Zwischen Überleben und Untergang

Von Michael Laages · 15.04.2012
Die Förderung junger Theater-Autorinnen und -Autoren gehört inzwischen zu den wichtigsten Aufgaben deutschsprachiger Bühnen. Dabei will auch das Schauspiel Essen nicht fehlen. Bei der ersten Auflage der Autorentage konkurrierten acht verschiedene Stücke um den Siegerscheck. Hartmut Musewald gewann.
Immerhin haben sich diese Autorentage mit einer echten Überraschung im Marathon der Autorenförderung in Deutschland positioniert – ausgerechnet der älteste Teilnehmer gewann in Essen: Hartmut Musewald, Mitte 50 und vor Ort zu Hause, berufslebenslang als Journalist und Fotograf tätig, aber auch mit starkem Hang zum literarischen Schreiben. Wie sich das denn so anfühle als preisgekrönter Jung-Autor, fragte der Essener Jury-Sprecher Stefan Keim:

"Jung-Autor ist schon merkwürdig – zumal das Stück ja eher ein Zufall war! Aber das liegt wohl am Schreiben selben selber – das ist ja ein bisschen Therapie; sagt jedenfalls meine Frau immer."

"Wurst oder Atombombe … und das, wo ich
Atombomben wirklich nicht mag. Scheiß
Gewiss’! Wurst oder Bombe … Keiner geht’s
nicht … warum nur ich, immer ich, ehrlich...
aber das ist das Problem: ehrlich!
Unehrlich sein und nicht verrecken; ehrlich sein und verrecken!"

"Verpiss Dich, Gewiss" fordert Musewalds Preisträgerstück, das nun zur Eröffnung der nächsten Essener Autorentage in ziemlich genau einem Jahr uraufgeführt werden wird; und es erzählt die Geschichte eines Übriggebliebenen, ohne Arbeit und lange Zeit auch ohne Liebe, der als fast schon letzte Chance Angebote annehmen muss, die sein Gewissen, das "Gewiss" eben, dramatisch auf die Probe stellen; ein Loser, ausgesetzt unter anderem den groben Attacken der Schwiegermutter in spe:

"Du verkommenes Stück von Schwiegersohn!
Willst immer alles – gute Arbeit, jeden Tag
von mein’ Lieschen 'nen guten Fick; alles
für lau, alles umsonst. Aber das kannze
vergessen. Und wie Du das vergessen
kannst!"

Strategien zwischen Überleben und Untergang – in etwa so lassen sich die acht Stück-Profile definieren, die in Essen konkurrierten. Und erfolgreicher als der von der Jury ausgezeichnet Preisträger war in Essen nur der Berliner Autor Mario Salazar, dessen Text "Am Leben werden wir nicht sterben" als letzter ins Rennen ging und den Publikumspreis ergatterte. Das ziemlich herunter gekommene Personal in einem noch ärger herunter gekommenen Hinterhof driftet bei ihm zwischen Hoffnungslosigkeit und Aufbruch – Roland Hüve dagegen hatte zu Beginn die strenge Strategie von Selbstmordattentätern entwickelt, die sich an unbelebten Plätzen (also nur mit sich selber als Opferlamm) in die Luft sprengen mit Sätzen wie diesem auf dem Bekenner-Video:

"Tag für Tag sterben Millionen Menschen an
Hunger – und der Nestle-Konzern macht
Geschäfte mit Wasser! Das muss aufhören!"

Parallel führt Hüve derlei fundamentalen Horror mit einer auch sehr grundsätzlichen Liebesgeschichte – "Brandsätze", so der Titel des Stücks, dürften Bühnen finden auch ohne Preis. Sandra Gugic entwarf eine Art szenisch-gedanklicher Zeitgeist-Collage, Nikolaus Günter das Drama zielloser junger Leute, deren Fluch das Älterwerden ist; dafür gab’s den dritten Preis. Derweil erfanden Enno Stahl und Stefan Filipiak offensiv und spekulativ eine rheinische Tupac-Amaru-Terror-Gruppe, bei deren Anschlag sich als größter Erfolg (und bevor die GSG 9 zuschlägt) Rundum-Präsenz in den Medien einstellt.

"Protest ist eine Art gut laufendes Geschäft
Geworden und Teil des Medien-Alltags: bei
Demos rumschreien, Fahnen schwenken –
Unsere Aktion soll solche Aktionen ersetzen
Durch eine Art lustvolle Hausbesetzung!" –
"Das klang jetzt sehr theoretisch; ich weiß
Nicht, ob unsere Zuschauer verstehen, was
Ihr wirklich wollt..."

Nora Schüssler beschwört eine alltäglichere Attacke – in die gemütliche Bürger- und Vorgartenwelt lässt sie einen Ex-Knacki einbrechen, der alle Beziehungen ver-ändert – Platz, fand die Essener Jury.

Wie wichtig sind Wettbewerbe wie diese, auch und speziell dann, wenn fürs erste keine Ehrung dabei herausspringt? Fragen an Charlotte Roos, deren mittlerweise viertes Stück "Wir schweben wieder" die Autorentheater eröffnet hatte:

"Ich denke immer wieder nach übers Weitermachen. Ich bin ja noch nie nachgespielt worden und brauche darum solche Wettbewerbe immer noch. Und da achte ich nicht so sehr darauf, ob mir das Spaß macht. Hier waren eigentlich zu viele Autoren am Start – aber man sieht natürlich auch, was andere so schreiben, und darum ist so ein Marathon dann dann doch ganz lustig."

Womit überzeugt denn eine neue Autorin, ein neuer Autor? Dadurch, dass er mit dem eigenen Leben hinter dem Stück steht – so hatte es Jury-Mitglied Armin Petras formuliert, Noch-Intendant am Berliner Maxim-Gorki-Theater. Andererseits, so Hans-Jürgen Drescher, nach 20 Jahren im Suhrkamp-Theaterverlag jetzt Direktor der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg, müsse wirklich nicht alles und jeder Text (Zitat) "auf den Markt gekotzt" werden. Für die Teilnehmer auch in Essen war wenn schon nicht das Geld auf dem Konto so doch die Inspiration auch die Kollegen wichtig; noch einmal Charlotte Roos:

"Das mit dem Konto ist ein schöner Effekt – aber vor allem wird ein Stück dann eben doch eher mal gelesen in den Theatern, wenn so ein Preis dran klebt."

Auch ohne Essener Preis hat Charlotte Roos gut reden – "Wir schweben wieder", ihr neuer Text, wird beim "Stückemarkt" in Heidelberg ebenso dabei sein bei den "Autorentheatertagen" am Deutschen Theater in Berlin. In diesem Sinne gilt auch für sie das Essener Motto: "Stück auf!"
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