Zwischen Repression und Tourismus

Von Michael Frantzen · 05.03.2013
Jahrzehntelang hat Sri Lanka unter dem blutigen Bürgerkrieg zwischen Staat und tamilischen Separatisten gelitten. Seit fast vier Jahren geht es nun im Land voran. Doch noch immer herrscht ein Klima der Angst: der Regierung von Präsident Rajapaksa wird vorgeworfen, eine Kampagne gegen Oppositionelle zu führen.
Das dürfte ein langer Nachmittag werden. Gewerkschaftsführer Anton Marcus stützt die Ellenbogen auf seinen Schreibtisch und schaut verstohlen auf die Plastikuhr neben der goldenen Trophäe mit der stilisierten Arbeiterfaust: kurz vor halb fünf. Gut anderthalb Stunden dauert die Sprechstunde im Hauptsitz der landesweit größten "Gewerkschaft der Freihandelszonen" jetzt schon, einem vergitterten Gebäude im Zentrum Colombos, der Hauptstadt Sri Lankas. Auf dem Flur steht noch ein gutes Dutzend Ratsuchender herum, die darauf warten, von Marcus empfangen zu werden. Ist eigentlich immer so, meint der Mann mit grauen Haaren und den junggebliebenen Augen. Sie haben ja auch genug Probleme.

"Die Regierung legt uns Steine in den Weg, wo sie nur kann. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Letztes Jahr haben wir in einer Textilfabrik am Flughafen einen Ableger unserer Gewerkschaft gegründet. Das fanden die Bosse dort gar nicht gut. Sie haben unseren Leuten gedroht: Wenn ihr hier weiter arbeiten wollt, müsst ihr wieder austreten. Dagegen haben wir beim Arbeitsministerium geklagt. Und was ist passiert? Das Ministerium meinte, wir müssten per Abstimmung nachweisen, dass mindestens 40 Prozent der Belegschaft Gewerkschaftsmitglied sei. Am Tag der Abstimmung haben die Besitzer die meisten Beschäftigten nicht aufs Gelände gelassen – mit dem Ergebnis, dass von 380 Arbeiterinnen nur 22 wählen konnten. Die Regierung aber stört das nicht. Sie sagt: Wir haben ein offizielles Ergebnis."'"

Die insgesamt 14 Freihandelszonen, die es ausländischen Unternehmen ermöglichen, günstig in Sri Lanka Geschäfte zu machen, sind wichtig für das 20-Millionen-Einwohner-Land. Deutsche Textilketten lassen hier genauso produzieren wie US-amerikanische und japanische – zollfrei und zu Niedriglöhnen: Auf monatlich 80 bis 100 Euro kommen die rund 280.000 Angestellten, die meisten davon Näherinnen, erklärt Anton Marcus in seinem Büro.

Es ist Abend geworden. Draußen schieben sich die Autos und Tuk-Tuks, die dreirädrigen Motorrad-Taxis, hupenderweise in Schrittgeschwindigkeit durch die abendliche Rush-Hour. Drinnen hat es sich der Gewerkschaftsmann nach getaner Arbeit gemütlich gemacht: Schuhe aus, Füße auf den Schreibtisch. Gedankenversunken spielt der 64-Jährige mit dem vergilbten Bierdeckel einer belgischen Brauerei.

Alleinschuld an Misere im Land
Vor dreieinhalb Jahren war er in Brüssel, um die EU über die Missstände in seinem Land zu informieren. Marcus springt auf und kramt einen Brief mit dem EU-Logo hervor: Hier! Wegen "Behinderung von Gewerkschaftsarbeit und anderer Menschenrechtsverletzungen", steht da, entziehe die EU Sri Lanka den Status eines privilegierten Handelspartners. Seitdem fallen Zölle auf Textilien aus Sri Lanka an, gingen die Exporte in die Europäische Gemeinschaft im letzten Jahr um fast zehn Prozent zurück. Schuld an der Misere ist laut offizieller Lesart vor allem einer: er.

""Ja, ja. Ich kenne das schon. Die Fabrikbesitzer haben auch schon mehrmals versucht, mich umbringen zu lassen. Und die Regierung? Erst letztens hat der Arbeitsminister in einer im Fernsehen übertragenen Rede gemeint: Dieser Marcus ist Teil einer internationalen Verschwörung. Er will Sri Lanka vom Westen abhängig machen. Wortwörtlich hat er gesagt: Marcus arbeitet gegen die nationalen Interessen. Das habe ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich habe ihm geschrieben: Wo sind die Beweise? Lassen sie uns öffentlich darüber diskutieren. Nichts. Auf seine Antwort warte ich heute noch."

"The government is incapable and unwilling to reap the peace dividend."

Eine Regierung, die unfähig und unwillig ist, die Friedensdividende einzulösen: Mag Sanjana Hattotuwa auf der anderen Seite der Stadt optisch und vom Auftritt her auch ein Kontrastprogramm zum rustikalen Gewerkschaftsmann Marcus bilden: Von Präsident Mahinda Rajapaksa ist der alerte Friedensaktivist mit dem sorgsam gestutzten Dreitagebart genauso enttäuscht.

Sein Think Tank, das "Zentrum für Politikalternativen", liegt in Colombo 5, dem fünften Bezirk. Die Villen hier stammen noch aus britischer Kolonialzeit, die vor ihnen parkenden Autos vorzugsweise aus deutscher Produktion. Alles sehr westlich. Wenn da nicht die zwei Bilder in Hattotuwas Büro wären: auf einem, ein Gemälde, ist ein Soldat mit Gewehr zu sehen; auf dem anderen ein Cartoon als Symbol für die um sich greifende Zensur: der Regierungssprecher, wie er Bugs Bunny, dem vorlauten Zeichentrickhasen, den Mund zuhält.

Natürlich sei er Präsident Rajapaksa dankbar, meint der Enddreißiger und zeigt auf das Gemälde mit dem Gewehr; dass er vor fast vier Jahren dem Bürgerkrieg zwischen tamilischen Separatisten und Armee, dem mehr als 100.000 Menschen zum Opfer fielen, ein Ende bereitet habe. Nur: Was sei das für eine Regierung, die sich bis heute weigere, zu überprüfen, ob in den letzten drei Kriegsmonaten tatsächlich 40.000 Zivilisten getötet worden seien? Hattotuwa dreht sich kopfschüttelnd Richtung Cartoon. Dabei sollte es Rani, sein sechs Jahre alter Sohn, doch einmal besser haben.

"Ich sehe für seine Zukunft schwarz. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ich meine: Ich bin im Krieg groß geworden. Jetzt haben wir Frieden. Aber wenn die Regierung so weiter macht, wird Rani in einem Land aufwachsen, das eine Schein-Demokratie ist; in dem Meinungsfreiheit nur auf dem Papier besteht. Und das Schlimme ist: Diese autoritären Tendenzen sind inzwischen fast schon Mainstream.

Sri Lanka war immer ein multi-kulturelles, multi-ethnisches Land. Neben der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit lebten hier immer schon hinduistische Tamilen, Muslime, Christen. Aber jetzt scheint es so zu sein, als ob die Regierung aus Sri Lanka einen buddhistischen Staat machen will; von und für die Singhalesen. Das bereitet mir große Sorgen. Rani soll bloß nicht aufwachsen und denken, das ist OK."

Schein-Demokratie auf der Insel
Wer sich mit dem seit 2005 amtierenden Präsidenten Rajapaksa anlegt, lebt gefährlich in Sri Lanka. Dabei galt der Spross einer alten singhalesischen Politikerdynastie einmal als Hoffnungsträger des "politischen Aufbruchs". Doch das ist lange her. "Verräter", "westlicher Agent", "Terrorismus-Sympathisant": Sanjana Hattotuwa kann die Anschuldigungen Rajapaksas gegen ihn wie auf Kommando abspulen. Der Friedensaktivist lächelt gequält. Aber zumindest ist ihm das Gefängnis bislang erspart geblieben - anders als dem früheren Armeechef Sarath Fonseka.

Eigentlich ein Rajapaksa-Mann, doch nachdem er es gewagt hatte, bei der Präsidentschaftswahl 2010 gegen seinen Herrn und Gebieter anzutreten – letztendlich erfolglos – ließ ihn Rajapaksa zwischenzeitlich inhaftieren. Wer dagegen spurt, wird belohnt: Nach der Kabinettsreform im Februar dürfte Rajapaksas Team reif für das Guiness Buch der Rekorde sein: Auf knapp 100 ist seine Ministerriege angeschwollen. Neben einem Minister für botanische Gärten machen sich gleich vier Minister für wirtschaftliche Entwicklung verdient ums Vaterland.

Sanjana Hattotuwa verzieht das Gesicht. Hätte nur noch gefehlt, dass der sich selbst bereichernde "Herr zehn Prozent", wie er im Volksmund heißt, der korrupte Bruder Rajapaksas, zum Premierminister ernannt worden wäre.

Sri Lanka - ein Rajapaksa-Unternehmen?
"Es ist ja nicht nur ein Bruder. Da müssen sie schon den Plural benutzen: Es sind Brüder. Einer ist Parlamentssprecher, ein anderer der allmächtige Verteidigungsminister. Der Clan kontrolliert so gut wie jedes Schlüsselministerium. Ein Bruder des Präsidenten meinte schon, die Regierung sei ein "Rajapaksa Sángame" - ein Rajapaksa-Unternehmen. Viele in Sri Lanka fragen sich jetzt: Sind wir Anteilseigner eines Unternehmens? Oder noch Bürger eines demokratischen Staates? Ich fürchte, wir sind unglücklicherweise längst Untertanen des Rajapaksa-Königreichs."

Kritische Stimmen wie die des Friedensaktivisten hört man in Sri Lanka selten – und das nicht nur, weil es nicht gerade ratsam ist, anderer Meinung zu sein als der Präsident. Viele Sri-Lanker halten Rajapaksa zu Gute, dass es seit Ende des Bürgerkriegs aufwärts geht. Im letzten Jahr wuchs die Wirtschaft um sieben Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich innerhalb von fünf Jahren auf gut 3000 US-Dollar fast verdreifacht, die Armutsquote halbiert. Und dann sind da noch die Bauvorhaben im Land: Auf seinem Weg zur Arbeit in Colombo komme er gleich an mehreren Baustellen vorbei, muss selbst Sanjana Hattatuwa unumwunden zugeben. Die neue Bezahlautobahn zwischen Colombo und dem Ferienort Galle im Süden der Insel ist schon fertig – den Chinesen sei Dank.

"Sie müssen sich nur anschauen, wo die Chinesen mitmischen: Es reicht von Hotels über Autobahnen bis hin zu großen Infrastrukturprojekten. Sie sind mit Abstand größter Kreditgeber. Sie haben längst die Weltbank, die EU und die USA abgehängt. Unserer Regierung ist das nur recht: Die Chinesen stellen keine Bedingungen, anders als die westlichen Länder mit ihren demokratische Standards. Die Regierung kann jetzt schalten und walten, wie sie will. Und die Hände aufhalten: Angeblich sollen seit 2005 bis zu eine Milliarde US-Dollar Schmiergeld von China nach Sri Lanka geflossen sein."

Aufgebaut mit Geld aus China
Kräftig investiert haben die Chinesen auch in der Tourismus-Branche Sri Lankas, aus gutem Grund: Letztes Jahr besuchten erstmals über eine Million Urlauber das selbsternannte "Tropenparadies", 17,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Nach Jahrzehnten des kriegsbedingten Stillstands schießen neue Hotels und Ressorts wie Pilze aus dem Boden – auch in den tamilischen Gebieten wie der rund 300 Kilometer von Colombo entfernten Ostküste.

Pasikuda beispielsweise, die Traumbucht, gleicht einer Großbaustelle: Überall ziehen Bauarbeiter in sengender Hitze Reet bedeckte Strandvillen und Luxushotels hoch, prophezeit ein Riesenplakat der staatlichen Tourismusbehörde: Und das sei erst der Anfang. Einzig die Touristen fehlen; die zahlungskräftigen westlichen. Bis auf ein krebsrotes britisches Pärchen haben die einheimischen Tagesausflügler und Fischer den Strand für sich alleine. Aber wird schon – übt sich Ebenezer Deldaschen in Zuversicht. Spätestens wenn der neue Inlandsflughafen fertig ist, werden die ausländischen Touristen schon via Colombo kommen. Dann wird auch für den tamilischen Christen und sein "Riviera Ressort" etwas vom Touristenkuchen abfallen. Seine Urlaubersiedlung ist auch idyllisch gelegen: Direkt an einer Lagune, in Batticaloa, der nächst-größeren Stadt.

Ein Stück vom Kuchen abhaben
"Es ist jetzt viel besser hier. Ich habe bis vor kurzem elf Jahre lang in England gelebt. Der Zeitpunkt war genau richtig, zurückzukehren und die Hotelanlage meiner Eltern zu übernehmen. Ich sehe großes Potential im Tourismusbereich. Die meisten Hotels wollen ihre Kapazitäten erweitern – so wie wir. Sprich: Es entstehen neue Jobs. Die Regierung und die Tourismusbehörde helfen, wo sie nur können. Wir spüren jetzt schon, dass mehr Touristen kommen, auf ihrem Weg nach Pasikuda. Etliche machen ein, zwei Tage Station bei uns. Wir gehen davon aus, dass das noch wächst."

Deldaschens Hotelanlage mit Blick auf das Wahrzeichen der 90.000-Einwohner-Stadt, die rote, noch aus Kolonialzeiten stammende Stahlbrücke, hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich: Eigentlich war es immer ganz einfach, meint der Mann mit dem kleinen Wohlstandsbauch auf dem Weg von der Rezeption zur Bootsanlegestelle an der Lagune: War Ruhe im Land, war geöffnet, war Bürgerkrieg geschlossen.

So wie Weihnachten 2004, als der Tsunami über Sri Lanka hinwegschwappte und 35.000 Menschen mit in den Tod riss. Das "Riviera Ressort" kam noch glimpflich davon: Es war weit genug weg von der Küste, es gab nur Sachschäden. Niemand verlor sein Leben. Heute erinnert hier nichts mehr an die Zerstörungswut der Monsterwellen, wie überall an der Küste.

Die Spuren des Bürgerkrieges dagegen sind noch immer sichtbar. Wie pechschwarze Perlen reihen sich ausgebrannte Häuser entlang der Küstenstraße zwischen Batticaloa und Pasikuda aneinander. Die Armee kontrolliert an jeder größeren Kreuzung den Verkehr. "Victory: Our challenge" – Sieg: Unsere Herausforderung" prangt an einer Straßensperre unweit des Stadteingangs.
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