Zwischen Zerstörung und Aufbruch

Von Carsten Probst |
In ihrer Installation "Compass" dokumentiert das Künstlerduo Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla Bauarbeiten auf dem Berliner Schlossplatz. Baugruben und Trümmerberge vermitteln eine apokalyptische Atmosphäre und erinnern an einen Kriegsschauplatz.
Es herrscht Krieg auf dem Berliner Schlossplatz. Zumindest auf dem Video, das Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla vor nicht allzu langer Zeit auf der Schlossplatz-Baustelle gedreht haben, als gerade die letzten Treppentürme des Palastes der Republik zerlegt wurden. Das Kameraauge schweift über die Trümmerwüste wie über ein verlassenes Schlachtfeld aus Bombenkratern und Bunkerresten. Dann kommen wieder die Abrissbagger, ihre Fahrwerke wälzen sich wie Panzerketten durch den Schutt, die riesigen Schlagbohrer tackern wie MG-Salven am Beton entlang, und irgendwo im aufgebrochenen Inneren der Räume scheint ein Häuserkampf zu toben, denn überall schlagen Funken aus den Ritzen. Und als wäre es nicht genug der Berlin-Untergangssymbolik, läuft auch noch ein Deutscher Schäferhund zwischen den Trümmern herum, gerade so, als wäre Hitlers Lieblingshündin "Blondi" frisch aus der Reichskanzlei desertiert, und die amerikanischen Besatzer hätten ihr ihre Halskrause von Kentucky Fried Chicken verpasst. Dirk Luckow, designierter Chef der Hamburger Deichtorhallen und bis vor kurzem Mitglied auch im künstlerischen Beirat der Temporären Kunsthalle Berlin, bezeichnet das Video durchaus zutreffend als Historienbild:

"Es ist ja auch ein Platz der Zerstörung und des Abbruchs, und ich finde, dass in diesen betörend schönen Bildern, die auch noch wunderbare kunsthistorische Zitate zum Beispiel zu Daniel Buren oder Anselm Kiefer beinhalten, dass dieses etwas vor Augen führt, was man vielleicht den Anfang und Ende der Welt nennen könnte. Also es ist wirklich auch eine große Metapher."

Große Worte und große Metaphern man hat indes im Zusammenhang mit der Temporären Kunsthalle inzwischen schon öfter gehört, und es wird noch besser. Denn in der Haupthalle hat das amerikanisch-kubanische Künstlerpaar den Gedanken ihres Schlossplatz-Schlachtenvideos weitergeführt und die eigentlich zehn Meter hohe Hallendecke auf 2,50 Meter abhängen lassen, so dass eine buchstäblich drückende Atmosphäre entstehen soll. Besucher, die die Querelen um die Temporäre Kunsthalle in den letzten Wochen und Monaten verfolgt haben, könnten diese eigens auf diesen Ort bezogene Arbeit tatsächlich für eine große Metapher darauf halten, aber das Zusammentreffen dieser Ausstellung mit dem unglücklichen Zustand des Hauses wird sofort als rein zufällig bezeichnet. Unsichtbar für den Besucher laufen oberhalb der abgehängten Decke Tänzer zweier Tanzstudios auf und ab und erzeugen gespenstische Trittgeräusche, Gespenster am Toten Mann, die den Platz noch lange nach der Schlacht bevölkern.

"... also ein ganzes Arsenal von Bewegungsmustern, was den ganzen Raum als Aktionsraum miteinbezieht und eine wunderbare Korrespondenz zwischen dem, was da oben passiert und einem selbst eingeht. Also man merkt, irgendwann bewegt man sich auch mit diesen Tänzern, und es gibt diese Korrespondenz und man erfährt es dann auch schon wieder wie eine Zeichnung oder wie eine Kartografie, und da passt natürlich auch der Titel 'Compass' dann ganz gut, der ja auch für Orientierung stehen soll oder einem eine Richtung vorgeben möchte."

Jennifer Alloras und Guillermo Calzadillas Installation ist poetisch und hintersinnig, sie hätte es zweifellos verdient, allein um ihrer selbst Willen gewürdigt zu werden. Aber derzeit hat sie einfach keine Chance gegen diesen Ort, an dem sie stattfindet, der selbst dringend einen Kompass und Orientierung ganz anderer Art nötig hätte. Krieg herrschte am Schlossplatz nämlich zuletzt nur rund um diese Temporäre Kunsthalle, deren bisheriges Konzept gescheitert ist. Und nachdem kürzlich der gerade erst vor wenigen Monaten berufene Geschäftsführer Thomas Eller bereits wieder hinauskomplimentiert wurde, ist inzwischen auch der Künstlerische Beirat zurückgetreten. Dirk Luckow, der die gespenstisch wirkende Presskonferenz abhält, auf der keine Fragen zur Zukunft des Programms zugelassen sind, ist als Mitglied dieses Beirats eigentlich gar nicht mehr im Amt. Sichtlich genervt gab er jedoch dazu am Ende dann doch noch Auskunft:

"Ja, es gab einfach ja eine Reihe von strukturellen Veränderungen, und darüber wurde einfach dann doch auch offensichtlich, dass der Künstlerische Beirat im zweiten Jahr nicht mehr diese Einflussmöglichkeit haben würde wie im ersten Jahr, und ich glaub, wir sind dann zu einem richtigen Zeitpunkt zurückgetreten, ich könnte mir vorstellen, also jetzt ... Dieter Rosenkranz wird’s mir verzeihen, dass er vielleicht mit jetzt einem Kurator weitermacht, der aber nah an ihm dran ist."

Hintergrund ist, dass der Berliner Mäzen Dieter Rosenkranz, dessen "Stiftung Zukunft Berlin" die Temporäre Kunsthalle wesentlich finanziert, das bisherige Programm als zu wenig publikumswirksam kritisiert und sich für populärere Ausstellungen starkmacht. Den damit einhergehenden Qualitätsverlust will der Beirat nicht mittragen, alle bisher geplanten Ausstellungen für das zweite Jahr wurden gestrichen, momentan weiß kaum einer, wie es weitergeht. Vielleicht erklären diese nun offen ausgebrochenen Querelen immerhin, warum auch das erste Jahr der Temporären Kunsthalle mit ihren Ausstellungen ein wenig unausgegoren wirkte.