Zypern und das Gas

Der Zank um den Zündstoff

22:01 Minuten
Das türkische Bohrschiff Yavuz
Das türkische Bohrschiff "Yavuz" geht auf die Suche nach Gas vor Zypern. © imago images / Xinhua
Von Michael Frantzen · 02.12.2019
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Im östlichen Mittelmeer werden große Erdgasreserven vermutet. Beide Teile Zyperns - griechisch wie türkisch - fühlen sich zuständig. Die EU will die Türkei mit Sanktionen dazu bringen, die Erdgassuche einzustellen. Aber die denkt nicht daran.
Die Atmosphäre: Sie ist feierlich im Energie-Ministerium von Nikosia, der zyprischen Hauptstadt. Hausherr Georgis Lakkotrypis schaut vom Rednerpult zufrieden in die Runde. Der US-Botschafter ist da, der UN-Hochkommissar auch. Alles wegen "Aphrodite." Nach der hellenischen Liebesgöttin haben die Zyprer das 4,1 Billionen Kubikmeter große Gasfeld vor ihrer Südküste genannt.

Die Gasförderung startet 2025

Energieminister Lakkotrypis ist sich sicher: Aphrodite wird ihm und seinen gut 850.000 Landsleuten Wohlstand bringen.
"Die Vertragsunterzeichnung heute ist sehr wichtig für uns. Es ist das erste Mal, dass die Republik Zypern eine Förderlizenz vergibt. Spätestens 2025 kann das Gas gefördert werden. Das ist für uns ein Meilenstein. Aber noch wichtiger ist, dass Noble Energy, unser US-Partner, und die zwei anderen ausländischen Energieunternehmen zeigen, wie entschlossen sie sind, unser Gas zu fördern."
Zwei Herren in Anzug und Krawatte sitzen an einem Konferenztisch und unterzeichnen Dokumente.
Das Gasfeld soll den Zyprern Wohlstand bringen: Der Energieminister der Republik Zypern Georgis Lakkotrypis (re.) bei der Vertragsunterzeichnung.© Michael Frantzen
Der Minister erst im Kreis der Botschafter, dann beim Briefing umringt von zyprischen Journalisten: Routiniert spult der 49-Jährige die Eckdaten der vermeintlichen göttlichen Erfolgsgeschichte herunter. Geplante Einnahmen für den Staat: Mehr als acht Milliarden Euro. Grundlage dafür: Ein geschätzter Ölpreis von 62 Euro pro Barrel. Zypern: Kein Steuerparadies mehr für Schwarzgeld. Sondern: Bald schon Drehkreuz einer neuen EU-Energie-Strategie im östlichen Mittelmeer: So sieht das der Konservative. Die Sache hat nur einen Haken: Sie könnte nicht aufgehen. Schon jetzt gibt es weltweit Gas in Überfluss, geben Experten zu Bedenken, der geschätzte Preis pro Barrel von 62 Euro sei viel zu optimistisch. Und dann ist da noch die andere Seite.

Auch Nordzypern will etwas vom "Gas-Kuchen"

Die Gesichtszüge des Ministers verfinstern sich. Das Thema. Die andere Seite: Das ist der türkische Nordteil der seit 1974 durch Stacheldraht getrennten Insel. Samt Schutzmacht Türkei. Auch die "Türkische Republik Nordzypern" will etwas abhaben vom "Gas-Kuchen". Schon seit längerem sucht deshalb das türkische Forschungsschiff "Fatih" in zyprischen Gewässern nach Gas. Fatih bedeutet "Eroberer" auf Türkisch. Als martialisch erweist sich zuweilen auch das Verhalten der türkischen Marine: Letztes Jahr hinderte sie ein Bohrschiff des italienischen Energie-Unternehmens ENI daran, ein Gasfeld südlich von Zypern anzusteuern.
"Schauen Sie: Wir wissen doch alle, dass die Türkei eine Eskalationspolitik betreibt. Doch wir lassen uns durch diese Störmanöver nicht von unserem Kurs abbringen. Geschweige denn einschüchtern. Wir werden die Gasfelder ausbeuten. Exklusiv. Die Vertragsunterzeichnung heute ist ein wichtiger Schritt dabei. Ungeachtet der türkischen Aggression hält die Republik Zypern an ihren Plänen fest."
Nord-Zyperns Außenminister Kudret Özersay redet erst gar nicht lange um den heißen Brei herum. Dass sein Gegenspieler Lakkotrypis sich hinstellt und sagt, nur die Republik Zypern habe Anspruch auf das Gas: Früher oder später könne das zu einem echten Konflikt führen.
"Wenn sie auf einem Grundstück ein Haus bauen wollen und es gibt mehr als einen Besitzer: Dann ist es doch selbstverständlich, dass sie auch die anderen Besitzer um Erlaubnis bitten. Genauso ist es beim Gas. Es gehört beiden Volksgruppen: Den türkischen Zyprern und den griechischen. Wie kann es da sein, dass einige Unternehmen nur die Erlaubnis EINER Seite einholen?"
Ein Mann mit Halbglatze gekleidet in Anzug und Krawatte steht in seinem Büro vor dem Schreibtisch, hinter ihm hängt eine gerahmte Fotografie von Atatürk.
"Das Gas gehört beiden Volksgruppen", sagt Kudret Özersay, Außenminister der "Türkischen Republik Nordzypern".© Michael Frantzen
Nikosia, der Nord-Teil der geteilten Hauptstadt. Draußen lässt die sengende Mittagshitze vergessen, dass kalendarisch schon Winter ist. Drinnen, im Amtszimmer des Mannes, den nur die Türkei als Außenminister anerkennt, herrscht eher frostiges Klima – nicht nur wegen der leise vor sich hin säuselnden Klimaanlage. Özersay geht zum Sideboard neben dem Porträt Atatürks, des Gründers der Türkei. Der Glasklotz: Darauf kommt es dem gelernten Juristen an. Er entpuppt sich bei näherem Hinsehen als: Miniatur-Erkundungsboot – und ist ein Geschenk des türkischen Energie-Unternehmens TPAO.
"Die andere Seite unterzeichnet einen Vertrag zur Gasförderung mit Unternehmen: Dann unterzeichnen auch wir einen Vertrag mit einem Unternehmen. Die andere Seite macht Probebohrungen? Bitte schön, dann tun wir das auch. Sie fördert Gas, dann fangen wir auch damit an."

Die Gasfunde bergen politischen Sprengstoff

Auge um Auge, Zahn um Zahn: Die Gasfunde bergen politischen Sprengstoff. Daran hat auch das von der UNO vermittelte Treffen der beiden Präsidenten – des griechischen Zyprers Nicos Anastasiades und seines türkisch-zyprischen Gegenübers Mustafa Akinci – in Berlin Ende November nichts geändert. Es verlief wie so viele Gesprächsrunden zuvor: Mehr oder weniger ergebnislos.
An seiner Seite, regt sich Özersay auf, habe es nicht gelegen. Man sei gesprächsbereit. Ein ums andere Mal hätten er und Akinci der anderen Seite angeboten, den Gasschatz gemeinsam zu heben. Auf eine Antwort warte er heute noch. Und die EU? Als Vermittler? Schließlich ist die Republik Zypern, anders als Nord-Zypern, EU-Mitglied. Özersays Augen werden zu zwei kleinen Schlitzen. Natürlich weiß auch der Mann mit der Halbglatze, dass die EU-Außenminister beschlossen haben Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen – wegen der ihrer Meinung illegalen türkischen Bohrungen vor der Küste Zyperns.
"Stellen Sie sich vor, die EU hat gerade wieder ein Statement über die Gas-Funde im östlichen Mittelmeer gemacht – doch glauben Sie Brüssel hätte auch nur mit einer Silbe die türkischen Zyprer erwähnt. Das ist ein schlechter Witz. Wie können sie da von uns erwarten, dass wir der EU vertrauen? Brüssel sagt, es tue alles, um das Zypern-Problem zu lösen und die Insel zu vereinen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Gas-Streit zeigt doch nur: Die EU macht alles nur noch komplizierter."
Unzufrieden ist auch Özersays Landsmann Dogan Sahir. Doch weniger wegen der EU. In Nord-Zypern hat sich der Architekt einen Namen gemacht: Als Umweltschützer der ersten Stunde. Wenn es nach seiner "Grünen Aktionsgruppe" ginge, sollte das Gas da bleiben, wo es ist: unter dem Meeresgrund.
"Wir sind absolut dagegen, Gas zu fördern. Es ist doch so: Allein die Probebohrungen kosten Millionen. Unsere Regierung sollte das Geld lieber in erneuerbare Energien investieren. Grüne Energie. Doch was tun sie: Sie bohren weiter. Und hoffen, dass sie neben Gas auch noch Erdöl finden. Erdöl! Wir sollten das stoppen."
Ein älterer Mann mit Brille und grauem Haar und  eine junge Frau im weißen Jacket mit langen glatten Haaren stehen vor einer Glastür und lächeln in die Kamera.
"Wir sind absolut dagegen, Gas zu fördern." – Dogan Sahir und Feriha Tel von der nord-zyprischen "Grünen Aktionsgruppe".© Michael Frantzen
Der Kontrast zum Amtszimmer des nord-zyprischen Außenministers, in dem locker eine Fußballmannschaft Platz fände: Er könnte größer kaum sein. Untergebracht ist die Umweltgruppe in einem winzigen Büro eines halb-leerstehenden Gebäudes am Stadtrand Nord-Nikosias. Schön ist anders, dafür die Miete günstig. Sahir strafft den Rücken. Er ist hart im Nehmen. 16 Mal hat der 67-Jährige den Staat verklagt. Wegen illegaler Bautätigkeit an der Küste; irgendwelcher wilden Müllkippen. Drei Mal schmetterten die Gerichte die Klagen ab, 11 Mal gaben sie ihm Recht. Zwei Verfahren laufen noch. Eines seit den Neunzigern. Der Mann mit den drei Kugelschreibern in seiner Hemdtasche zuckt mit den Schultern. Die Mühlen Justitias: Sie mahlen langsam in Nord-Zypern. Zu langsam. Und die Regierung? Auch nicht besser.
"Die Regierung ist ziemlich engstirnig. Die denken beispielsweise bei Erneuerbarer Energie nur an Solarzellen. Dabei gibt es viel mehr Möglichkeiten, Energie zu gewinnen und einzusparen. Wir könnten endlich anfangen, unsere Häuser vernünftig zu isolieren. Erdwärme nutzen. Doch das anzupacken: Dafür reicht ihr Horizont nicht. Ich als Architekt baue grüne, energieneutrale Häuser. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, es rechnet sich auch für die Besitzer. Auf lange Sicht. Ständig versuche ich das den Behörden klar zu machen: Wir könnten beim Häuserbau viel ökologischer vorgehen. Ändert die Bebauungsvorschriften! Doch sie wollen es einfach nicht einsehen. Das einzige, worüber sie reden wollen, sind Solarzellen. Und wie teuer die sind."

"Es interessiert sie nicht die Spur"

Ihre Erfahrungen mit der nord-zyprischen Bürokratie hat auch schon Sahirs Mitstreiterin Feriha Tel gemacht. 32 ist sie – und damit eine der Jüngeren bei der NGO. Umweltschutz, meint die Frau im weißen Blazer, sei in ihrer Altersgruppe kein großes Thema. Entmutigen lässt sich die Forensikerin dadurch nicht: Ständig ist sie aktiv, organisiert Festivals, steht beim Umweltministerium auf der Matte.
"Sie reden mit dir. Doch, das schon. Noch jeder Umweltminister hat uns beigepflichtet: Ihr habt Recht, wir müssen unsere Energiepolitik ändern. Doch sie lassen ihren Worten nie Taten folgen. Es ist immer das gleiche. Auch beim Recycling. Unsere Umwelt-Organisation sammelt Dosen, um sie wiederzuverwerten. Wir haben für das Projekt ein bisschen Geld von der EU und anderen Sponsoren bekommen, doch vor einem Jahr ist das ausgelaufen. Wir dachten: Vielleicht kann ja das Umweltministerium das Recycling-Projekt übernehmen. Wir also hin. Doch was soll ich sagen: Es interessiert sie nicht die Spur."
Dass sich Feriha so sehr für die Umwelt einsetzt, ist kein Zufall, sondern familiär bedingt. Ihre Eltern haben die "Grüne Aktionsgruppe" mitgegründet.
"Ich war immer bei den Protesten dabei, das erste Mal mit drei Jahren, Anfang der 90er. Meine Eltern und die anderen wollten den Staat daran hindern, eine Konzession für ein Riesen-Hotel an der Küste von Iskele zu vergeben. Ich kann mich noch genau erinnern: Wir haben uns alle an die Hand gefasst und friedlich protestiert. Das Hotel ist trotzdem gebaut worden, aber an dem Tag war für mich klar: Wenn du mal groß bist, tust du was für die Umwelt. Ich erinnere mich wirklich, als ob es gestern gewesen wäre."
Übereinandergestapelte weiße bemalte Fässer zwischen zwei Hauswänden, die eine Grenze markieren.
Fässer an der Grenze zwischen Süd - und Nord-Nikosia.© Michael Frantzen
Von klein an für die Umwelt engagiert, hat sich auch er hier: "This is a gas mask that we use as a symbol."
Zurück in den griechisch-zyprischen Teil Nikosias, über Stacheldraht und der von der UNO bewachten Pufferzone. Und damit zu Nicolas Mouros, dem Zivildienstleistenden und seinem Protestsymbol: Seiner Gasmaske. Es ist Donnerstag-Nachmittag, kurz vor halb fünf. Rushhour. Zwei Mal die Woche stellt sich der 19-jährige Gründer von "Youth for Climate Cyprus", seiner Umweltgruppe, zusammen mit einer Handvoll junger Leute vor den Eingang des Präsidentenpalasts. Aus Protest.
"Auf meinem Spruchband steht: Ihr klaut uns unsere Zukunft. Das hat ja Greta Thunberg bei der UNO gesagt. Die Erwachsenen denken immer: Geld ist das A und O. Es bedeutet Glück. So ein Schwachsinn. Ich definiere mein Glück nicht über Geld, sondern darüber, ob ich saubere Luft und sauberes Wasser habe. Wenn wir das nicht haben: Wie sollen wir dann überleben? Sollen wir vielleicht unser Geld essen?"

Umweltgruppe als Sprachrohr junger, unzufriedener Zyprer

Hinter Nicolas liegt ein anstrengendes Jahr. Erst das Abitur, dann die Suche nach einer Zivildienststelle in einem Krankenhaus. Schließlich: Sein Entschluss, eine Umweltgruppe zu gründen: Als Sprachrohr junger, unzufriedener Zyprer. 1500 von ihnen gingen im September aus Protest gegen die Klimapolitik der Regierung auf die Straße, für Zypern ist das eine ganze Menge. Die Route führte sie vom Parlament zum Energie-Ministerium.
Der Energieminister: Nein, der habe sich nicht blicken lassen, meint Nicolas, ehe er seine Gasmaske und das Banner zur Seite stellt. Im Netz hat er sich einen Ausschnitt von der Vertragszeremonie bei der Vergabe der Gas-Lizenzen angeschaut. Wie Lakkotrypis meinte, das Gas werde dabei helfen, dass Zypern sein Ziel erreiche, bis 2030 den CO2-Ausstoß um 24 Prozent zu senken.
"Das ist ein klarer Fall von Greenwashing. Lakkotryptis sagt: Gas ist eine Übergangs-Energie?! Eine saubere?! Hallo?! Wenn er das vor 30 Jahren gesagt hätte, wäre das OK gewesen. Aber doch nicht heute. Wir stehen kurz vor dem Klimakollaps. Ja: Gas ist weniger umweltschädlich als Diesel und Erdöl. Aber ist es sauber? Ich bitte dich. Gas verursacht auch CO2-Emissionen. Methan. Deshalb: Ganz klar. Das ist Greenwashing."
Die zwei jungen Aktivisten stehen mit einem bemalten Transparent an der Straße vor einer Mauer.
"Sollen wir vielleicht unser Geld essen?" - Nicolas Mouros und Emilia Iu von "Youth for Climate Cyprus" vor dem zyprischen Präsidentenpalast in Nikosia. © Michael Frantzen
Emilia Iu sieht das ähnlich. Auch sie: Steht mit einer Gasmaske vor dem Gesicht am Kreisverkehr des Präsidentenpalasts. Auch sie ist stinksauer auf die Regierung.
"Wir haben so viel Sonne, doch der Staat lässt dieses Potenzial einfach verpuffen. Wenn es nach uns ginge, sollte jedes staatliche Gebäude Sonnenkollektoren auf dem Dach haben. Bei uns scheint die Sonne zehn Monate im Jahr. Es ist fast schon beängstigend. Unsere Sommer werden heißer und heißer. Wegen des Klimawandels. Wir sollten aus diesem Nachteil einen Vorteil machen. Und die Sonne nutzen. "
Der Teenager im schwarzen T-Shirt mit dem Logo der Rock-Band AC/DC schnappt sich ihre Gasmaske. Genug geredet. Die nächsten anderthalb Stunden wird die 16-Jährige am Straßenrand stehen – und hoffen, dass nicht wieder ein Autofahrer ausrastet.
"Ich erinnere mich noch ganz genau: Es war bei unserem Schweigemarsch im September. Wir haben alle dasselbe getragen: Weiße Kleidung. Und Tape-Band auf dem Mund mit der Aufschrift: "Helft mir!" Und da fährt diese Frau an uns vorbei. Ganz langsam. Und plötzlich fängt sie an zu schreien: 'Häh?! Was soll dieser Blödsinn! Seid ihre alle verrückt?!' Sie war wirklich super aggressiv."
"Es heben aber auch viele den Daumen, nach dem Motto: Super! Macht weiter so! Es ist teils-teils. Ich würde sagen, die negativste Reaktion auf unseren Protest kommt nicht aus der Bevölkerung, sondern von unseren Politikern. Den Machthabern."
Konstatiert Nicolas, nur um hinzufügen, letztens im Parlament hätte kein einziger Abgeordneter dagegen gestimmt internationalen Energiekonzernen Lizenzen zu geben, um das Gas vor der Küste Zyperns auszubeuten. Der junge Umweltschützer schüttelt den Kopf: Wirklich kein einziger.
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