Zwischen Prosa und Pornografie

Rezensiert von Katharina Döbler |
Was genau denkt eine Frau beim Sex mit einem weitgehend Unbekannten? Diese Frage beschäftigt die Dramatikerin Veronique Olmi in ihrem fünften Roman, in dem sie versucht, eine sexuelle Begegnung exakt zu beschreiben. Dabei herausgekommen ist ein Text, der sowohl im Zeichen der Vernunft wie der Erregung geschrieben ist.
Ein Mann eine Frau: Das ist ein einigermaßen kühner Buchtitel. Schließlich ist zu keinem anderen Thema mehr gedichtet, gesungen und geschrieben worden, seit sich die Erde dreht. Und das reicht von schlichtester Pornografie über die gute alte Schnulze bis hin zum psychoanalytischen Fachbuch; von der Geschichte Adams und Evas bis zu dem, was uns Zeitgenossen so alles dazu einfällt.

Veronique Olmi, bekannt auch als Dramatikerin, hat mit ihrem fünften Roman den Versuch unternommen, eine sexuelle Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau mit großer Exaktheit zu beschreiben. Diese Exaktheit betrifft körperliche Details ebenso wie Gefühlsregungen, Angaben von Zeit, Ort und Temperatur und den genauen Wortlaut der Dialoge.

Schon der erste Satz ist eine Aufzählung von Fakten: Place Saint Sulpice, 18. August, ein aufrechter Mann, blaues Hemd, weiße Hose. Als könnte mit den Mitteln der Faktizität die Magie, das Risiko, die Sehnsucht – all das riesengroße irrationale Potenzial, das bei einem solchen Rendezvous mitspielt – gemessen, beurteilt und kontrolliert werden. Es ist das Erbe der französischen Aufklärung, das hier immer wieder aufblitzt und an Texte wie "Thérèse philosophe" erinnert: Texte, die das Geschlechtliche möglichst rational, vorgeblich aufklärerisch und medizinisch, zugleich aber eben höchst pornografisch behandelten. Dass ein Text gleichzeitig im Zeichen der Vernunft wie der sexuellen Erregung geschrieben sein kann, ist ein sehr französisches Paradoxon.

Veronique Olmis Variante, so lakonisch verkürzt sie sich ankündigt, geht ebenfalls davon aus, dass das, was zwischen einem Mann und einer Frau geschieht ganz und gar beschreiblich ist. Die Frau, die hier in erlebter Rede vom halbherzig begonnenen Flirt bis zum Orgasmus alles getreulich und ehrlich wiedergibt, ist eine mutige Erzählerin. Ihre Wahrheitsliebe macht weder vor der Einrichtung des Hotelzimmers noch den eigenen körperlichen Unzulänglichkeit halt, ganz im Gegenteil: exakt wird beschrieben, wie mager sie ist, wie zu wenig weiblich sie sich fühlt. Wie unsicher sie ist. Und wie sehr sie die Bestätigung durch den Anderen, den Mann braucht.

Eingewoben in diese kurze Geschichte einer sexuellen Begegnung ist, nur bruchstückhaft, die Vorgeschichte der Frau: ein psychotischer Ehemann, eine hochdramatische Trennung, die Kinder. Das ist ein sehr greller und unscharfer Hintergrund für eine so sehr auf Akkuratesse bedachte Erzählung. Denn ein Roman ist dieses Buch doch eigentlich nicht. Dafür ist der Ausschnitt, den es zeigt, allzu klein, seine Stilmittel zu sehr auf ein einziges Ziel konzentriert.

Dieses Ziel immerhin erreicht es: Was genau denkt "eine Frau" beim Sex mit einem weitgehend Unbekannten? Wie genau fühlt es sich an, wenn er sie wo berührt und sie ihn? Auch das Schwanken zwischen Hingabe und Rückzug, die Phasen lustvoller Unterwerfung und triumphierenden Genusses, der Vorsicht und der Hemmungslosigkeit ist hier durchaus plausibel beschrieben, mit fast strapaziöser Wahrheitsliebe.

Gemessen an der Absicht verbaler Ehrlichkeit ist dieses Buch durchaus gelungen, sogar mit einiger Radikalität. Und gemessen an solch privaten Enthüllungsbüchern wie "Das sexuelle Leben der Cathérine M." von Cathérine Millet, ist es auch literarisch interessant. Aber trotzdem wird man beim Lesen die Frage nicht los, ob das geschriebene Wort und die sexuelle Ekstase eine solche Vernunftehe wirklich eingehen sollten.

Veronique Olmi: Ein Mann eine Frau
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Roman. Kunstmann Verlag 2006. geb. 111 S.,-.- €
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