Zwischen Politik und Kommerz - Wo bleibt der Olympische Geist?
Halbzeit bei den Olympischen Spielen in China: Selten waren die Spiele politisch derart aufgeladen; die Diskussionen um Menschenrechtsverletzungen auf der einen, um Doping und die Kommerzialisierung der Spiele auf der andern Seite reißen nicht ab. Der olympische Gedanke scheint passé zu sein.
So sieht es auch Ines Geipel. Die ehemalige Weltklassesprinterin der DDR hält die Olympischen Spiele für ein Trauerspiel:
"Es ist richtig, dass die Athleten zu den Spielen gefahren sind, aber es ist traurig, dass die olympische Idee tot ist. Es sind Spiele ohne Herz. Spiele im unfreien Raum sind absurde Spiele."
Die heute 48-Jährige hat 2005 ihre Rekorde zurückgegeben, als Konsequenz aus der Tatsache, dass sie – wie mehr als 10 000 Sportler in der DDR – unwissentlich gedopt worden war. Das Thema hat sie seither nicht mehr losgelassen, gerade ist ihr Buch "No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft?" herausgekommen, für das sie auch in China recherchiert hat, dem Hauptproduzenten- und Lieferanten von Dopingmitteln jeglicher Art. 99 Prozent der Steroide und etwa 80 Prozent der Wachstumshormone, die weltweit umgesetzt werden, kommen aus dem Reich der Mitte.
Wie viele Zuschauer ist sie gespalten: Sie möchte die Höchstleistungen der Athleten, die emotionsgeladenen Wettkämpfe, gern unbeschwert genießen: "Ich glaube, dass auch das Publikum und auch die kritischen Medien woanders hinwollen, nur es läuft immer noch der alte Film ab. Es ist doch schizophren: Auf der einen Seite jubeln sie in den Medien, auf der andern Seite wurde aber noch nie auch so viel Kritisches berichtet. Michael Vesper und Thomas Bach haben zwar gesagt, ´Wartet nur ab, wenn der Gong bei Olympia erklingt, dann wird es keine Kritik mehr geben`, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Dramatisch ist für mich dabei, dass diese wunderbaren Leistungen im Sog dieser preisgegebenen Idee auf der Strecke bleiben. Das tut mir leid für die Athleten. Aber die Frage ist, was soll aus dieser Art von Inszenierung werden?"
Diese Frage bewegt auch den Sportsoziologen Prof. Dr. Thomas Alkemeyer von der Universität Oldenburg. Auch er schaut die Olympia-Übertragungen eher mit gemischten Gefühlen: "Es gibt verschiedene Perspektiven: Als ehemaliger Sportfan sage ich, es ist schade, weil in der Tat die Spiele begeisternde Momente haben, nehmen Sie nur die Schwimmstaffel. Und es ist schade, weil der Sport in der Lage ist, solch eine Begeisterung zu wecken. Aber es ist eben so, dass der Leistungssport schon seit seiner Entstehung problematisch ist. Aber es liegt auch durchaus eine Chance darin, dass z.B. Sponsoren abspringen, und es dadurch am Sport und an den Sportlern liegt, etwas zu ändern."
Der Wissenschaftler verweist auch darauf, dass die Olympischen Spiele immer schon Inszenierungen waren, sie seien längst Medienspiele und damit Teil der Unterhaltungsindustrie. "Die Sportler sind – und das wissen auch die meisten – Teil dieser Unterhaltungsindustrie. Sie sind Protagonisten in einer Art Zirkus, die Rolle, die sie zu spielen haben, haben ihnen zum großen Teil die Öffentlichkeit und das Publikum zugewiesen. Wer das nicht schafft, hat wenig Chancen. Die sportliche Leistung allein reicht schon lange nicht mehr aus. Ohne die Beteiligung der Medien wäre diese Art von Inszenierung gar nicht möglich, vom Design der Stadien bis hin zum knappen Trikot der Athletinnen und den Übertragungszeiten. Das alles ist im Hinblick auf die Medialisierung gemacht und ist ein wichtiger Teil der Unterhaltungsindustrie."
Die Spiele seien auch von Anbeginn von der Politik gebraucht und missbraucht worden, der viel beschworene Geist von Olympia sei eine sehr vage Idee, die jedes Land, jede Kultur anders auslege. So sei es auch von dem Begründer der neuzeitlichen Spiele, Pierre de Coubertin, gedacht.
"Die Olympischen Spiele waren von Anfang an eine Bühne für Selbstdarstellung von Veranstaltern, von Nationen, die ein Bild von sich erzeugen wollen. Im Übrigen war es auch bei den als so positiv dargestellten Spielen in München so, die letztlich aber durch das Attentat beschädigt wurden. Auch hier war es der Versuch der Bundesrepublik, zu demonstrieren, dass man mit der nationalsozialistischen Vergangenheit gebrochen hatte. Das zog sich durch, von der Architektur bis hin zu den Uniformen der Hostessen."
Glaubt er, dass die Spiele in China eine Wende bedeuten können?
"Ich glaube nicht, dass sie eine Wendemarke bedeuten, das war schon in Los Angeles so, dass gefordert wurde, dass man von dieser Art von Inszenierung abrücken solle, dass die Grenze der Überbietungslogik erreicht sei, dass man wieder bescheidener werden müsse." Getan habe sich – wie in China zu sehen sei – nichts.
"Zwischen Politik und Kommerz – Wo bleibt der olympische Geist?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Autorin Ines Geipel und dem Sportsoziologen Thomas Alkemeyer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 0800 - 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Literaturhinweis:
Ines Geipel: "No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft?". Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 220 Seiten
"Es ist richtig, dass die Athleten zu den Spielen gefahren sind, aber es ist traurig, dass die olympische Idee tot ist. Es sind Spiele ohne Herz. Spiele im unfreien Raum sind absurde Spiele."
Die heute 48-Jährige hat 2005 ihre Rekorde zurückgegeben, als Konsequenz aus der Tatsache, dass sie – wie mehr als 10 000 Sportler in der DDR – unwissentlich gedopt worden war. Das Thema hat sie seither nicht mehr losgelassen, gerade ist ihr Buch "No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft?" herausgekommen, für das sie auch in China recherchiert hat, dem Hauptproduzenten- und Lieferanten von Dopingmitteln jeglicher Art. 99 Prozent der Steroide und etwa 80 Prozent der Wachstumshormone, die weltweit umgesetzt werden, kommen aus dem Reich der Mitte.
Wie viele Zuschauer ist sie gespalten: Sie möchte die Höchstleistungen der Athleten, die emotionsgeladenen Wettkämpfe, gern unbeschwert genießen: "Ich glaube, dass auch das Publikum und auch die kritischen Medien woanders hinwollen, nur es läuft immer noch der alte Film ab. Es ist doch schizophren: Auf der einen Seite jubeln sie in den Medien, auf der andern Seite wurde aber noch nie auch so viel Kritisches berichtet. Michael Vesper und Thomas Bach haben zwar gesagt, ´Wartet nur ab, wenn der Gong bei Olympia erklingt, dann wird es keine Kritik mehr geben`, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Dramatisch ist für mich dabei, dass diese wunderbaren Leistungen im Sog dieser preisgegebenen Idee auf der Strecke bleiben. Das tut mir leid für die Athleten. Aber die Frage ist, was soll aus dieser Art von Inszenierung werden?"
Diese Frage bewegt auch den Sportsoziologen Prof. Dr. Thomas Alkemeyer von der Universität Oldenburg. Auch er schaut die Olympia-Übertragungen eher mit gemischten Gefühlen: "Es gibt verschiedene Perspektiven: Als ehemaliger Sportfan sage ich, es ist schade, weil in der Tat die Spiele begeisternde Momente haben, nehmen Sie nur die Schwimmstaffel. Und es ist schade, weil der Sport in der Lage ist, solch eine Begeisterung zu wecken. Aber es ist eben so, dass der Leistungssport schon seit seiner Entstehung problematisch ist. Aber es liegt auch durchaus eine Chance darin, dass z.B. Sponsoren abspringen, und es dadurch am Sport und an den Sportlern liegt, etwas zu ändern."
Der Wissenschaftler verweist auch darauf, dass die Olympischen Spiele immer schon Inszenierungen waren, sie seien längst Medienspiele und damit Teil der Unterhaltungsindustrie. "Die Sportler sind – und das wissen auch die meisten – Teil dieser Unterhaltungsindustrie. Sie sind Protagonisten in einer Art Zirkus, die Rolle, die sie zu spielen haben, haben ihnen zum großen Teil die Öffentlichkeit und das Publikum zugewiesen. Wer das nicht schafft, hat wenig Chancen. Die sportliche Leistung allein reicht schon lange nicht mehr aus. Ohne die Beteiligung der Medien wäre diese Art von Inszenierung gar nicht möglich, vom Design der Stadien bis hin zum knappen Trikot der Athletinnen und den Übertragungszeiten. Das alles ist im Hinblick auf die Medialisierung gemacht und ist ein wichtiger Teil der Unterhaltungsindustrie."
Die Spiele seien auch von Anbeginn von der Politik gebraucht und missbraucht worden, der viel beschworene Geist von Olympia sei eine sehr vage Idee, die jedes Land, jede Kultur anders auslege. So sei es auch von dem Begründer der neuzeitlichen Spiele, Pierre de Coubertin, gedacht.
"Die Olympischen Spiele waren von Anfang an eine Bühne für Selbstdarstellung von Veranstaltern, von Nationen, die ein Bild von sich erzeugen wollen. Im Übrigen war es auch bei den als so positiv dargestellten Spielen in München so, die letztlich aber durch das Attentat beschädigt wurden. Auch hier war es der Versuch der Bundesrepublik, zu demonstrieren, dass man mit der nationalsozialistischen Vergangenheit gebrochen hatte. Das zog sich durch, von der Architektur bis hin zu den Uniformen der Hostessen."
Glaubt er, dass die Spiele in China eine Wende bedeuten können?
"Ich glaube nicht, dass sie eine Wendemarke bedeuten, das war schon in Los Angeles so, dass gefordert wurde, dass man von dieser Art von Inszenierung abrücken solle, dass die Grenze der Überbietungslogik erreicht sei, dass man wieder bescheidener werden müsse." Getan habe sich – wie in China zu sehen sei – nichts.
"Zwischen Politik und Kommerz – Wo bleibt der olympische Geist?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Autorin Ines Geipel und dem Sportsoziologen Thomas Alkemeyer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 0800 - 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Literaturhinweis:
Ines Geipel: "No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft?". Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 220 Seiten