Zwischen zwei Welten

Von Kim Kindermann · 03.04.2007
Mit sieben Jahren kam Gary Shteyngart in New York an. Seine jüdisch-russischen Eltern hofften auf Freiheit und Erfolg. Ihrem Sohn bescherten sie damit das Thema seines Lebens. Auch seine beiden Bücher handeln von Frust und Lust des Immigrantendaseins.
"Ein Teil von mir wäre gerne genauso wie Mischa", sagt Gary Shteyngart über seinen stark übergewichtigen Romanhelden, Sohn eines der reichsten Männer Russlands.
"Er denkt niemals drei Schritte im Voraus, denkt nie an die Konsequenzen. Ich hingegen sorge mich ständig und denke, dass ich etwa meinen Ausweis vergessen habe. Das ist typisch für Immigranten. Ich bin jedenfalls so nervös, dass ich jedes Mal bei der Einreise überprüft werde."

Unerschrocken sein, sich nicht selbst immer wieder in Frage zu stellen, davon träumte Gary Shteyngart schon früh. Spätestens nachdem seine russisch-jüdischen Eltern bei der Einreise in die USA kurzerhand seinen Vornamen ändern, ist klar: Immigrant sein heißt, du darfst nicht auffallen. Aus dem kleinen, siebenjährigen Russen Igid wird kurzerhand der amerikanische Gary. 1979 war das.

"”Meine Eltern sind wegen des Antisemitismus aus Russland weggegangen. Das Verrückte aber war, als wir in Amerika ankamen, herrscht dort heftiges Anti-Russentum. Meine Eltern hatten immer gesagt, wenn wir erst mal drüben sind, dann wirst du mit deinen jüdischen Freunden zusammen sein, sie werden dich lieben. Aber als ich ankam, hassten mich meine jüdischen Freunde. Für die war ich ein Russe. Und deshalb hassten sie mich.""

Zerrissenheit, Ohnmächtigkeitsgefühle und Allmachtsfantasien werden die ständigen Begleiter dieses Immigrantenkindes aus dem ehemaligen Leningrad, das fortan zwischen den Welten wandelt. Die Familie lässt sich zwar im multi-kulturellen New Yorker Stadtteil Queens nieder, doch zuhause herrscht Tradition: Es wird russisch gesprochen. Der Vater ist streng gläubig. Einen Fernseher gibt es nicht. Alles, was bleibt, ist Essen! Und so geht der kleine Shteyngart jeden Tag nach der Schule zu seiner Großmutter und wird gemästet.

"”Meine Großmutter stopfte mich täglich mit mehreren Pizzas und russischem Salat voll, der hauptsächlich aus Mayonnaise bestand. Meine Eltern waren ziemlich deprimiert über mein Gewicht. Innerhalb eines Jahres war ich dann auch wieder dünn, aber diese Gefühl ‚fett zu sein’ das habe ich nie vergessen.""

Es war Fressen gegen die Fremde, sagt der zierliche 35-jährige Shteyngart heute. An das dicke Kind von damals erinnert heute bei dem graumelierten Dunkelhaarigen mit der markanten Brille nur noch ein kleiner Bauchansatz. Gerettet hat ihn das Schreiben.

In Shteyngarts Romanen kracht es gehörig: Mischa Vainberg alias Snack Daddy, dieser fette russische Jude, dessen Penis bei der Beschneidung verstümmelt wurde, ist sexsüchtig, rassistisch, glaubt an die Macht des Geldes und will deshalb unbedingt nach Amerika zurück, wo er bereits studiert hat. Allerdings ist das nach dem Mord an einem amerikanischen Geschäftsmann durch Mischas Vater unmöglich. Verpackt ist das alles in eine große Portion schwarzen und auch jüdischen Humors.

"”Meine Eltern waren total schockiert: Was, du hattest keine gute Kindheit? Wir dachten, du hättest eine wunderbare Kindheit gehabt. Wie kann jemand, der in Amerika groß wird, keine gute Kindheit haben?""

Gary Shteyngart jedenfalls nicht. Weder in der Schule noch später im marxistisch angehauchten College in Ohio, wo er Politik studiert, fühlt sich der Sohn eines Ingenieurs und einer Pianistin richtig wohl. Immer ist er unsicher und wie auch sein Romanheld sucht er stets nach Anerkennung. Die Angst zu scheitern ist allgegenwärtig im Leben des Gary Shteyngart, der nach dem Studium rasch wieder nach New York zurückkehrt.

"”Die Angst, scheitern zu können, ist typisch für Immigranten. Für Juden übrigens auch. Und es ist ein Gefühl, das zur russischen Realität gehört. Diese Angst vor Misserfolgen hat mich mein Leben lang begleitet. Meine Eltern sagten früher immer: Werde ja kein Schriftsteller, werde lieber Anwalt.""

Sein erstes Buch "Handbuch für den Russischen Debütanten" schafft es aus dem Stand in die Bestsellerlisten und beschert dem Mann, der gerne lange schläft und die Nacht zum Tage macht, ein gesichertes Einkommen. Shteyngart erhält Lehrangebote an der Columbia University und beginnt als Reisejournalist zu arbeiten.

"”Es ist also ein ideales Leben. Ich hoffe, sie nehmen es mir nicht irgendwann weg.""

Wer "sie" sind, ist unklar. Denn weder ist Gary Shteyngart verheiratet, noch hat er Kinder. Seine koreanische Freundin, eine Rechtsanwältin, lebt in Boston. Und seine Eltern besucht er zwar regelmäßig, hält aber ansonsten Abstand:

"”Ich glaube ganz fest an dieses amerikanische Modell, wonach Kinder und Eltern getrennte Wege gehen sollten. Ich glaube nicht an diese Kernfamilie. In Russland ist die Familie alles. Nein, nein, jeder sollte wirklich so schnell wie möglich seinen eigenen Weg gehen.""

Und während er noch so spricht, dieses scheinbar bis heute verunsicherte Immigrantenkind, wird klar: Gary Shteyngart ist längst angekommen. Er hat sich eingerichtet in dieser Welt zwischen New York und Russland, zwischen Tradition und Moderne. Und er macht daraus ziemlich gute Bücher!