Angriffe auf die Gender Studies

Den Feinden der Gleichberechtigung entgegentreten!

Frauen demonstrieren mit Schildern wie "Wahlrecht für Frauen" auf der Straße.
Vor 100 Jahren wurde das Frauenwahlrecht nach langen Auseinandersetzungen durchgesetzt. Heute ist die Frauenbewegung wieder unter Beschuss. © imago stock&people
Ein Aufruf von Sabine Hark · 05.11.2018
Ungarn streicht die Gender Studies aus den Universitäten. Das ist nicht hinzunehmen, sagt Soziologin Sabine Hark: Solche Angriffe sind Bestandteil einer Ideologie, die es grundsätzlich auf Demokratie und Gleichberechtigung abgesehen hat.
Dass demokratische Rechte und Institutionen erkämpft werden müssen und niemals als für selbstverständlich gegeben verstanden werden dürfen, sie also grundsätzlich fragil sind, daran gilt es auch heute, angesichts der weltweiten Angriffe auf diese Rechte, zu erinnern. Im Zentrum dieser Angriffe stehen gegenwärtig in Ungarn wie in den USA, in Russland wie in Brasilien, in Polen wie in Deutschland oder der Türkei Angriffe auf ein eher kleines Studienfach: die Gender Studies.
Erst vor wenigen Tagen strich die Regierung Victor Orbáns diese von der Liste der an ungarischen Universitäten zugelassenen Studiengänge. Die Geschlechterforschung würde gegen den gesunden Menschenverstand verstoßen, der Männer und Frauen nur als biologische Gegebenheiten kenne, und überdies die Fundamente der christlichen Familie und somit der ungarischen Gesellschaft selbst untergraben, so der Stabschef der ungarischen Regierung, Gergely Gulyas.

Neoreaktionärer Kampf gegen die Demokratie

Mitnichten ist dieses Dekret eine der vielen Irrungen der Orbánschen Regierung, über die die Geschichte hinweg gehen wird. Hier sollte es kein Vertun geben. Denn die Verbannung der Gender Studies aus den ungarischen Universitäten ist nicht nur ein Angriff auf die verfassungsrechtlich geschützte Freiheit von Forschung und Lehre, sie ist auch Teil der neoreaktionären Landnahme der Demokratie und des weltweiten Kampfes gegen die Gleichheit der Rechte, gegen geschlechtliche Selbstbestimmung sowie sexuelle und reproduktive Freiheit; demokratische Errungenschaften für die Frauen seit der Französischen Revolution kämpfen und ihr Leben gelassen haben.
Es ist einer der vielen Pfeile, mit denen die autoritäre Reaktion auf das Herz der Demokratie selbst zielt – Teil einer Politik, die der US-amerikanische Philosoph Jason Stanley in seinem vor wenigen Wochen erschienenen Buch "How Fascism Works" als faschistische Politik gekennzeichnet hat. Diese könnten wir unter anderem daran erkennen, dass sie alles daran setzt, den öffentlichen Diskurs zu untergraben, indem sie Bildung, Wissenschaft und Sprache angreift und abwertet und an den Universitäten Professor_innen als zu politisch denunziert und ganze Fachrichtungen, wie etwa die Gender Studies diskreditiert.

Politiken der Feindschaft

Dieser transnationalen Allianz im Geiste, die von Wladimir Putin in Russland und Victor Orbán in Ungarn über Beatrix von Storch in Deutschland, Marine Le Pen in Frankreich und Geert Wilders in den Niederlanden bis zu Jair Bolsonaro in Brasilien reicht, und die sich dem Kampf gegen die von ihr selbst erfundene "Gender-Ideologie" verschrieben hat, geht es dabei nur vorgeblich um das Wohlergehen der Kinder und Familien, um die Verteidigung der konservativ-bürgerlichen Lebensweise gegen Gender, Feminismus und Politische Korrektheit.
Denn das Amalgam aus Modernisierungskritik, Infragestellung der Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten, Skandalisierung von Migration, zunehmend antisemitisch aufgeladener Globalisierungskritik, Islamfeindlichkeit und nicht zuletzt die Diffamierung der Geschlechterforschung bildet vor allem die bis weit ins bürgerliche Spektrum hinein anschlussfähige Plattform zur Mobilisierung von Politiken der Feindschaft. Und deren Ziel ist das Ende der Demokratie, wie wir sie kannten.

Der Kampf um die Freiheit

100 Jahre nachdem Frauen der Idee der Gleichheit der Rechte mehr Wirklichkeit gaben, werden die Stimmen der Feinde der Demokratie tagtäglich lauter. Sie sprechen nicht die Sprache des Dialogs und der Gewaltfreiheit, die Sprache der Demokratie und des Gesprächs zwischen Verschiedenen, die doch füreinander Gleiche sind.
Es ist Zeit, ihnen entgegen zu treten. Denn Freiheit ist, woran Coretta Scott King uns erinnerte, von jeder Generation aufs Neue zu erringen.

Sabine Hark, Soziologin, ist seit 2009 Professorin für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Berlin und Leiterin des Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU. Sie ist Gründungsmitglied der Fachgesellschaft Geschlechterstudien, Gender e.V. und war von 2010-2014 deren Erste Vorsitzende. Derzeit ist sie Erste Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen (afg), Vorsitzende der Landesauswahlkommission des Berliner Chancengleichheitsprogramms (BCP) und Mitherausgeberin der Zeitschrift feministische studien. Im Jahr 2015 war sie Mitinitiatorin des Aktionsbündnisses für eine offene, demokratische Einwanderungsgesellschaft, WIR MACHEN DAS (wearedoingit e.V.).

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