Zwischen Theologie und Theater

Von Christoph Leibold · 15.09.2009
Alle zehn Jahre bringt das oberbayerische Dorf Oberammergau die Leidensgeschichte Jesu Christi auf die Bühne. Nächstes Jahr ist es wieder soweit. Die Proben für die Passion 2010 beginnen Ende November 2009. Zur Einstimmung war das Kern-Ensemble jetzt auf Israelreise.
Otto Huber lächelt selbstironisch in seinen üppigen Vollbart hinein, den sich alle Oberammergauer Männer wachsen lassen müssen, die im kommenden Sommer auf der Passionsbühne stehen wollen. Da sind Bärte von biblischen Ausmaßen gefragt.

"Diese Passionsgeschichte ist ja nicht Geringes. Da ging alles los. Und irgendwie, nicht nur die Kriminellen gehen gern an den Ort ihres Ursprungs, ihrer Taten zurück, sondern auch die Christen."

Jetzt steht Huber, zweiter Spielleiter der Passion, aber erst mal noch auf der Via Dolorosa, jener Gasse, die sich einst Jesus Christus nach Golgatha hinauf zur Kreuzigung geschleppt haben soll. Gerade zieht eine Gruppe spanischer Pilger vorüber, singend und betend. Vier von ihnen tragen ein großes Holzkreuz. Rent a Cross nennen manche hier spöttisch diese Demonstration von Frömmigkeit. Und nun haben sich – so scheint es jedenfalls - dem großen Pilgerstrom ins heilige Land ausgerechnet die Oberammergauer Passionsspieler angeschlossen – als hätte man ihnen in der Vergangenheit nicht auch so schon oft genug Frömmelei vorgeworfen. Doch mit gewöhnlichem Pilgertourismus hatte diese Reise nichts zu tun, sagt Christian Stückl, erster Spielleiter:

"Ein halbes Jahr lang setzen wir uns jetzt mit der Geschichte auseinander. Wir werden jeden Tag proben, wie bringen wir es auf der Bühne rüber? Und ich glaube, wie brauchen eine Zeit, wo wir uns einfach mal über die Geschichte unterhalten. Wo wir Jesus an uns vorbei ziehen lassen, wo wir auch die anderen Figuren – Pilatus, Kaiphas, alle miteinander – bereden. Und ich habe einfach die Erfahrung, dass man an diesen Orten ganz anders redet, man ist mit der Figur völlig anders konfrontiert. Der kommt aus einem anderen Kulturkreis, man ist an einem anderen Ort und redet anders. Und da verspreche ich mir, dass sich etwas anders öffnet als wenn man daheim ist und nur auf der Probebühne probt daheim."

Dem Genius Loci, dem Geist der – angeblichen - Originalschauplätze von Jesu' Lebens- und Leidensgeschichte, wollten die Oberammergauer Passionsspieler in Galiläa und Jerusalem nachspüren. Und hatten sich dazu geistlichen Beistand geholt: Thomas Frauenlob, selbst aus Oberbayern und derzeit tätig in der Bildungskongregation des Vatikan, begleitete das Ensemble um Christian Stückl und diskutierte mit ihm über das neue Testament.

Was sich verdächtig nach Bibelkreis-Gesprächsrunde anhört, war tatsächlich der höchst spannende, und immer wieder auch glückende Versuch, eine Brücke zwischen Theologie und Theater zu schlagen. Christian Stückl, der die Passion 2010 zum dritten Mal inszenieren wird, hat über das Oberammergauer Passionsspiele den Weg ins Profitheater gefunden. Heute liest er die Evangelientexte, auf denen das Passionsspiel basiert, vor allem mit den Augen eines Theatermachers, der seine persönliche Sicht auf den biblischen Stoff mit auf die Bühne bringen will. Doch ein Passionsspiel, dessen religiöse Dimension für viele Zuschauer noch immer im Vordergrund steht, noch vor dem theatralen Aspekt, verträgt die radikale Freiheit nicht, die sich das moderne Regietheater heute regelmäßig herausnimmt. Theologe Thomas Frauenlob verstand sich in der Diskussion mit Christian Stückl und seinen Mitstreitern daher auch als eine Art notwendiges Korrektiv.

"Ich denke, ein Theatermann liest so einen Text, der so bildreich ist wie die heilige Schrift, natürlich anders als ein Theologe oder ein Exeget, der das zunächst einfach analysiert. Der hat sicherlich als Regisseur immer gleich im Hintergrund, was würde das auf der Bühne bedeuten, wie würde das aussehen. Er ist ein sehr profunder Kenner der heiligen Schrift, er hat die Fähigkeit, diese alten Texte zu übertragen in einer fast frechen und provozierenden Weise in unsere Tage hinein. Da muss er manchmal bissl gebremst werden insgesamt, aber es ist eine sehr inspirierende Atmosphäre, die dadurch entsteht."

Christian Stückl interessiert in seiner neuerlichen Oberammergauer Passions-Inszenierung sehr stark auch die politische Dimension von Jesu' Handeln. Haben die hohen Priester, haben die Römer um Pontius Pilatus diesen Mann, dem beim Einzug nach Jerusalem die Menschenmassen zujubelten, auch als Bedrohung ihrer Macht angesehen? Immer wieder kreisten die Diskussionen auf der Israelreise um Fragen wie diese. Und so gab die Fahrt der Passionsspieler ins heilige Land schon mal einen ersten Hinweis darauf, was für eine Jesusfigur die Zuschauer in Oberammergau erwartet. Auf alle Fälle wird es auch ein Messias mit sehr menschlichen Zügen sein, sagt Frederik Mayet, einer von zwei Jesus-Darstellern.

"Ich glaub, was man auf der Bühne zeigen kann, ist tatsächlich nur den Menschen. Ich glaub, alles, was das Göttliche ist, auf die Bühne zu bringen, das wird nur peinlich oder aufgesetzt. Wenn man auf der Bühne real spielen muss, das funktioniert nicht, wenn man ein Wunder zeigen müsste, wie die Brotvermehrung, oder wenn ein Lahmer reingetragen wird und er den Segen spricht und der dann aufspringt und rausläuft, da wird das Publikum nur lachen. Ich glaub, das funktioniert einfach nicht. Also je menschlicher er wird, umso besser wird's wahrscheinlich."