Juli Zeh und Simon Urban: "Zwischen Welten"

    Schlagabtausch zweier Verständigungswilliger

    06:50 Minuten
    Juli Zeh / Simon Urban: "Zwischen Welten". Auf dem Cover prangt ein Schwan.
    © Luchterhand

    Juli Zeh, Simon Urban

    Zwischen WeltenLuchterhand, München 2023

    446 Seiten

    24,00 Euro

    Von Wolfgang Schneider · 25.01.2023
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    Erfolgsrezept, noch schärfer gewürzt: Mit der Schützenhilfe von Simon Urban lässt Juli Zeh den Gegensatz von Stadt und Land in ihrem Roman „Zwischen Welten“ noch einmal eskalieren. Die Arroganz der Urbanen trifft auf die Mühen der Marginalisierten.
    Juli Zeh hat in ihren Bestsellern „Unterleuten“ und „Über Menschen“ die Antithese des ländlichen und des urbanen Lebens erfolgreich literarisch bewirtschaftet. In „Zwischen Welten“ wird dieser Gegensatz noch einmal zugespitzt. Allerdings hat Zeh den Roman gemeinsam mit Simon Urban („Plan D“) geschrieben, der ihrem Moralismus die Qualitäten des Satirischen hinzufügt.
    Theresa Kallis und Stefan Jordan, die beiden Hauptfiguren, sind Mitte vierzig. Sie haben während ihres Studiums in einer Wohngemeinschaft gelebt und eine geschwisterliche Freundschaft gepflegt. Zufällig treffen sie sich nach zwanzig Jahren wieder und beginnen einen intensiven Austausch über Mail und soziale Medien.
    Stefan ist inzwischen bei der maßgeblichen Hamburger Wochenzeitung „Der Bote“ Kulturchef und bald stellvertretender Chefredakteur. Theresa hat den ehemaligen LPG-Bauernhof ihres Vaters in Brandenburg weitergeführt. Während sich Stefan auf der Kommandobrücke des Zeitgeistes wähnt, fühlt Theresa sich schikaniert von der Agrarbürokratie und ins gesellschaftliche Abseits gedrängt.

    Karikatur der politischen Korrektheit

    Die Sympathien sind nicht gleichmäßig verteilt. Während Theresa durch eine schwere Ehekrise geht und wacker den Brandenburger Hofalltag bewältigt (melken um vier Uhr morgens), profiliert sich der Single Stefan in seinen Mails und Messages als Karikatur der politischen Korrektheit, als Spezialist für Rassismus, Gender, „toxische Männlichkeit“ und vor allem die Klimakatastrophe. Das klingt oft herablassend besserwisserisch, und Theresa zeigt sich genervt von seiner journalistischen Pädagogik.
    Die Handlung spielt im Jahr 2022. Die Nähe zu den Problemen der Gegenwart mag man als brisant empfinden. Allerdings könnte man auch die Frage stellen, warum man einen Roman lesen soll, der all die aktuellen Debattenthemen noch einmal aufbereitet, mit denen wir täglich in den Medien bis zum Überdruss eingedeckt werden.
    Interessant sind aber weniger die Themen selbst als die mit diesem Material geleistete Darstellung der Gegenwelten und der Schlagabtausch zweier immerhin Verständigungswilliger.
    Stefans moralische Hybris bekommt Schlagseite, als er für seine Klima-Sonderausgabe zwei junge Klimaaktivisten engagiert, die die Redaktion Furcht und Zittern lehren mit ihrem Sendungsbewusstsein und einem geradezu leninistischen Kontrollwillen. Apokalyptiker haben keine Zeit für demokratische Prozesse. Und dann geht es beim „Boten“ drunter und drüber: digitales Denunziantentum und ein gewaltiger Shitstorm gegen den Chefredakteur. Als Zündstoff dient vermeintlicher Rassismus. Toxische Kommunikation in den sozialen Medien ist ein Hauptthema des Romans.

    Fast ein Liebesroman

    Angesichts des Twitter-Hetzmobs schwört Stefan dem schreibenden Aktivismus ab. Er bewegt sich auf Theresa zu. Aber kurz bevor aus der Brief- eine Liebesbeziehung werden kann, ereilt ihn ein Karriereschub. Überraschend wird er zum neuen Chefredakteur des „Boten“, der sich fortan „Bot*in“ nennt. Die Satire erreicht den Gipfel, wenn sich am Ende der woke Journalismus bei der rauschenden Relaunch-Party selbst feiert.
    Stefan steht als Karrierist und Opportunist da, während Theresa immer mehr verzweifelt und in radikale Kreise abdriftet, die sich schließlich zu einem buchstäblich blutigen Protest nach Berlin aufmachen. Für Stefan ist das Querdenkertum. Theresa antwortet nicht mehr.
    Der Briefroman ist ein altes Genre, das hohe Emotionalität und Authentizität bietet. Geschickt nutzen Zeh und Urban die Möglichkeiten der wechselnden Perspektive. Dass der Roman bei der Darstellung des Journalismus plakativ übertreibt, gehört zur Satire, die allerdings auch manche Ressentiments gegen die sogenannten Mainstream-Medien bedient.
    „Zwischen Welten“ erkundet die Möglichkeiten der Verständigung in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft – um im Finale die Brücke krachend einstürzen zu lassen. Nicht gerade ein Signal der Hoffnung.
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