"Zwischen Schröder und Fischer gab es da heftige Wochen"

18.02.2011
"I am not convinced" betitelt Joschka Fischer seinen politischen Rückblick von 2001 bis 2005. Vor allem die Wochen vor dem "Nein" zum Irak-Krieg seien nicht einfach gewesen, sagt und schreibt Fischer. Auch nicht im Verhältnis zum Duz-Freund und Kanzler Gerhard Schröder.
Susanne Führer: Sieben Jahre lang war Joschka Fischer Außenminister einer Bundesregierung von SPD und Grünen. Im Jahr 2007 legte er den ersten Teil seiner politischen Erinnerungen an diese rot-grünen Jahre vor, also zwei Jahre nach Fischers Ausscheiden aus der Politik, das war recht flott. Für den zweiten Teil brauchte er dann doppelt so lange. "I am not convinced" heißt das Buch, das den Zeitraum vom 11. September 2001 bis zum Ende von Rot-Grün im Jahr 2005 umfasst. Ich habe Joschka Fischer gefragt, ob er für den zweiten Teil mehr Zeit gebraucht hat.

Joschka Fischer: Beides, es ist ja, wie Sie wissen, schreiben bisweilen auch Mühsal, es ist ja nicht immer nur Freude, selbst wenn man gerne schreibt. Zudem die Fülle des Materials aufzuarbeiten, auszuwählen und es dann in Schriftform zu bringen, das hat alles seine Zeit erfordert. Hinzu kamen berufliche Verpflichtungen, dann hatte man manchmal keine Lust – alles hat seine Zeit gebraucht, aber auch erfordert.

Führer: Es ist ja, wie Sie sagen, eine Menge Stoff, also es setzt ein mit dem 11. September 2001, dann geht es natürlich um den Einsatz in Afghanistan, der Irakkrieg, ganz zentrale Rolle, aber auch Innenpolitik, Hartz-Reform und so weiter, und ich hatte den Eindruck, es gibt eine Hauptfigur, klar, das sind Sie, Joschka Fischer, und es gibt eine zweite Hauptfigur, und das ist Gerhard Schröder.

Fischer: Ja, so war es. Er war der Kanzler, ich finde, er hat eine große Kanzlerschaft hinter sich gebracht, wo er zu Recht drauf stolz sein kann. Rot-Grün, das ist mein Fazit und das versuche ich auch im Einzelnen darzustellen, wollte die Macht nicht nur verwalten, sondern hatte den Ehrgeiz, diese Macht zu nutzen, um zu gestalten, und da glaube ich haben wir doch eine insgesamt sehr positive Bilanz vorgelegt.

Führer: Der Irakkrieg ist ja so etwas wie das geheime Zentrum Ihres Buches, habe ich den Eindruck, Herr Fischer, ...

Fischer: Geheim ist daran nichts, Frau Führer, es ist offensichtlich.

Führer: ... also das Zentrum Ihres Buches, und man bekommt den Eindruck, an diesem Punkt ganz besonders: Der Sponti war eigentlich Gerhard Schröder, und Sie der Stratege.

Fischer: Nein, die Arbeitsteilung war eine andere.

Führer: Also ich denke jetzt zum Beispiel an diesen Wahlkampfauftritt von Gerhard Schröder in Goslar, wo er gesagt hat, niemals stimmen wir einer Kriegsresolution im Sicherheitsrat zu, und Sie haben geschäumt.

Fischer: Das hatte … war spontihaftes, weil ich natürlich immer im Kopf hatte, was ... im Rückblick erscheint das alles nicht mehr als so relevant, aber damals aus der Situation heraus war ja noch völlig unklar, wie sich Frankreich verhält und wie sich Russland verhalten wird. Wenn wir in die Situation gekommen wären, dass Frankreich, Russland und damit auch China auf die Seite Amerikas und der Kriegsbefürworter gegangen wären, wären wir allein mit Syrien dagesessen, und das wäre nicht gegangen. Also insofern waren wir in einer echten schwierigen Lage, Gott sei Dank gelang das dann, dass es anders gelöst wurde, aber Chirac hat Schröder lange hingehalten auch unter dem Gesichtspunkt, er ging davon aus, Stoiber wird gewählt, und es war ja knapp. Also es dauerte ganz erheblich, faktisch bis in die heiße Phase hinein, bis klar war, dass Frankreich und Russland sich am Krieg nicht beteiligen würden. Damit war die Lage gelöst, aber zwischen uns, zwischen Schröder und Fischer gab es da heftige Wochen und wir waren da in einer Situation, wo wir eben beide gesagt haben, ich kann das nicht machen, also ich hätte nicht zugestimmt, dass wir mit "Nein" stimmen, allein mit Syrien, und Gerhard Schröder war an einem Punkt, wo er sagte, ich habe mich der deutschen Öffentlichkeit gegenüber festgelegt – ich mache das nicht. Aber Gott sei Dank haben wir da einen Ausweg gefunden.

Führer: Na ja, der Ausweg war ja, dass es ja gar keine Resolution dann gegeben hat, aber Herr Fischer, diese Stelle fand ich wirklich sehr interessant und ein Lehrstück in Sachen Realpolitik, weil naive Menschen wie ich und offensichtlich damals auch Gerhard Schröder gedacht haben: Wir sind gegen einen Irakkrieg, also stimmen wir dagegen, egal, wer noch außer uns dagegen stimmt oder nicht. Und man könnte doch annehmen, das ist eigentlich die entscheidendere Frage – und Sie sagen, wir machen es abhängig davon, wer noch mit uns stimmt?

Fischer: Na ja, schauen Sie: Es war ja eine Frage, nicht nur dazustehen und ein Bekenntnis abzuliefern – ich war gegen diesen Krieg und ich war nachträglich der Meinung, dass wir uns auf der Seite derer positionieren, die da nicht mitmachen, aber wir hatten natürlich auch darüber hinausgehende Interessen. Wir konnten fast fünf Jahrzehnte Westorientierung und Bündnisorientierung nicht einfach an dieser einzelnen Frage drangeben. Deswegen war es so wichtig, dass wir Spielraum behalten. Klar war: Wir werden uns daran nicht beteiligen. Ich war immer der Meinung, wir müssen uns offenhalten, solange wir nicht wissen, wie Frankreich sich verhält, wir müssen uns offenhalten, wie wir dann in der Schlussabstimmung wirklich abstimmen, ob wir bei der Enthaltung bleiben. Dass es so weit nicht gekommen ist, das finde ich richtig und wichtig über den Tag hinaus – und das hat nichts mit Realpolitik zu tun, sondern schlicht und einfach mit der Gesamtheit der Interessen unseres Landes. Wir waren ja auch ... obwohl wir den Krieg abgelehnt haben, haben wir Überflugrechte garantiert, haben die amerikanischen Basen hier bewacht, als die Soldaten in den Irakkrieg gingen. Das alles waren Bündnisinteressen, die über unser Nein zum Irakkrieg hinausgingen, das muss man in Rechnung stellen, und die Verpflichtung der Bundesregierung ist ja, die Interessen unseres Landes zu wahren, und genau darum ist es gegangen.

Führer: Über den Tag hinaus sind heute alle froh auf jeden Fall, dass Deutschland sich nicht an diesem Irakkrieg beteiligt hat. Allerdings stehen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan, kämpfen dort nach wie vor. In Ihrem Nachwort, Herr Fischer, verteidigen Sie diesen Einsatz der Bundeswehr auch noch mal und schreiben aber auch: "Gewiss, man kann in Demokratien Kriege nicht auf Dauer gegen die Mehrheit der Bevölkerung führen", und zählen dann wiederum plausible Argumente für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auf. Aber wie lange kann das gut gehen gegen die Mehrheit der Bevölkerung?

Fischer: Ich verstehe es und es kann nicht auf Dauer sein, dass unsere Soldaten diesen Risiken ausgesetzt werden. Aber auf der anderen Seite zu sagen, wir gehen jetzt – da bitte ich Sie, daran zurückzudenken: Genau das haben die Amerikaner '89, '90 getan. Die Rote Armee ist abgezogen, der Krieg war zu Ende, die USA haben das Interesse verloren, haben sich faktisch zurückgezogen, nicht mehr gekümmert. Daraufhin sind die Regionalinteressen in dieses Vakuum eingedrungen, und es ist ein furchtbarer Bürgerkrieg entstanden mit der Konsequenz, dass die Taliban und Al-Qaida dort durchgesetzt und festgesetzt haben, und nach dem 11. September 2001 mussten die USA zurückkehren. Wir können kein Interesse an einer solchen Entwicklung haben. Deswegen ist es wichtig, dass ein Minimum an regionaler Stabilität und Sicherheit vor Ort geschaffen wird, ich sage, ein Minimum, dass wir eine solche Rückkehr der Gewalt, der Unterdrückung nicht erleben. Im Übrigen: Was glauben Sie, was Sie und andere zu Recht an Empörung der Regierung entgegenschleudern werden, wenn die ersten Berichte um Bilder von misshandelten Frauen und Mädchen und Ähnliches mehr uns hier erreichen werden? Es ist einfach zu sagen, das hat mit Realpolitik nichts zu tun, aber es ist was ganz anderes, wenn man dann die schrecklichen Folgen eines Abzuges sieht. Und deswegen plädiere ich dafür, nicht dort auf Dauer zu bleiben, sondern die Bedingungen dafür zu schaffen, dass man gehen kann, und diese Bedingungen bedürfen eines gewissen regionalen Konsenses, den ich für herstellbar halte.

Führer: Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer im Deutschlandradio Kultur, seit gestern ist sein neues Buch "I am not convinced – Der Irakkrieg und die rot-grünen Jahre" in den Buchhandlungen. Herr Fischer, was sagen Sie eigentlich zu den ja wirklich umstürzenden Bewegungen in der arabischen Welt?

Fischer: Man kann nur sagen, endlich, und man kann zugleich nur hoffen, dass die europäischen Regierungen und die US-Regierung begreifen, dass die Frage, geht das in Richtung Demokratisierung oder geht das in Richtung Destabilisierung, noch nicht entschieden ist. Wenn die Demokratiehoffnungen scheitern, wird Radikalisierung die nächste Runde bedeuten, und das wird für Europa sehr gefährlich und sehr teuer werden, das sollten wir nicht zulassen, und das wird einen langfristigen Atem brauchen. Wir sind auf dem Balkan weit vorangekommen, aber noch lange nicht durch. Nun frage ich Sie: Wer interessiert sich heute noch für den Balkan?

Führer: Sie haben gerade Radikalisierung als Gegensatz zu Demokratisierung verwendet. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das unbedingt so sein muss. Israel ist ja nicht das einzige Land, was Sorge hat, dass eine Demokratisierung Ägyptens zum Beispiel auch zu einer Radikalisierung der ägyptischen Außenpolitik führen könnte. Also ich meine bei den Parlamentswahlen in Palästinensergebieten hat die Hamas gewonnen.

Fischer: Ja, jetzt fragen Sie sich mal, warum.

Führer: Ja, aber nur mal angenommen, ...

Fischer: Fragen Sie sich mal, warum Hamas gewonnen hat. Das Hauptproblem war die Korruption der Fatah. Und nun kann man den Standpunkt einnehmen. Man darf nicht wählen, vielleicht war der Zeitpunkt auch falsch gewählt, aber ich glaube, das geht an der Sache vorbei. Wenn man im Bündnis mit korrupten autoritären Herrschern ist, dann wird man eines Tages vor die Frage gestellt werden, dass dies nicht nachhaltig ist, dass das nicht auf Dauer funktioniert, und dann haben Sie mit den Konsequenzen zu tun. Deswegen halte ich es für so wichtig, dass man beizeiten auf Handel setzt und dass man dabei nicht erlahmt, nicht ermüdet. Das sind langfristige Prozesse, und diese langfristigen Prozesse ... es gibt dort keine EU, es gibt dort keine NATO, es gibt da also nicht einen festen Rahmen, der von außen gesetzt wird. Umso mehr müssen wir dort in die gemeinsame Zukunft – und das muss eine demokratische sein – investieren. Der Nahe Osten wird nie wieder der Nahe Osten sein, wie wir ihn bis zum 11. Februar kannten. Es nützt nichts, darüber zu jammern. Ich bin dafür, zu versuchen, diese Entwicklung mitzugestalten.

Führer: Die Frage bleibt ja trotzdem: Was passiert, wenn demokratisch gewählt Regierungen an die Macht kommen, die eben der EU, die den USA, die Israel und so weiter nicht passen? Das Beispiel ist die Hamas, da hat man auch gesagt, wir reden nur mit euch, wenn ihr diese und jene Bedingung erfüllt, also Existenzrecht Israels anerkennt, Gewaltverzicht leistet und so weiter. Da hat die Hamas gesagt, machen wir nicht, dann hat die USA gesagt, dann reden wir nicht mit euch.

Fischer: Das ist ja nicht nur eine Frage des Redens. Sie können mit einer Regierung, die das Existenzrecht Israels infrage stellt, werden Sie Schwierigkeiten haben als Bundesregierung, mit denen zu reden. Worüber?

Führer: Aber ...

Fischer: Dass es nicht heute geschieht, sondern vielleicht morgen, das glauben Sie doch im Ernst nicht? Das sind bestimmte Dinge, wo man sich drauf verständigen muss, und zwischen Ägypten und Israel existiert ein Friedensvertrag. Sie können auch nicht sagen, Demokratie heißt immer Destabilisierung, ganz im Gegenteil, ich glaube, dass die demokratische Bewegung da ein gewisses Vertrauen auch verdient hat angesichts dessen, was die Menschen geleistet haben. Wir sollten hier eine aktive Demokratisierungsstrategie voranbringen, und zwar in der ganzen Breite, und dann glaube ich wird das auch eine positive Entwicklung haben. Die Alternative ist eine Radikalisierung der gesamten Region, und das ist etwas, was ich also hoffe, dass wir das nicht erleben. Aber die Alternative heißt nicht, wir machen mit den Mubaraks wie gestern weiter, das wird nicht funktionieren. Das gilt für alle anderen autoritären Herrscher und Regimes dort ebenfalls.

Führer: Joschka Fischer im Deutschlandradio Kultur. Sein Buch "I am not convinced – Der Irakkrieg und die rot-grünen Jahre" ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen.
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