Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Von Leonie March |
Zu Zeiten der Apartheid war das Land in Südafrika so ungerecht verteilt, wie sonst kaum irgendwo auf der Welt. Die weiße Bevölkerungsminderheit besaß den größten Teil des wirtschaftlich nutzbaren Bodens. Die Rückgabe des unter der Apartheid enteigneten Landes an schwarze Farmer gehört zu den politisch wichtigsten Zielen der Regenbogennation. Anders als im Nachbarland Simbabwe, wo die weißen Farmer mit Gewalt von ihrem Boden vertrieben wurden, hat sich die südafrikanische Regierung bislang an rechtsstaatliche Grundsätze gehalten. In den vergangenen Jahren wurden die ersten großen Farmgemeinschaften an die alten Besitzer übereignet. Die stoßen inzwischen allerdings bisweilen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Eine von ihnen hat kürzlich einen weißen Farmer zur Unterstützung angestellt.
"Wir sind hier auf der Belfast Farm. In den 60er und 70er Jahren sind die schwarzen Einwohner Charlestowns von hier vertrieben worden. Sie mussten in die Nachbarstädte und Townships ziehen. Nach der demokratischen Wende haben sie 1998 ihr Land zurückgefordert und Klage eingereicht. Dann mussten wir sechs Jahre warten. Die Regierung arbeitet eben nicht besonders schnell. Aber zu guter Letzt waren wir erfolgreich. Rund 8000 Hektar Land wurden uns zugesprochen, insgesamt 13 weiße Farmen."

Bheki Kubheka erzählt, als hätte sich das alles vor langer Zeit zugetragen. Dabei ist es auch seine Geschichte. Er wurde in Charlestown, einer kleinen Stadt im Norden der südafrikanischen Provinz Kwazulu Natal, geboren und gehörte zu den Schwarzen, die mit ihrer Familie vertrieben worden sind. Er war einer derjenigen, die um ihr Land geklagt haben, und sitzt nun im Vorstand der Treuhandgesellschaft, die das Land im Auftrag der Gemeinschaft verwaltet.

"Anfangs war es schwierig, weil wir noch nie eine kommerzielle Farm geleitet hatten. Wir hatten bis dahin nur unsere Gärten bewirtschaftet. Deshalb hat uns die Regierung auch einen Berater geschickt. Außerdem haben wir ein paar Rinder bekommen, ein paar landwirtschaftliche Geräte und Fördergelder, um die ersten Löhne auszuzahlen. Auf dem Land gab es neben einem großen Wald Weiden für das Vieh und eine Molkerei. Wir werten es als Erfolg, dass all dies auch heute noch in Betrieb ist."
Zwei Dutzend Rinder grasen auf der Weide. Das Gras ist trocken, gelblich, hüfthoch. Ein Hirte treibt das Vieh in Richtung Amajuba Berge. Steinig und karg reichen sie bis zum Horizont. Gegenüber der Weide, durch eine Bundesstraße getrennt, eine Siedlung: Das heutige Charlestown. Hier leben die 1100 Kläger, Kinder und Enkel der ehemals Vertriebenen, mit ihren Familien, insgesamt rund 5000 Menschen, in einfachen Häusern mit kleinen Gärten. Eine ärmliche Siedlung wie viele in Südafrika. An reiche Landbesitzer erinnert hier nichts. Das Leben auf dem eigenen Grund und Boden ist fast genauso hart wie das Leben früher, als sie noch keinen Besitz hatten, sagt Bheki Kubheka.

"Wir wissen, dass Landwirtschaft nicht einfach ist. In den ersten Jahren wirft sie keinerlei Gewinn ab. Manchmal muss man 10 bis 15 Jahre darauf warten. Aber andere Arbeitsmöglichkeiten gibt es hier kaum: die Textilfabrik, die vor kurzem noch rund 1000 Menschen beschäftigt hat, wurde geschlossen. Unsere Leute suchen in den Nachbarstädten Volksrust und Newcastle nach Jobs. Die Arbeitslosigkeit in unserer Gemeinschaft liegt bei 80 Prozent."

Die Landreform in Südafrika – keine Erfolgsgeschichte. Die Regierung hat sich in den letzten Jahren hauptsächlich auf die Umverteilung des Landes konzentriert und kaum um die Nutzung danach gekümmert, betont Denis Rugege, Dozent am Institut für landwirtschaftliche Entwicklung an der Universität von Kwazulu Natal.

"Das ist das Hauptproblem der Reform: Nicht daran zu denken, was nach der
Umverteilung des Landes geschieht und welche Schwierigkeiten auftauchen können. Man muss bedenken, dass wie es hier mit wenig gebildeten Leuten zu tun haben, manchmal sogar mit Analphabeten. Diese Leute sollen auf einmal hoch technisierte Farm-Unternehmen führen und ihre Produkte exportieren. Dabei ist ihre Ausbildung und Erfahrung in keiner Weise mit der weißen Farmer zu vergleichen. Es ist also von vornherein klar, dass schwerwiegende Probleme auftauchen."

Südafrika steckt mitten in diesen Problemen. Ein Ergebnis verfehlter Politik, sagt Denis Rugege. Bisher ist zu wenig Land umverteilt worden. 30 Prozent des Farmlandes sollten ursprünglich bis 1999 in den Besitz ehemals Vertriebener oder Landloser übergehen. Doch bis heute sind es nur rund 5 Prozent. Das Ziel ist auf 2014 verschoben worden. Um es zu erreichen, muss die Regierung mehr Geld für den Kauf von Land bereitstellen. Bislang beträgt das Budget nur 1 Prozent des südafrikanischen Haushalts. Gleichzeitig steigen die Preise für fruchtbares Farmland. Die Umverteilung selbst also ist bereits ein Misserfolg. Dazu kommt, dass der kleine Anteil an landwirtschaftlichen Betrieben, die inzwischen von neuen Besitzern geführt werden, nicht produktiv ist, betont Denis Rugege.

"Das Problem besteht darin, dass Land gekauft und umverteilt wurde, aber dann nichts weiter geschehen ist. In den meisten Fällen war das Land noch produktiv als es den Besitzer gewechselt hat, danach aber lag es brach. Zum Glück hat die neue Regierung das Problem erkannt und angekündigt etwas dagegen zu tun. Dabei steht die Unterstützung der neuen Farmer natürlich im Vordergrund. Hier muss die Regierung gezielt eingreifen."

Eine Strategie mit klar formulierten Maßnahmen ist allerdings noch nicht formuliert worden. Das muss die neue Regierung unter Präsident Jacob Zuma bald nachholen. Denn der Druck ist groß: Landlose drohen damit Farmen zu besetzen, Großbauern investieren nicht mehr in ihre Betriebe, weil sie Klagen oder sogar Enteignung fürchten, Südafrika importiert Obst und Gemüse, das es früher exportiert hat.

Die neuen Landbesitzer in Charlestown wollten nicht warten, bis die Regierung wirksame Maßnahmen einleitet. Der staatliche Mentor wurde nach ein paar Monaten abgezogen, die Fördergelder reichten nicht aus. Molkerei und Rinderzucht laufen nicht profitabel, werden von der Gemeinschaft nur mit Mühe in Betrieb gehalten. In dieser Not bietet Frans Fourie, ein weißer Farmer, seine Hilfe an. Er will die Gemeinschaft beim Aufbau eines neuen landwirtschaftlichen Projekts beraten und fordert im Gegenzug Anteile am Unternehmen. Er stellt den Kontakt zu zwei staatlichen Entwicklungsgesellschaften her, die Kredite von umgerechnet rund 3 Millionen Euro bereitstellen. Mit dem Geld werden eine Straße, ein Damm für die Bewässerung, und Lagerhallen gebaut. Auf bisher ungenutztem Gelände stehen jetzt Gewächshäuser, 20 Hektar Himbeerplantagen. Eine exotische Frucht für die Region, die die Finanziers ausgesucht haben, erklärt Bheki Kubheka.

"Sie haben eine Machbarkeitsstudie durchgeführt und festgestellt, dass sich Boden und Klima gut für Himbeeren eignen. So hat das Projekt vor 2 Jahren begonnen. Uns waren Himbeeren damals noch vollkommen fremd. Aber das hat sich inzwischen geändert."

Frans Fourie zieht sich nach rund einem Jahr aus dem Unternehmen zurück, geht in den Ruhestand. Himbeerfarmer Tiaan Steyl wird als Nachfolger engagiert und als Geschäftsführer des neuen Unternehmens Amajuba Berries eingestellt.

"Die Anteilseigner des Unternehmens, also die Kreditgeber und die Treuhandgesellschaft von Charlestown, haben mich angesprochen. Ich hatte 7 Jahre Erfahrung mit dem Anbau von Himbeeren, die ich an die Supermarktketten verkauft habe. Genau das, was wir hier jetzt auch tun. Himbeeren sind ein hochwertiges Produkt und man kann schnell Umsatz machen. Das unterscheidet sie beispielsweise von Getreide. Außerdem kann man bei einer guten Geschäftsführung relativ schnell ausländische Märkte beliefern."

Die ersten Himbeeren sind vor ein paar Wochen geerntet worden. 25 Tonnen. Nicht schlecht für die erste Ernte, meint Farmmanager Tiaan Steyl. Im nächsten Jahr will er den Ertrag vervier- bis versechsfachen. Langfristig angestrebt ist eine Produktion von 720 Tonnen Himbeeren, für den heimischen Markt und den Export. Amajuba Berries wäre dann Südafrikas größter Himbeer-Produzent. Diese Aussicht und der bisherige Erfolg gibt den Menschen von Charlestown Hoffnung, betont Bheki Kubheka.

"Es erleichtert uns alle sehr, denn wie sie wissen, ist die Arbeitslosigkeit hier sehr hoch. Durch das Projekt können wir Geld verdienen und unsere Familien ernähren. Das macht einen großen Unterschied."

Rund 90 Männer und Frauen aus Charlestown sind bei Amajuba Berries beschäftigt. Dazu kommen Saisonarbeiter. Die Löhne liegen deutlich über dem südafrikanischen Mindestlohn für Farmarbeiter: mit umgerechnet 140 bis 180 Euro pro Monat, je nach Tätigkeit. In einer klimatisierten Halle verpackt Sebenzine Mposula Himbeeren in kleine Plastikschalen. Der Rest der ersten Ernte. Der Raum ist klinisch sauber, die Fließbänder blank geputzt. Die Dreißigjährige ist stolz auf ihre Arbeitsstelle, die sie vor einem Jahr angetreten hat.

"Seit ich hier arbeite, habe ich viel gelernt. Ich kenne mich jetzt mit Himbeeren aus und weiß wie man ihre Qualität einstuft. Außerdem kann ich mit meinem Gehalt meine Familie unterstützen: meine zwei Kinder, meine Großmutter und meinen Bruder."

Draußen in einem der Gewächshäuser geht Winnie Skhosana mit prüfendem Blick an einer Reihe Himbeersträucher entlang. Die Blätter sind schon etwas welk, nur vereinzelt hängen reife Beeren an den Zweigen. Winne Skhosana pflückt sie behutsam, legt sie in einen Plastikeimer. Auch sie ist seit einem Jahr bei Amajuba Berries beschäftigt und zufrieden mit der Arbeit.

"Ich hatte vorher einen Job in der Textilfabrik, aber dann haben sie mich entlassen. Ich war arbeitslos, bevor ich diese Stelle bekommen habe. Mein Leben hat sich seitdem verbessert. Ich unterstütze meine Eltern, meine vier Geschwister und meine zwei Kinder. Darüber hinaus sehe ich die Chance mich weiter zu bilden, mehr über Landwirtschaft zu lernen, so dass ich irgendwann vielleicht meine eigene Farm leiten kann."

Die Aus- und Weiterbildung der Arbeiter ist eine der wichtigsten Aufgaben von Farmmanager Tiaan Steyl. Eine Bedingung, die sowohl die Kreditgeber als auch die Charlestown-Gemeinschaft ihrem neuen Geschäftspartner gestellt haben.

"Wir bieten hier viele Kurse an: in Landwirtschaft, Management und Buchhaltung, aber wir vermitteln Lesen und Schreiben, denn einige der Kursteilnehmer sind Analphabeten. In erster Linie nehmen unsere Arbeiter an diesen Kursen teil, manchmal weiten wir sie aber auch auf die gesamte Gemeinschaft aus."

Die Ausbildung ist wichtig für die Nachhaltigkeit dieses Landreform-Projekts, betont der Sprecher der Einwohner Charlestowns, Bheki Kubheka.

"Unser Geschäftsführer bringt die Sachkenntnis über den Anbau von Himbeeren mit. Er teilt sein Wissen mit uns und hilft uns dadurch sehr. Denn sobald wir die Kredite zurückgezahlt haben, wird die Farm in den Besitz unserer Gemeinschaft übergehen und wir möchten sie natürlich erfolgreich weiter führen."

Eine strategische Partnerschaft in dieser Form ist Erfolg versprechend, meint Landreform-Experte Denis Rugege. Seit ein paar Jahren macht das Modell landesweit in Südafrika Schule. Denn auch die Regierung hat die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit zwischen erfahrenen kommerziellen Landwirten und unausgebildeten neuen Landbesitzern erkannt.

"Theoretisch ist das ein guter Ansatz. Denn ganz offensichtlich gibt es ein Ausbildungs-Defizit. Die Mehrheit der Bevölkerung hat kaum Schulbildung. Die meisten können zwar lesen und schreiben, aber nicht viel mehr. Eine solche strategische Partnerschaft aber muss zusätzlich vom Staat unterstützt werden. Die Regierung muss sicherstellen, dass der erfahrene Landwirt, der sein Know-how zur Verfügung stellt, auch einen Vorteil davon hat. Es reicht nicht aus, zu sagen, dass er es dem Staat schuldet, weil er während der Apartheid privilegiert war. Er muss angemessen entlohnt werden, zum Beispiel, indem er an dem Unternehmen beteiligt wird, oder ein Beraterhonorar enthält. Wenn seine Leistung gleichzeitig überwacht und beurteilt wird, kann ein solches Projekt Erfolg haben."

Tiaan Steyl, der Landwirtschaft studiert und mit seinen Ende 30 auch schon einiges an Berufserfahrung vorweisen kann, ist überzeugt vom Erfolg des Projekts. Auch wenn die Zusammenarbeit mit einer gesamten Dorfgemeinschaft eine neue Erfahrung für ihn ist.

"Es ist eine Herausforderung, weil jeder der Beteiligten natürlich eine eigene Vorstellung davon hat, wie das Unternehmen geführt werden sollte. Es ist also anders, als nur eine Farm zu leiten. Aber ich denke, dass es in einer modernen Geschäftsführung normal sein sollte, alle Mitarbeiter mit einzubeziehen. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die kommerzielle Seite des Projekts zu betonen. Es muss sich rechnen, sonst hat keiner von uns etwas davon. Dabei versuche ich die besonderen Bedürfnisse der Menschen hier zu berücksichtigen: Also Arbeitsplätze zu schaffen und sie in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen, auch damit sie sich Kenntnisse in der Geschäftsführung aneignen können."

Entscheidungen zu treffen, ist bei einer Gruppe von 1100 Landbesitzern nicht einfach, seufzt Bheki Kubheka. Deshalb wurde die Treuhandgesellschaft gegründet, die stellvertretend für die gesamte Gemeinschaft eintritt.

"Wir werden die Dinge immer unterschiedlich sehen. Es gibt einfach Menschen, die immer ein Haar in der Suppe finden, die alles hinterfragen, egal ob es gut oder schlecht ist. Aber insgesamt haben wir am selben Strang gezogen, das gleiche Ziel verfolgt. Seit es die Treuhandgesellschaft gibt, haben sich die Wogen weiter geglättet. Wir sind damit beauftragt worden, Entscheidungen zu treffen und informieren die Gemeinschaft regelmäßig darüber."

Uneinigkeit in den Klägergemeinschaften, Machtkämpfe und verschiedene Zielvorstellungen haben eine Reihe von Landreform-Projekten in Südafrika schon scheitern lassen. Auch für diesen Zustand macht Denis Rugege die verfehlte Politik der Regierung verantwortlich.

"Es gibt zu viele neue Landbesitzer, um wirklich davon zu profitieren. Von den Dividenden, die im Fall eines Gewinns ausgezahlt werden, bleibt für den Einzelnen nicht viel übrig. Im Gegensatz zum Landwirt, der den Profit allein für sich und seine Familie hat. Dazu kommen die Bedürfnisse einer Gemeinschaft: Sie braucht eine ganz andere Infrastruktur mit medizinischen Einrichtungen, Schulen und Straßen. Die Farmen aber sind dafür nicht ausgelegt, denn sie waren nur für einen einzelnen Haushalt gedacht. Auch für dieses Problem gibt es bislang keine gezielten Maßnahmen."

Denis Rugege hofft, dass sich das mit der neuen Regierung unter Jacob Zuma ändern wird.

"Die neue Administration hat betont, dass die ländliche Entwicklung einer der Schwerpunkte ihrer Politik ist. Und natürlich bezieht das die Entwicklung und Unterstützung der Landwirtschaft mit ein."

Auch ohne Hilfe der Regierung blickt Tiaan Steyl in die Zukunft. Die Nachfrage nach Himbeeren ist in Südafrika im Lauf der letzten Jahre rasant gewachsen. International hat Amajuba Berries durch die niedrigen Lohnkosten und das günstige Klima Vorteile. Deshalb sieht der Geschäftsführer sein Unternehmen auf Erfolgskurs und als Vorbild für andere Landreform-Projekte.

"Wir sind eine Ausnahme, weil wir von Beginn an den kommerziellen Erfolg des Projekts angestrebt haben. Viele andere haben keine genaue Vorstellung, wie sie das Land nutzen wollen. Für uns aber haben die Kreditgeber bestimmte Bedingungen gestellt, sie haben gezielt einen Fachmann gesucht und als Mentor eingesetzt."

Bheki Kubheka nickt zustimmend. Auch er sieht für Amajuba Berries eine rosige Zukunft:

"In der Zukunft wird die ganze Welt unser Projekt kennen. Noch sind wir ein kleines Unternehmen, aber wir werden wachsen. Mit der Fachkenntnis und den Partnern, die wir jetzt haben, erreichen wir bestimmt unser Ziel: 60 Hektar Himbeeren, von denen wir gut zwei Drittel exportieren und ein Drittel in Südafrika verkaufen. Ein Geschäft, das Profit macht."