Sportlerinnen und ihr Zyklus

Topfit vor dem Eisprung

24:05 Minuten
Fußballerinnen des FC St. Pauli bei einem Spiel
Fußballerinnen des FC St. Pauli: Der weibliche Zyklus kann die Leistungsstärke der einzelnen Sportlerin am Spieltag beeinflussen. © Imago / Beautiful Sports / Mohwinkel
Von Silvia Plahl |
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Der weibliche Zyklus spielt für die Leistung im Sport eine große Rolle. Die natürlichen Vorgänge beim Trainingsaufbau stärker zu berücksichtigen, würde sich lohnen. Doch stattdessen ist die Menstruation ein noch weit verbreitetes Tabu.
18 junge Frauen spielen sich auf dem Platz vor dem Hamburger Millerntor-Stadion die Bälle zu. Die Fußballerinnen des FC St. Pauli, dritte Liga. Lotti, 23 Jahre alt, stürzt sich motiviert ins Training. Warum, das erklärt sie kurze Zeit später in der Vereinskneipe. „Ich tracke meinen Zyklus seit einiger Zeit und ich weiß, dass ich am dritten Tag meiner Menstruation ein extremes Leistungspeak habe. Und extrem leistungsfähig bin! Und zugleich weiß ich: An meinem ersten Tag während meiner Blutung ist bei mir nichts los. Da geht nichts! Da lauf' ich 30 Minuten und dann möchte ich unter die Dusche und ins Bett. Und an anderen Tagen fühle ich mich, als könnte ich drei Spiele hintereinander spielen.“

Tabu Menstruation

Die junge Sportlerin spricht ein Thema an, das sie schon länger beschäftigt: Ihr Menstruationszyklus bestimmt mit, was sie auf dem Platz leisten kann. Das interessiert bislang nur recht wenige Menschen. Viele Frauen kämpfen vor allem vor und während ihrer Monatsblutung mit Schmerzen, Müdigkeit und Bauchkrämpfen. Dann ziehen sich auch viele Sportlerinnen zurück und verzichten aufs Training, weil es ihnen nicht gut geht. Sie sind gestresst und frustriert und das wiederholt sich dann meist alle vier Wochen. Doch im Verlauf dieses Menstruationsrhythmus zeichnen sich im weiblichen Körper noch weitere Muster ab, die nur wenigen bewusst sind. Das Hormonprofil verändert sich.

Auf hormonelle Effekte achten

Was das für den Sport bedeuten kann, wird erst jetzt langsam bekannt. Die Gynäkologin Susanne Weber hat sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Ihren Erkenntnissen nach hat das Wechselspiel zwischen Östrogen und Progesteron einen Einfluss darauf, wie leistungsfähig ein Körper ist und wie die körperlichen Funktionen gerade zusammenarbeiten. Die Ärztin, die selbst aktive Triathletin ist, betont: Dieses Auf und Ab der Hormone könne förderlich und hilfreich für Sportlerinnen sein.
Das ansteigende Östrogen in der sogenannten Follikel-Phase vor dem Eisprung habe eher eine aufbauende, anabole Wirkung auf den für Sportlerinnen wichtigen Stoffwechsel. In der „Luteal“-Phase nach dem Eisprung hat das verstärkt ausgeschüttete Progesteron demnach eher einen abbauenden, katabolen Effekt auf den Stoffwechsel. Es wird Energie für andere Prozesse im Körper „verbraucht“ und der Muskelaufbau ist weniger effektiv, sodass viele Sportlerinnen mehr Zeit brauchen, um sich von einem intensiven Training zu erholen. Ihre Fähigkeit zu regenerieren ist dann reduzierter.

Morgens die Körpertemperatur messen

Susanne Weber hat sich auf Gynäkologie und Sport spezialisiert und berät in ihrer Sprechstunde in Schriesheim bei Heidelberg vor allem junge Frauen aus dem Leistungssport. Ihnen empfiehlt sie, gemeinsam mit ihren Trainer:innen auf diese hormonellen Effekte zu achten. Die grobe Richtschnur ist: Den eigenen Zyklus dokumentieren, am besten die morgendliche Körperkerntemperatur messen – vor dem Eisprung alles geben, danach etwas kürzertreten.
„Dann geht das ganz geschmeidig und ich komme mir als Mädchen nicht blöd vor, weil ich irgendwas nicht hinkriege. Das ist total wichtig!“ Im Einklang mit dem trainieren, was gerade im Inneren des Körpers vor sich geht. Sich diesem Rhythmus anpassen und nicht dann das Meiste aus sich herausholen wollen, wenn der Hormonspiegel gerade absolut dagegen spricht. Das zu wissen, ist oft eine Erleichterung und mentale Entlastung für die Sportlerinnen. Und außerdem ein Riesen-Potenzial.

Pionierin für zyklusbasiertes Training

Laura Philipp wurde im Oktober 2022 zum zweiten Mal Vierte beim Ironman auf Hawaii. Sie ist eine Pionierin für das zyklusbasierte Training im Leistungssport. Die 35-Jährige aus dem baden-württembergischen Neckargemünd hat sich auf eigene Faust das Wissen über ihren monatlichen Hormonzyklus angeeignet. In ihrem YouTube-Kanal wirbt sie dafür. Was Laura Philipp im Trainingsalltag für sich herausfand, hat die Bochumer Professorin Petra Platen als erste in Deutschland auch wissenschaftlich untersucht. Die ehemalige Handballnationalspielerin leitet an der Ruhr-Universität den Lehrstuhl für Sportmedizin und Sporternährung. Petra Platen hat zu dem komplexen Thema eine erste Übersicht zusammengestellt, die verdeutlichen soll, welche körperlichen Aktionen sich in welcher Zyklusphase besonders eignen.
Laura Philipp, hier bei der Ironman Weltmeisterschaft im Oktober auf Hawaii, USA, 06.10.2022 Laura Philipp, GER, Ironman World Championship, Kailua-Kona, Hawaii, 6.10.2022 *** Ironman World Championship Hawaii, USA, 06 10 2022 Laura Philipp, GER, Ironman World Championship, Kailua Kona, Hawaii, 6 10 2022 Copyright: xBEAUTIFULxSPORTS/FrankxHaux
Laura Philipp, hier bei der Ironman Weltmeisterschaft im Oktober auf Hawaii, schwört auf "zyklusbasiertes Training".© IMAGO / Beautiful Sports / IMAGO / BEAUTIFUL SPORTS / Frank Hau

Detaillierte Ablaufpläne

Die Periode, 1. bis 5. Tag des Zyklus: Ein entspannendes, leichtes Training lockert die Muskulatur und kann Unterleibsschmerzen verhindern. Stretching und Spaziergänge sind angebracht. Frauen, die sich fit fühlen, können wie gewohnt trainieren. Die Follikel-Phase, 6. bis 10. Tag: Der perfekte Zeitpunkt, um sich sportlich zu fordern. Jetzt können große Effekte beim Muskelaufbau erzielt werden. Klettern, Spinning und das Trainieren mit Gewichten sind in dieser Phase besonders gut.
11. bis 14. Tag, die Ovulationsphase rund um den Eisprung: Ein intensives Krafttraining lohnt sich. Ebenso wie Ausdauersport: Laufen, Fußball, Speedminton. Die Luteal-Phase, 15. bis 28. Tag: Das Energielevel sinkt bis zum Ende hin ab. Fahrradfahren und leichtes Krafttraining können guttun. Das Ausdauertraining sollte auf ein lockeres Niveau reduziert werden, empfiehlt Petra Platen.

Anreize gezielt setzen

Die Sportmedizinerin unterstreicht: Ein regelmäßiges Setzen von Trainingsreizen, also eine Periodisierung im Training – wie zwei Tage intensives Krafttraining, drei Tage Pause und wieder zwei Tage Training – macht für Frauen keinen Sinn. Ihre Periodisierung sollte sich an ihrem individuellen Zyklus orientieren. Frauen können besonders von Trainingsanreizen in ihrer späten Follikel-Phase vor dem Eisprung profitieren.
„Ja, ich mache jetzt verschiedene Programme, immer mit ein bisschen Steigung beim Laufband – und das steigere ich dann bis ins Unendliche.“ Laura Philipp hat sich den Hormonwechseln in ihrem Körper angepasst.

Gefahr Red-S-Syndrom

Wenn ein Eisprung ausbleibt und der weibliche Körper seine Reproduktionsfähigkeit quasi herunterschraubt, weil er mit anderen Dingen wie einer großen sportlichen Herausforderung beschäftigt ist, dann ist das ein Alarmzeichen für eine Überbelastung und ein Energiedefizit. Dieses sogenannte Red-S-Syndrom erhöht das Risiko von Ermüdungsbrüchen und kann auch bei ambitionierten Breitensportlerinnen auftreten, die vielleicht sehr viel laufen und zu wenig essen.
Immer mehr Vereine und Verbände, auch die Olympiastützpunkte, wollen mehr Informationen. Die Bochumer Professorin Petra Platen erhielt gerade einen Anruf des Deutschen Fußballbundes, der sich mit ihr austauschen und die aktiven DFB-Spielerinnen nach ihrem Bedarf bei dem Thema befragen möchte. Der Deutsche Leichtathletik-Verband etabliert bereits sein Zyklus-Monitoring und führt mit Petra Platen eine Studie durch, bei der mit Speichel- und Blutmessungen die Hormonprofile von Athletinnen über drei Zyklen erstellt werden. Der Frauensport verändert sich.

Eine Wiederholung vom 27. November 2022

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