revolte, oder doch wenigstens einen "Schritt mit Signalwirkung": Stefan Oster, Bischof von Passau, will in Zukunft Jugendliche erst mit 16 Jahren zur Firmung zulassen. Eigentlich ist dieses kirchliche Sakrament bereits mit 12 – 14 Jahren üblich, denn es gilt: "Je länger die Kirche wartet, desto größer das Risiko, dass ihnen noch mehr Jugendliche schon vor der Firmung von der Fahne gehen".
Und nun setzt Bischof Oster – zugleich Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz – auf mehr Geduld, mehr Bedacht und auf mehr Reife bei den Jugendlichen, das könnte quantitativ ins Auge gehen, und das riskiert der Mann. Respekt. Da erklären wir doch glatt die Titelzeile des Artikels in der WELT zu unserem Wort zum Donnerstag:
"Jesu Jünger sollen künftig älter sein".
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