Zwischen Schlafen und Wachen

26.02.2010
Der Wiener Autor Hermann Broch entwirft in seiner Romantrilogie "Die Schlafwandler" ein präzises Bild seiner Zeit, in dem er seine zentralen Figuren auf der Schwelle zwischen Schlafen und Wachen ansiedelt. Der Roman liegt nun in einer Hörspielfassung vor.
Schlafwandler darf man nicht wecken, denn erschreckt man die Somnambulen, könnte ihr plötzliches Erwachen fatale Folgen haben.

"Groß ist die Angst dessen, der erwacht."

Diese Furcht ist den zentralen Figuren in Hermann Brochs Roman "Die Schlafwandler" fremd, denn ihnen ist nicht bewusst, dass sie traumwandlerisch einem Weg folgen, der geradewegs in die Katastrophe führt. Sie schreiten fest aus, doch die Festigkeit des Schrittes täuscht darüber hinweg, dass sie in Wirklichkeit ziellos umherirren. Der 1932 erschienene Roman, den Hermann Broch zwischen 1928 und 1931 in Wien schrieb, ist nun im Hörbuchverlag erschienen. Herausragende Stimmen – unter anderen sind Jürgen Hentsch, Manfred Zapatka, Hanns Zischler, Werner Wölbern, Jens Harzer zu hören – machen diese Produktion zu einem faszinierenden Hörerlebnis.

Wie im Schlaf bewegen sich Brochs Figuren durch eine in Unordnung geratene Wirklichkeit, wobei sie besessen sind von dem Wunsch, dass wieder in Ordnung kommt, was in eine Schieflage geraten ist. Diese Hoffnungen hegt auch Joachim von Pasenow, der im ersten Teil der Romantrilogie "1888 - Pasenow oder die Romantik" auf das Militär setzt.

"Er liebte es nicht, Zivil anzulegen."

Überall dort, wo es an militärischer Ordnung fehlt, vermutet Joachim von Pasenow zivile Unanständigkeit, wie sie in den dunklen Vergnügungsetablissements der Großstadt herrscht.

"Gewiß braucht er über diese Dinge nicht eigens nachzudenken, denn eine richtige Uniform gibt ihrem Träger eine deutliche Abgrenzung seiner Person gegenüber der Umwelt, sie ist wie ein hartes Futteral, an dem Welt und Person scharf und deutlich aneinanderstoßen und voneinander sich unterscheiden. […] So wird dem Mann, der des Morgens seine Uniform bis zum letzten Knopf geschlossen hat, tatsächlich eine zweite und dichtere Haut gegeben, und es ist, als ob er in sein eigentliches und festeres Leben zurückkehre. Abgeschlossen in seinem härteren Futteral, verschlossen mit Riemen und Klammern, beginnt er seines eigenen Untergewandes zu vergessen und die Unsicherheit des Lebens, ja das Leben selbst rückt fern ab."

Nach Sicherheit sehnt sich auch der Buchhalter August Esch, der im zweiten Teil des Romans "1903 - Esch oder die Anarchie" im Zentrum steht. Dieser Pflichtgeborene würde gern die schöne Stimmigkeit der Zahlen, die er in seinen Kontobüchern addiert, auf die weltliche Ordnung übertragen. Doch er muss feststellen, dass sich die Buchungsfehler der Wirklichkeit nicht wie Rechenfehler korrigieren lassen.

"Ordnung muss sein, wenn man hinaufkommen will."

Aus diesem Gefühl heraus, dass Ordnung sein muss, hat 1914 eine ganz Generation von jungen Männern freiwillig zu den Waffen gegriffen. Der dritte Teil von Brochs Schlafwandler-Trilogie "1918 - Hugenau oder die Sachlichkeit" setzt kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs ein. Er ist Wilhelm Hugenau vorbehalten, einem Deserteur der vor dem Krieg Kaufmann war. Diese wertfreie Existenz wittert in Zeiten, die an Korrektheit verloren haben, seine Chance. Mit betrügerischen Mitteln und zwielichtigen Finanzgeschäften gelingt es ihm schließlich, ans Ziel zu kommen.

"Er wunderte sich selber: ohne Geschäft und trotzdem zufrieden! So zufrieden, dass er gerne bei dem Gedanken an all die Schwierigkeiten verweilte, die sich unweigerlich einstellen würden, wenn ein Mann wie er, ein Mann ohne Ausweispapiere, ohne Kundenstock in einer fremden Stadt ein Geschäft begründen und einen Kredit finden wollte. Und sich diese Verlegenheit auszumalen, war ausgesprochen erheiternd."

In Klaus Buhlerts Inszenierung stehen die monologischen Reflexionen der zentralen Figuren im Vordergrund. Selbst an den Stellen, wo Brochs Erzählweise Dialoge anbietet, verzichtet Buhlert auf eine dialogische Gesprächsauflösung. Diese fast puristisch zu nennende Produktion, die in erster Linie der Stimmgewalt der Schauspieler vertraut, setzt Musik nur sporadisch ein und hält sich auch in der Verwendung von Geräuschkulissen dezent zurück. Durch die damit verbundene Konzentration auf Brochs Sprache gelingt es allerdings, den Dämmerzustand einer ganzen Epoche sehr eindringlich hörbar werden zu lassen.

"Der Schlaflose hält die Augen geschlossen, als wolle er die kühle Grabesfinsternis, in der er liegt nicht sehen, dennoch fürchtend, das die Schlaflosigkeit in gewöhnliches Wachsein umschlagen könnte."

Hermann Brochs Schlafwandler die zunächst in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs taumeln, erwachen für einen Moment, um im nächsten Augenblick wieder in einen Dämmerzustand zu verfallen. Der allerdings treibt sie einer noch viel größeren Katastrophe entgegen.

"Groß ist die Angst des Menschen, der sich seiner Einsamkeit bewusst wird und aus seinem eigenen Gedächtnis flüchtet; ein Bezwungener und Ausgestoßener ist er, zurückgeworfen in tiefste kreatürliche Angst, in die Angst dessen, der Gewalt erleidet und Gewalt tut. Und in der Furcht vor der Stimme des Gerichtes, die aus dem Dunkel hervorzubrechen droht, erwacht in ihm mit doppelter Stärke die Sehnsucht nach dem Führer, der leicht und milde bei der Hand ihn nimmt, ordnend und den Weg weisend."

Besprochen von Michael Opitz

Hermann Broch: Die Schlafwandler
Der Hörverlag, Produktion des Bayrischen Rundfunks
10 CDs, 615 Minuten, 49,95 Euro