Zwischen Moschee und Minirock

Von Jörg Oberwittler |
Sie ist gerade mal 18, lebt als Deutsch-Türkin in Berlin und steckt mitten im Abiturstress: Trotzdem hat Melda Akbas schon ihr erstes Buch geschrieben. "So wie ich will", lautet der Titel. Darin will sie Vorurteile und Klischees ausräumen und einen authentischen Einblick in ein Leben geben, das zwischen Deutsch- und Türkischsein schwankt.
Gespannt auf Resonanz: "Ich bin schon sehr gespannt drauf, was die Leute sagen werden. Vor allem, wenn es etwas ist, wo man so viel Arbeit reingesteckt hat. Dann ist es halt schon sehr schwierig, damit umzugehen, wenn dann negative Kritik kommt."

Deutlich ist Melda Akbas die Nervosität vor der Buchveröffentlichung anzumerken. Für das Treffen wählt sie ein Café im türkisch geprägten Berlin-Kreuzberg. Zuhause kann sie sich mit Besuchern nicht treffen. Die vierköpfige Familie lebt beengt, das Zimmer teilt sich Melda Akbas mit ihrem älteren Bruder. Lächelnd sitzt sie da, rührt in ihrem Tee Die zierliche, schick gekleidete junge Frau wirkt reifer, als man es von einer 18-Jährigen erwartet.

Sie erzählt von ihrem Buch, das noch nicht mal ihren Eltern bis dato lesen durften. Davon, dass sie Jeans anzieht, wenn sie abends ausgehen will - und den Minirock vor ihrem Vater in der Tasche versteckt. Dass sie schon mal einen Jungen geküsst hat – auch das hat sie ihm bisher verschwiegen. Im Buch spricht sie es nun offen aus. Ein Tabubruch.

"Das ist so ein Übereinkommen, dass man über bestimmte Sachen einfach nicht redet. Aber ich sehe es einfach als Möglichkeit, aus diesem Kreis auszubrechen. Ich will das auch nicht länger machen! Weil, es ist ein Teil von mir, es gehört zu mir. Das bin ich."

Melda Akbas will nichts mehr verheimlichen. Sie will ein selbstbestimmtes Leben führen - mit den gleichen Freiheiten und Chancen wie ihre deutschstämmigen Freundinnen. "So wie ich will" heißt daher ihr Buch. Eine Lebensweise, die auch in der dritten Generation der Einwanderer für Deutsch-Türkinnen nicht selbstverständlich ist.

"Erst neulich hatte ich ein Mädchen bei mir an der Schule, das mit ihrem Freund erwischt wurde von ihren Eltern; deswegen große Probleme hatte und nicht wusste, was sie machen sollte. Wo ich ganz klar für mich dachte: Für mich wäre das gar kein Punkt drüber nachzudenken. Mein Freund ist mein Freund! Und da hat niemand was zu sagen – vor allem nicht meine Eltern. Aber viele dieser Mädchen haben halt nicht diese Kraft, den Mut und den Rückhalt in der Familie, als dass sie das machen können."

Melda Akbas bemüht sich sehr, ihren Eltern gerecht zu werden. Schließlich kommen diese aus einfachen Verhältnissen, haben der Tochter den Besuch eines Gymnasiums ermöglicht. Die Mutter trägt Kopftuch, hat einen Realschulabschluss und wurde als junge Frau in Anatolien an einen wildfremden Mann verheiratet.

Die Tochter trägt ihr lang gelocktes Haar offen, macht gerade Abitur und strebt eine Heirat aus Liebe an. Doch Männer genießen in der türkischen Kultur immer noch mehr Freiheiten als Frauen. Zum Beispiel: ihr Bruder, der sogar eine deutsche Freundin haben darf. Bei der Tochter – undenkbar:

"Da rege ich mich ständig auf, weil ich natürlich als Frau, die in europäischen Verhältnissen aufgewachsen ist, mich natürlich gleichberechtigt sehe und keinen Unterschied zwischen Mann und Frau sehe."

Doch die Ursachen für die Chancenungleichheit sieht Melda Akbas auch noch woanders begründet: in den Vorurteilen gegenüber Migranten. Um das zu verdeutlichen, lädt sie zu einem Spaziergang zu ihrer Schule ein.

Melda Akbas: "Also, es gibt zwei Eingänge von dieser Schule. Einmal den Eingang hier und drum herum den Haupteingang."

Ein warmer Frühlingstag, junge Familienväter sitzen draußen vor den Cafés, Mütter mit Kopftüchern schieben Kinderwagen über den Bürgersteig. Doch die Multi-Kulti-Idylle trügt, meint Melda Akbas. Migranten und Deutsche würden nicht miteinander, sondern nebeneinander leben. Und das fängt schon in der Schule an.

"Basti ist einer der zwei Deutschen aus meinem Jahrgang. Der Rest besteht aus Türken, Arabern und anderen Migranten-Hintergründen."

Mit ihrem guten Freund Basti lernt sie fürs Abi und engagiert sich auch als stellvertretende Schulsprecherin. In einem deutschlandweiten Projekt hat sie außerdem junge Migranten dazu motiviert, sich in Schulgremien für ihre Interessen stark zu machen. Sie will zeigen und vorleben, dass nicht alle Deutsch-Türkinnen nur gebrochen Deutsch können und ungebildet sind.

"Ich weiß auf jeden Fall, dass ich studieren werde, dass ich weiter engagiert sein werde."

Deshalb hat sie auch keine Scheu, mit ihrem Buch womöglich bald in Talkshows zu sitzen. Sie will für das kämpfen, was jedem jungen Menschen zusteht: gleiche Chancen, gleiche Freiheiten – egal ob Mann oder Frau, Deutscher oder Türke. Auch wenn die Angst, bei Verwandten und Landsleuten anzuecken, dazugehört.

"Angst wird jetzt auch in nächster Zeit noch eine Rolle spielen, bis meine Eltern es irgendwann gelesen haben. Aber ich glaub, solange man sich mit den Dingen auseinandersetzt, sich damit beschäftigt, kann Angst überwunden werden. Das ist für mich nie ein Grund gewesen, aufzuhören oder etwas nicht zu machen."