Zwischen Wissensdurst und Information-Overkill

Vorgestellt von Gerrit Stratmann · 22.07.2005
Computer und das Internet fordern einen neuen Umgang mit den angesammelten Informations- und Wissensressourcen. Welche neuen Kompetenzen gefragt sind, und welche Gefahren beim Umgang mit dem digitalen Wissen drohen, das beleuchtet die Aufsatzsammlung "Die Google-Gesellschaft".
Angeblich existieren im Internet mehr als 4700 Suchmaschinen und Portale zum Auffinden von Informationen. Faktisch werden davon weltweit vor allem drei benutzt: Yahoo, MSN und allen voran natürlich – Google.

Google, als Synonym für die Suchmaschine schlechthin, ist offensichtlich eine Notwendigkeit. Google ist mittlerweile so populär, dass das neu geschaffene Verb "googeln" Eingang in den Duden gefunden hat. Ein deutlicheres Zeichen für die uneingeschränkte Akzeptanz und Allgegenwart der Technik und eine größere Adelung ist für ein Produkt kaum vorstellbar.

Und Google erfüllt ein Versprechen. Das Netz ist so groß und unübersichtlich, dass der Wanderer ohne Orientierung und Hilfestellungen nichts Sinnvolles finden würde in den weltweiten Datenfluten. Aber die geheim gehaltene Suchmaschinenstrategie von Google bietet ihm einen Einstiegspunkt ins Netz. Die Suchmaschine findet, was der Nutzer sonst planlos suchen müsste.

Das Buch "Die Google-Gesellschaft" bietet ebenfalls einen Einstieg und öffnet dem Leser in zahlreichen Einzelartikeln den Blick für die Konsequenzen der unaufhaltsamen Veränderungen in der Art, wie wir Wissen speichern und darauf zugreifen können. Der digitale Wandel fordert von den Nutzern neue Fähigkeiten: Wie finde ich mich angesichts von mehreren Milliarden Webseiten überhaupt zurecht? "Googeln" ist im Begriff sich zu einer neuen Kulturtechnik zu entwickeln, gleichberechtigt neben Lesen, Schreiben und Rechnen. Damit wird googeln zu einem neuen Mindeststandard in der immer wieder beschworenen Informations- und Wissensgesellschaft.

Mindestens ebenso wichtig werden in der Google-Gesellschaft aber Strategien zur Informationsvermeidung. Getreu dem Motto: wichtig ist vor allem, zu wissen, was ich nicht wissen muss – und ich deshalb auch nicht zu beachten brauche. Anders als durch radikale Selektion ist dem aberwitzigen Informationsangebot von mehreren tausend Suchergebnissen auf jede simple Anfrage kaum Herr zu werden.

Aber in der digitalen Google-Gesellschaft dräuen auch neue Probleme. Wie lange halten sich überhaupt digital gespeicherte Daten? CDs werden mit der Zeit unlesbar, vielleicht erst nach 100 Jahren, vielleicht auch schon nach zehn. Festplatten können crashen. Speichersticks und Flashcards sind für die nächste Generation wahrscheinlich nur noch mit museumsreifen Geräten lesbar.

Was passiert mit meinen Daten, die ich im Internet von mir preisgebe? Das Internet vergisst nichts, und was einmal als Äußerung in irgendeinem Forum getätigt wurde, kann Jahre später u.U. noch auf mich zurückgeführt werden.

Wie unterscheide ich im Internet zwischen Wahrheit und Fiktion? Der Wahrheitsgehalt von Aussagen im Netz ist mit Hilfe des Netzes kaum zu überprüfen.

Festigt das Internet die Demokratie? Weblogs, persönliche Tagebücher im Internet, die von jedermann geführt werden können, machen es einfach wie nie zuvor, die eigene Meinung einer prinzipiell weltweiten Öffentlichkeit vorzustellen.

Wie steht es eigentlich um die Zensur im Internet? Was Google nicht kennt, ist für viele Nutzer gar nicht erst existent. Auch das ist eine Form von Manipulation.

"Die Google-Gesellschaft" ist ein Internetbuch reinsten Wassers. Es beleuchtet Möglichkeiten, Gefahren und Auswüchse des Mediums in facettenreichen Einzelartikeln, die folgerichtig am Schluss nicht nur auf Buchpublikationen als Quellen verweisen, sondern auch auf Hyperlinks im WWW. Die Autoren, unter ihnen Journalisten, IT-Fachleute, Sozial- und Kulturwissenschaftler, liefern eine lohnenswerte Bestandsaufnahme der vor unseren Augen ablaufenden Kulturrevolution im Internet.

Allerdings ist es kein Lesebuch für laue Stunden, eher ein Buch von Akademikern für Akademiker, in dem mitunter von "polydirektionalen-isomorphen Medien" die Rede ist statt vom Internet. Aber wer sich für Medientheorie interessiert, wird dieses Buch zum Frühstück verspeisen.

Für das Buch ist eine eigene Internetseite eingerichtet worden, auf der die Diskussion im Dunstkreis der vorgestellten Themen in Zukunft ergänzt und fortgeführt werden soll: Die Google-Gesellschaft

Kai Lehmann, Michael Schetsche (Hrsg.): Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens
transcript Verlag, Bielefeld 2005,
410 S., 26,80 €