Sabine Hark und Paula-Irene Villa
Unterscheiden und herrschen. Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart
transcript 2017, 176 Seiten
Ausgrenzend, elitär, realitätsfern?
Die Diskussion um die Geschlechterforschung hat sich in den letzten Monaten erhitzt - Kritik kommt von allen Seiten. Oft sind dabei Missverständnisse im Spiel. Sabine Hark klärt im Gespräch auf: Was sind und was wollen Gender Studies?
Die Gender Studies stehen unter Beschuss: Von rechter Seite will man sie abschaffen, Liberale wiederum werfen ihnen vor, für den Aufstieg der Rechtspopulisten mitverantwortlich zu sein. Die Geschlechterforscherin und Soziologin Sabine Hark sieht einen Grund für die zunehmenden Attacken darin, dass Fragen der Gender Studies nach der Rolle von Geschlecht für die Gesellschaftsordnung und die persönliche Identität "vermeintlich sehr nah dran sind an dem wie die Menschen ihr Leben leben und worüber sie denken, Bescheid zu wissen": Deshalb fiele es den Rechten leicht, sie als bevormundende und "abgehobene Ideologie" darzustellen.
Den Grund für die Kritik von eher liberalen Intellektuellen, wie dem amerikanischen Ideengeschichtler Mark Lilla – den Hark allerdings eher als Konservativen einstuft – sieht sie darin, dass ein "vermeintlich universales Wir" durch emanzipatorische Bewegungen in Frage gestellt worden sei und nun versucht werde, es zu restituieren. Dagegen betont Hark: "In Tat und Wahrheit ist dieses ‚Wir‘ natürlich schon immer eine Fiktion gewesen und meinte seit den bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts eben wesentlich die weißen Männer – und um deren ‚Wir‘ geht es jetzt." Während Trump ganz offen dieses weiße, männliche Wir restituieren wolle, wollten Liberale zurück zu einem "unbefleckten", allgemeinen Wir, das es so aber nie gegeben habe.
Geschlecht als zentrale Kategorie
Aber was genau machen eigentlich, was sind die Gender Studies? Hark beschreibt sie als ein "multidisziplinär zusammengesetztes Feld, in dem es im Kern darum geht, zu fragen, in welchen Hinsichten Geschlecht eine Kategorie ist, mit der wir die Welt, die Gesellschaft ordnen." Hark selbst arbeitet vor allem soziologisch und erforscht, "in welchen Arbeitsfeldern sind Männer und Frauen mehrheitlich unterwegs, was bedeutet das für die Lebenschancen von Frauen und Männern, in welcher Weise wird Geschlecht eingesetzt, um das Leben von Männern und Frauen zu organisieren."
Die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen sei zentral in unserer Gesellschaft – eine geradezu "allmächtige Kategorie der Selbstdeutung in unserer Welt". Diese Zuordnung beeinflusse unser Selbstverständnis und unsere gesellschaftliche Wahrnehmung, habe aber auch politische und ökonomische Auswirkungen. Als Beispiel verweist Hark auf den gesunkenen Frauenanteil im neuen Bundestag.
Welche Auswirkungen haben Hormone?
Im Unterschied zu Simone de Beauvoir, die noch von einem "biologischen" und einem "sozial konstruierten" Geschlecht ausgegangen war, sei die neuere Gender-Forschung – die gerade auch von Biologinnen betrieben werde – der Ansicht, "dass Geschlecht, im Sinne des Biologischen, nicht an sich bedeutet, sondern immer schon vermittelt ist durch das Wissen, das wir über diese Biologie haben."
Keineswegs gehe es darum "zu negieren, dass es biologische Unterschiede gibt", sondern zu hinterfragen, "was wir darüber wissen" und wie dieses Wissen Identitäten und Lebenschancen beeinflusse. "Solange wir in der Biologie kein Verständnis von Hormonen hatten, konnten wir kein hormonales Geschlecht identifizieren." Bis heute sei nicht sicher, "welche Auswirkungen tatsächlich die Hormone, die wir als männliche oder weibliche bezeichnen, auf das Selbstverständnis, auf das Wohlbefinden von Frauen und Männern, auf ihre Leistungsfähigkeit haben."
Kulturelle statt "instinktive" Erfahrung
Auf die Frage, ob die Fortpflanzung nicht doch eine klare Einteilung der Geschlechter in Mann und Frau legitimiere, wendet Hark ein, nicht alle Frauen etwa pflanzten sich fort. In Afrika gebe es Kulturen, in denen zwischen gebärenden und nicht-gebärenden Frauen unterschieden werde, wobei letztere "vom sozialen und kulturellen Status" mit "unseren Männern" vergleichbar wären. Zudem erlebten nicht alle gebärenden Frauen Schwangerschaft und Mutterschaft in derselben Weise. Auch Erfahrung sei immer durch die Kultur, in der wir leben, vermittelt.
Angesichts einer Vielfalt unterschiedlicher Erfahrungen könne man nicht sagen, das alles komme "ganz genuin aus dem Körper, aus den Fortpflanzungsorganen". Zu Recht wollten sich weder Frauen und Männer darauf reduzieren lassen, "Schwanzträger oder Gebärmutterträger zu sein". Unsere organische Ausstattung sei zwar ein Teil unserer Erfahrung, aber immer eingebettet in ein kulturelles Umfeld und nicht dieser vorgängig oder "außerhalb" dieser zu verstehen. Von einer rein "instinkthaften Erfahrung" lasse sich deshalb nur schwerlich sprechen.
Geschlechtliche Selbstbestimmung
Es gehe gar nicht um eine Leugnung der identitätsstiftenden Kraft von Geschlechtern, allerdings sei zu fragen: "Die Tatsache, dass ich in einem biologisch weiblich klassifizierten Körper stecke, dass ich juristisch eine weibliche Person bin, wieviel sagt das darüber aus, wie ich mich selbst verstehe?" In der Moderne legten wir ansonsten sehr viel Wert darauf, "dass wir aufgeklärte, vernunftbegabte, autonome Individuen sind", die selbst über ihre Identität entscheiden. Gleiches könne auch für unser geschlechtliches Selbstverständnis gelten.
Noch vor hundert Jahren wäre ihr eine akademische Karriere mit "biologisch weiblicher" Klassifizierung verwehrt gewesen, weil die Wissenschaft den Standpunkt vertrat, Frauen hätten "nicht die richtigen Gehirne zum Studium, wenn Frauen studieren, verkümmern die Fortpflanzungsorgane". Vor diesem Hintergrund gehe es darum, die "Verknüpfung, die wir zwischen dem Biologischen, dem Juristischen, dem Sozialen, dem Kulturellen und dem Individuellen herstellen, immer wieder auch in Frage zu stellen und den Freiheitsspielraum zu erweitern."
Feministische Kritik an den Gender Studies
Allerdings, so wendet die Moderatorin ein, werde gerade diesem Freiheitsversprechen von kritischen Stimmen immer wieder entgegengehalten, die Geschlechterforschung selbst habe ein zutiefst normatives Verständnis von guten und schlechten Geschlechterrollen, was gerade in den geforderten Bezeichnungspraktiken zutage trete. Ein Beispiel für diese Kritik ist der jüngst erschienene Sammelband "Beißreflexe", herausgegeben von Patsy l’Amour laLove, der den Gender Studies "Sprechverbote" attestiert und ihnen eine penible Überwachung von Körperpraktiken vorwirft.
Sabine Hark räumt demgegenüber ein, dass es "in allen emanzipatorischen Bewegungen immer auch dogmatische Elemente gibt", wundert sich aber dennoch über eine solch harsche Kritik aus dem "eigenen Spektrum", "weil es ja zunächst in diesen Bestrebungen darum geht, Freiheitsspielräume auszuloten" und danach zu fragen, wie "jene Existenzen, die bisher nicht sprechbar waren, in die Sprechbarkeit geholt werden können". Dass dieses Bestreben abgelehnt werde, könne sie nur schwer verstehen. In den Angriffen auf die Gender Studies (gerade auch von rechter Seite) sieht sie, den kamerunischen Philosophen Achille Mbembe zitierend, einen Versuch der "Macht", die Stimmen der Marginalisierten "wieder zum Schweigen zu bringen".
Besonders prominent wurde Kritik "aus den eigenen Reihen" von "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer geäußert: Anlässlich Harks neuen Buches – in dem es unter anderem um die Kölner Silvesternacht geht – warf sie dieser vor, für kulturspezifischen Sexismus und Frauenhass blind zu sein. Hark merkt zunächst an, dass diese Auseinandersetzung schon seit langem geführt würde und nach den Vorfällen in Köln ("und was daraus gemacht worden ist") bloß wieder stärker in den Vordergrund gerückt sei.
Verflechtungen von Sexismus, Rassismus und Kultur
Schon seit zwanzig Jahren hätten insbesondere schwarze Feministinnen die Position, wie sie Alice Schwarzer vertritt, immer wieder dafür kritisiert, dass sie in ihrer "ausschließlichen Fokussierung" auf Frauenunterdrückung unzulässig verallgemeinere: "Per se sind Männer immer die Unterdrücker, per se sind Frauen immer auf der Opferseite", spitzt Hark ihre Sicht dieser Position zu. In den letzten Jahren habe der Schwarzer-Feminismus vor allem Muslime und nicht-westliche Kulturen als "Inbegriff von sexistischer Unterdrückung" in den Vordergrund gerückt.
Der Vorwurf, die "vermeintlich andere Seite" der Geschlechterforschung ignoriere diese Fragen, sei falsch: Im Gegenteil, sagt Hark, "wir versuchen sehr wohl, in einem sogenannten intersektionalen Denken, die Verflechtungen von Sexismus, Rassismus und kulturellen Eigenarten stärker in den Blick zu nehmen und nicht zu sagen: Alle Muslime sind rückständig, patriarchalisch, frauenfeindlich."
Hark wehrt sich auch gegen den Vorwurf, ‚ihre Seite‘ argumentiere kulturrelativistisch: Die Gender Studies wollten nicht jegliche kulturelle Praxis in Schutz zu nehmen, sondern bemühten sich darum zu verstehen, in welchen Formen sich Frauenverachtung und sexistische Gewalt äußere und wie sie mit bestimmten kulturellen und religiösen Vorstellungen verknüpft seien. "Es geht nicht darum, Menschenrechte zu relativieren, sondern darum, zu fragen, wie wiederum auch die Menschenrechte politisch instrumentalisiert werden – beispielsweise für kulturrassistische, für kulturessentialisierende Argumentationen."
Das Leben der Anderen
Im Zentrum der Debatte steht dabei der Umgang mit dem Anderen. Die Position der Gender-Studies, beeinflusst auch durch die Arbeiten des jüdischstämmigen Philosophen Emmanuel Levinas, tendiere dazu, den Anderen zu einem unantastbaren Heiligen zu überhöhen, gibt die Moderatorin zu bedenken. Müsse diese Anerkennung bei Menschenrechtsverletzungen nicht aufhören? Sabine Hark stimmt insofern zu, als man genau diese Anerkennung eben auch vom Anderen erwarten könne: "Der Andere ist nicht aus der Verantwortung genommen. Aber dennoch würde ich sagen, wir brauchen eine Ethik, die daran orientiert ist, dass wir auch mit denjenigen koexistieren, die wir nicht kennen und nicht als zu uns gehörig empfinden."