Zwischen Traum und Realität

Von Hartmut Krug · 30.10.2010
Anlässlich seines 225. Geburtstags erzählt das bunte Stück vom wechselvollen Leben des Fürst Pückler. Als Autodidakt schuf er herrliche Landschaftsparks, verkehrte mit Heine, Goethe und Bettina von Arnim und verfasste Reisebücher.
Das Staatstheater Cottbus hat sich am 225. Geburtstag von Hermann Ludwig Heinrich Graf von Pückler an ein ehrgeiziges Großprojekt gewagt. In der Gastregie von Johann Kresnik sind alle Sparten des Hauses an einer biografischen Revue beteiligt, in der der 85-jährige Pückler kurz vor seinem Tod auf sein Leben zurückblickt. Es ist ein Theaterabend, der vor allem beeindrucken will.

Er beginnt als Show: Hinter silbrig glitzerndem, durchsichtigem Vorhang sitzt das Orchester, während vorn zur flotten Musik eines Saxophonistinnen-Quartetts Bauchtänzerinnen, Transvestiten, Kleinwüchsige, Bodybuilder und Feuerjongleure über die Bühne toben. Der schwarz gekleidete Opernchor rückt mit Verdis "Steig, Gedanke ..." gegen die Rampe vor, wo zwei ungelenke Stripperinnen, von denen eine schwanger ist, ihr Handwerk bis zum nackten Ende verrichten. Hirsche tanzen in weißer Unterwäsche über die Bühne, und die Sopranistin Sarah Behrendt beweist ihre Sangeskunst in völliger Hüllenlosigkeit.

So wie er beginnt, setzt sich der zweistündige, sich pausenlos in rund 20 Szenen durch Pücklers Leben arbeitende Abend fort: als ein weniger auf inhaltliche Deutlichkeit als auf äußerliche Buntheit setzendes Beeindruckungstheater. Pücklers wechselvolles Leben als liberaler Adliger, der, obwohl verheiratet, sich aus Geldnot in England auf die Suche nach einer reichen Frau machte, der über seine Reisen in ferne Länder Bücher veröffentlichte und als Autodidakt herrliche Landschaftsparks schuf, der mit Heine, Goethe und Bettina von Arnim zusammenkam, wird in einer heftig hin- und herspringenden Collage ausgebreitet.

Das weder sprachlich noch dramaturgisch überzeugende Libretto von Kresniks langjährigem Mitarbeiter Christoph Klimke verlangt den kenntnisreichen Zuschauer. Da streitet sich ein Napoleon in Stars-and-Stripes-Shorts mit Pückler über die Notwendigkeit von Kriegen, worauf man als Fazit singt "Im Leben, im Leben, geht mancher Schuss daneben." Ein Pferd zieht ein Bett auf die Bühne und sorgt mit seinem ungeplanten Äpfeln für Publikumsbegeisterung, drei Melkerinnen im Bikini umhüpfen ihre als Trommeln benutzten Milchkannen. Später ironisieren sie mit troddelbewehrten, aufgeschwellten Schwarzwoll-Brüsten, wobei eine der drei wie Josephine-Baker Bananen um die Hüften trägt, Klischees über Afrika. Wenn schließlich die Sopranistin in der Rolle der Opernsängerin Henriette Sontag ein Lied über die demokratischen Ideen des Monarchisten Pückler singt, trägt sie eine große, lebendige Boa um den Hals.

Pücklers Leben zwischen Realität und Traum bebildert Kresnik mit kleinen Gags und Effekten. Doch der Erfinder des choreografischen Theaters, der einst große und provokante Bilder erfand für seine politisch-biografischen Abende über Frieda Kahlo, Rosa Luxemburg, Ulrike Meinhof oder Leni Riefenstahl, bietet dieses Mal nur flaues Stehtheater. Die Tänzer, die außer albernen Diskobewegungen nichts zu tun haben, können einem ebenso leidtun wie die Schauspieler, die keine Figuren zu spielen haben, sondern immer nur als Zitat- und Erklärgeber fungieren.

Besonders hart trifft es den Gast Roland Renner in der Rolle Pücklers. Er muss, gelegentlich mit einem Äffchen auf der Schulter, unentwegt sinnierend herumstolzieren, wenn er sich nicht gerade in den Schaum einer Badewanne legt, um mit einem ägyptischen Despoten zu disputieren, oder mit seiner afrikanischen Geliebten Machbuba auf dem Rücken hereinzukrabbeln. Renner hat keine Chance in diesem unbeweglich aufgedrehten Äußerlichkeitstheater, - er mogelt sich mit Dauerlächeln und monoton bedeutungsvoller Vortragsweise durch den Abend. Einen Abend, der mit einer Vorfahrt im offenen Sport-Trabbi von Quichotte, Herwegh, Marx und Pückler, bei der Quichotte über seine Utopie eines gerechten, goldenen Zeitalters erzählt, immerhin noch eine nette Kabarettszene aufzuweisen hat. Düster aber ist der Schluss: Die Bäume fallen, und aus dem Bühnenhimmel regnet es Müll: Wir sind aus Pücklers Traumwelt zurück in unserer Gegenwart. In der das Staatstheater Cottbus mit dem Engagement von Johann Kresnik hoch gegriffen und tief gefallen ist. Ein trauriger Abend.

Staatstheater Cottbus "Fürst Pücklers Utopia"