Zwischen Propaganda, Public Relations und politischer Aufklärung

Gudrun Hentges im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 26.11.2012
In den 50er-Jahren Materialien zum Antikommunismus, in den 70ern zur Frauenemanzipation - die Politikwissenschaftlerin Gudrun Hentges erforscht die Geschichte der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie birgt noch ungeschriebene Kapitel.
Klaus Pokatzky: Den demokratischen und den europäischen Gedanken sollte und soll im deutschen Volke festigen und verbreiten die Bundeszentrale für politische Bildung, die gestern ihren 60. Geburtstag gefeiert hat. Dieses hehre Ziel steht in Paragraf 2 des Gründungserlasses vom 25. November 1952. Da hieß sie noch Bundeszentrale für Heimatdienst, 1963 wurde sie dann auf ihren heutigen Namen Bundeszentrale für politische Bildung umgetauft. Mit diesen ersten Jahren der Gründungsphase hat sich Gudrun Hentges beschäftigt, Professorin für Politikwissenschaft an der Hochschule Fulda. Willkommen im Studio, Frau Hentges!

Gudrun Hentges: Ja, hallo!

Pokatzky: Frau Hentges, wann haben Sie denn die erste Broschüre oder das erste Buch von der Bundeszentrale, ohne irgendwie was dafür bezahlen zu müssen, in den Händen gehalten, und wissen Sie noch, was das war?

Hentges: Ja, wenn ich darüber nachdenke, so die erste bewusste Wahrnehmung war eigentlich ein Israel-Schwerpunkt der "Informationen zur politischen Bildung", den ich damals durchgearbeitet habe – ich weiß, mit vielen Buntstiften –, und hab versucht, diese wechselvolle Geschichte des Staates Israels nachzuvollziehen, die verschiedenen Grenzziehungen zu verstehen. Und kann mich noch daran erinnern, dass diese Informationen ziemlich durchgearbeitet waren und ganz bunt.

Pokatzky: Und Sie waren Schülerin?

Hentges: Ich war Schülerin in der elften Klasse.

Pokatzky: Also ein Gewinn?

Hentges: Auf jeden Fall, ja.

Pokatzky: Und wenn wir jetzt 60 Jahre Bilanz ziehen, ist da die Bundeszentrale für politische Bildung auch ein Gewinn für uns alle, hat sie den demokratischen und den europäischen Gedanken im deutschen Volke gefestigt und verbreitet?

Hentges: Ja, das ist eine schwierige Frage. Es ist ja immer schwierig, eine solche Frage pauschal zu beantworten, wir sprechen ja immerhin von sechs Jahrzehnten. Sicherlich hat sie einen Beitrag geleistet zur Festigung und zur Verbreitung des demokratischen und des europäischen Gedankens, aber wenn wir uns die Geschichte anschauen, müssen wir sicherlich die einzelnen Jahrzehnte noch mal genauer unter die Lupe nehmen. Und das ist ja sicherlich auch ein Grund, weshalb ich heute hier bin.

Pokatzky: Welche Rolle spielte am Anfang der Kampf gegen den Kommunismus, der sich damals ja in der DDR gerade zur Staatsraison etabliert hatte, sieben Jahre nach Ende des Krieges, drei Jahre nach Gründung der beiden deutschen Staaten?

Hentges: Ich gehe vielleicht noch mal einen kleinen Schritt zurück: Also die Gründungsreferenten der Bundeszentrale für Heimatdienst hatten es sich auf die Fahnen geschrieben, sich sehr stark zu bemühen um politische Aufklärung gegen den Nationalsozialismus. Ein Gründungsreferent, Carl-Christoph Schweitzer, reiste in die USA, besorgte dort das Filmmaterial, und zwar des Prozesses vor dem Volksgerichtshof gegen die Männer des 20. Juli. Und seine Arbeiten sind verdienstvoll, auch die Arbeiten anderer Kollegen und Kolleginnen in dem Umfeld. Man muss allerdings sehen, dass sich Mitte der 50er-Jahre ein Paradigmenwechsel vollzogen hat, und zwar im März '55, dahin gehend, dass vonseiten des Innenministeriums sozusagen der Kampf gegen den Kommunismus auf die Agenda gesetzt wurde und im Zuge dessen, das sehr, sehr stark die Thematisierung der Verbrechen des Nationalsozialismus überlagert hat, also März '55.

Pokatzky: Das Innenministerium, dem die Bundeszentrale ja bis heute untersteht, disziplinarisch untergeordnet ist, welches Geschichtsbild hat sich denn dann im Lauf der Jahrzehnte entwickelt? Also Sie sagen, ganz am Anfang Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, dann der Kampf gegen den Kommunismus, wie hat sich das weiterentwickelt bis heute?

Hentges: Also diese beiden Themen prägten die 60er-, 70er-Jahre. Häufig kann man antreffen diesen Gedanken der Totalitarismustheorie, also diese Gleichsetzung der totalitären Regime, und die Bundeszentrale für Heimatdienst – beziehungsweise für politische Bildung ab '63 – hat sich sehr stark verändert im Laufe der 60er-Jahre, insbesondere unter dem Einfluss der außerparlamentarischen Opposition, der Studentenbewegung, der sozialen Bewegungen, sodass in den 70er-Jahren dann auch stärker Themen angesprochen wurden, zum Gegenstand der Materialien wurden, wie Frauenemanzipation. Und ein schönes Beispiel in dem Zusammenhang ist eine kleine Schrift, die ist '71 dann herausgekommen: "Wir sind die Sklaven der Nation. Hausfrau: ein mieser Job. Küche, Kinder, Krise". Also ein kleines Beispiel dafür, dass die Bundeszentrale unter dem Eindruck der sozialen Bewegung auch ihre Themen verändert hat.

Pokatzky: Wie weit hat die Politik, die Parteipolitik, die ja immer auch die entsprechenden Leitungsposten in der Bundeszentrale besetzt hat, jeweils die – in der Regel jedenfalls, heute ist es nicht so – die Bundesregierung, wie weit hat die da auch wirklich auch so Einfluss politischer Art genommen auf das, was die Bundeszentrale gemacht hat?

Hentges: Man muss vielleicht erwähnen, dass es ein Kuratorium gegeben hat, das war auch Bestandteil dieses Gründungserlasses, und in diesem Kuratorium saßen Repräsentanten der verschiedenen Parteien, die im Bundestag vertreten waren, beziehungsweise der Fraktionen, sodass eine Überparteilichkeit zunächst einmal gewährleistet war. Und dennoch kann man beobachten, dass vonseiten der Bundesregierung auch versucht wurde, die Bundeszentrale zu nutzen oder zu instrumentalisieren, um eigene politische Projekte durchzusetzen, beispielsweise die Notstandsgesetzgebung. Insofern ein Versuch der Einflussnahme auf die Stimmung innerhalb der Bevölkerung mittels der Bundeszentrale für politische Bildung.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur gratuliert Gudrun Hentges, Politikwissenschaftlerin an der Hochschule Fulda, der Bundeszentrale für politische Bildung zu ihrem 60. Geburtstag. Frau Hentges, früher hatte ich jedenfalls so in meiner Schulzeit und danach den Eindruck, so von der ganzen Gesamtdarstellung, Präsentation her, dass es doch so ein etwas auch verstaubtes Unternehmen war, so von der Außenwirkung. Jetzt haben wir mit Thomas Krüger, einem früheren führenden Bürgerrechtler in der verfallenen DDR, einem Sozialdemokraten, einen Präsidenten der Bundeszentrale, wo ich das Gefühl habe, sie ist moderner geworden, sie hat sich aber auch einer anderen Klientel geöffnet, zum Beispiel den hier lebenden Migranten. Ist dieser Eindruck richtig?

Hentges: Ja, das ist ja auch wesentlicher Bestandteil eines Erlasses aus dem Jahre 2001, dass ...

Pokatzky: Krüger ist 2000 Präsident geworden, ein Jahr später kam der Erlass ...

Hentges: Genau ... dass das deutsche Volk nicht mehr der alleinige Adressat der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung ist, sondern die deutsche Bevölkerung, das heißt, Migranten, Migrantinnen, Personen ohne deutschen Pass auch zu den Zielgruppen der Bundeszentrale zählen. Und insofern hat sie ihre politische Ausrichtung beziehungsweise haben sich die Zielgruppen verändert, auch in dem Sinne, dass die sogenannten bildungsfernen Gruppen als Zielgruppen betrachtet werden. Und mit Blick auf die Formate kann man sagen, die Printprodukte gibt es natürlich immer noch, also die Klassiker, sie sind allerdings in den Hintergrund getreten gegenüber anderen Formaten. Und diese Formate sind in einem hohen Maße bestimmt quasi durch eine Ausdehnung des Begriffs der politischen Bildung im Sinne einer kulturellen Bildung, das heißt, Theater, Musik, Kino spielt eine wesentlich größere Rolle, spielte in 50er-, 60er-, 70er-, 80er-, 90er-Jahren überhaupt keine Rolle oder nur sehr marginalisiert.

Pokatzky: Aber damals, wenn ich an meine Schulzeit denke, wo ich als Klassen- und Schülersprecher dann auch bevorzugte Klientel war und vieles umsonst bekommen habe, was andere Mitschüler vielleicht nicht umsonst bekommen haben, da haben sich mir ja Türen geöffnet, die ich sonst damals nicht gehabt hätte. Ich hätte sonst in Bochum in die Unibibliothek laufen müssen. Heute – ich kann's doch alles per Mausklick, wenn ich richtig klug recherchiere im Internet, mir selber rausholen. Hat die Bundeszentrale mit dem Material da heute überhaupt noch so für die politische Bildung eine solche Bedeutung, wie sie es mal hatte?

Hentges: Ich denke, dass die Bedeutung der Printprodukte zurückgegangen ist. Man muss sich aber noch mal klarmachen, die "Informationen zur politischen Bildung" erscheinen in einer Auflage von 800.000, das heißt, flächendeckend haben Lehrer, Lehrerinnen, Schüler Zugriff darauf, also Printprodukte sind tatsächlich auf dem Rückmarsch. Demgegenüber haben die Onlineprodukte der Bundeszentrale an Bedeutung gewonnen, und aus meiner Perspektive als Hochschullehrerin kann ich das ja auch beobachten, dass Onlineangebote in einem viel stärkeren Maße wahrgenommen werden als Printprodukte. Die Bedeutung ist da, aber sie hat sicherlich nachgelassen.

Pokatzky: Sie selber haben vor neun Jahren das erste Forschungsprojekt über die Geschichte der Bundeszentrale durchgeführt, und sie haben sich auch mit diesem Thema habilitiert. Bis dahin war nur einmal eine Magisterarbeit geschrieben worden zu dem Thema. Warum dieses jahrzehntelange Desinteresse der Politikwissenschaft ausgerechnet an dieser Bundeszentrale für politische Bildung?

Hentges: Das ist eine gute Frage, also das habe ich mir tatsächlich auch nie so wirklich beantworten können. Ich erkläre dieses Desinteresse dadurch, dass diese Institution – Bundeszentrale für politische Bildung – sich an der Schnittstelle bewegte zwischen Politikwissenschaft, Zeitgeschichte, Erziehungswissenschaft und außerschulischer politischer Bildung und in gewisser Weise durch das Raster gefallen ist. Das ist sicherlich ein Grund für das Desinteresse. Mein persönlicher Anlass war, ich arbeitete damals als wissenschaftliche Assistentin an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln, und insofern lag dieses Thema in der Luft. Ich konnte mir auch nicht erklären, weshalb vor mir kein anderer oder keine andere sich mit diesen Themen beschäftigt hat.

Pokatzky: Jetzt beschäftigen wir uns mit der Geschichte der Bundeszentrale, und wir müssen, wenn wir in die 50er-Jahre zurückgehen, auch einen Blick darauf werfen, diese Zäsur, nicht mehr diese intensive Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, Kampf gegen den Kommunismus, dort wurden sehr stark Leute, die auch im Dritten Reich schon an der ersten propagandistischen Front von Joseph Goebbels gewirkt hatten, wie Eberhard Taubert, eine ganz berühmte Gestalt, die im Volksgerichtshof Todesurteile verhängt hatte, dort wurden die in Unterorganisationen sozusagen beschäftigt, der damaligen Bundeszentrale für Heimatdienst. Ist diese Geschichte jemals von der Bundeszentrale aufgearbeitet worden, diese eigene Geschichte?

Hentges: Also meines Wissens nicht. Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte der Bundeszentrale ist relativ neu. Sie startete vor einigen Jahren, mittlerweile gibt es einiges an Informationen. Das, was Sie angesprochen haben, eine Zusammenarbeit der Bundeszentrale für Heimatdienst mit dem VFF, also dem Volksbund für Frieden und Freiheit ...

Pokatzky: Wo solche alten Nazis saßen ...

Hentges: Wo genau solche Personen wie Taubert saßen, vollzog sich hinter den Kulissen. Es war für Außenstehende nicht nachvollziehbar, es war sozusagen eine indirekte Methode, die gewählt wurde. Man wollte ja auch nicht nach außen hin eine Zusammenarbeit suggerieren, man hat aber dennoch eine Zusammenarbeit gewählt, denn es waren die alten Propagandisten, die auch durchaus quasi unter einem neuen politischen Vorzeichen im Sinne eines Antikommunismus Öffentlichkeitsarbeit machen konnten, denn das hatten sie gelernt.

Pokatzky: Also da kann die Bundeszentrale zu ihrem 70. offenbar noch was nachholen, und Sie haben jetzt gerade in diesen Tagen ein Buch über die Geschichte bis in den ersten Entstehungsjahren dieser Bundeszentrale für Heimatdienst veröffentlicht. Danke, Gudrun Hentges, Politikwissenschaftlerin an der Hochschule Fulda.

Hentges: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links zum Thema:

Bundeszentrale für politische Bildung

Chronik der Mauer - Juni 1961 bis Dezember 1989
Eine Kooperation von Deutschlandradio, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam