Zwischen Mazel Tov und Good Luck

Peter Manseaus Debüt beschreibt die Odyssee eines jiddischen Dichters. Er reist von Russland in die USA und ist Zeit seines Lebens auf der Spur der Frau, die ihm bestimmt ist. Der Roman bietet ein Panorama des 20. Jahrhunderts mit historischer Tiefe und ist nebenbei eine unterhaltsame Nachhilfestunde in jüdischer Alltagskultur.
Peter Manseaus Romandebüt lockt in die irrwitzige Odyssee eines jiddischen Dichters: von Russland in die USA – Zeit seines Lebens auf der Spur der Frau, die ihm bestimmt ist, sein baschert ist. Ein Panorama des 20. Jahrhunderts mit historischer Tiefe. Und nebenbei eine unterhaltsame Nachhilfestunde in jüdischer Alltagskultur.

Ein Roman, der bei uns mit Vorschusslorbeeren startet: in den USA wird das Debüt von Peter Manseau als Sensation gefeiert, es hat unter anderem den National Jewish Book Award gewonnen. Und das mit einem Titel, der so schön wie geheimnisvoll im Original „Songs for the butcher's daughter“ lautet – „Lieder für die Metzgerstochter“. Die deutsche Übersetzung hat den Titel leider gegen eine Plattitüde eingetauscht: „Bibliothek der unerfüllten Träume“.

Um jene Metzgerstochter Sascha kreist die irrwitzige Odyssee des Romans. Das Mädchen ist Movens aller Handlungen und aller Gedanken des Protagonisten Itsik Malpesch, sie ist Muse all seiner Gedichte. Itsik kommt am Ostersonntag 1903 in der Provinzstadt Kischinjow am äußersten Rande des russischen Reiches zur Welt. In einer warmen Schabbes-Nacht, in der es auch zum ersten der großen historischen Pogrome an der jüdischen Bevölkerung der Stadt kommt. Während seiner Geburt stürmt eine aufgebrachte Meute das Haus der Familie Malpesch – und da erwartet sie unter anderem die Metzgerstochter. Vierjährig und willensstark stellt sie sich den Angreifern mit kleiner erhobener Faust entgegen und rettet so Itsiks Leben.

Baschert ist jiddisch und bedeutet: vorherbestimmt. Itsiks hält Sascha für die Frau, die für ihn bestimmt ist. „Sie ist von Anfang an da, ist immer näher, als es scheint, und wartet nur darauf, gefunden zu werden.“ Der Sohn eines Gänsedaunenfabrikverwalters macht sich tausende von Kilometern auf den Weg, um seine inzwischen verschollene Muse wiederzufinden, die sich mit ihrer Mutter vor der antisemitischen Hetze geflüchtet hat – und die er nur aus Erzählungen kennt. Er landet schließlich im Schmelztiegel New York der 20er-Jahre. Hier trifft er auf die „Bibliothek der unerfüllten Träume“ voller Bücher jüdischer Immigranten, er stößt auf die Probleme des freien Dichterlebens und schließlich sogar auf seine Sascha.

Durchzogen von sprachphilosophischen Überlegungen verwebt der Roman zwei Lebensgeschichten: die von Itsik, dem „letzten Dichter der jiddischen Sprache“, und die eines jungen Archivars, der seine Memoiren übersetzt. Zwei Erzählstimmen, die in ein ebenso witziges wie tragisches Panorama des 20. Jahrhunderts führen, in eine Mélange historischer Fakten, darunter Pogrome in Russland und Einwandererschicksale in New York, sowie in eine fast ein Jahrhundert währende Liebes- und Sehnsuchtsgeschichte. Ganz nebenbei entsteht eine unterhaltsame Nachhilfestunde in jüdischer Alltagskultur und jiddischen Bezeichnungen.

Manseau ist der Sohn eines katholischen Priesters und einer ehemaligen Nonne: ein pikantes biografisches Detail, das der Verlag freigiebig im Klappentext platziert. Eine Authentifizierungsstrategie für einen Autor mit Vorliebe für religionsgeschichtliche Themen, die nicht unbedingt nötig wäre. Schade auch, dass die Fäden, an denen der junge Romancier seine Puppen tanzen lässt, an vielen Stellen zu dick sind, als dass man sie übersehen könnte. Der Baukasten wird manchmal allzu offenbar und der Zauber leidet. Mazel tov also zu einem sehr ordentlichen Debüt – das allerdings doch große Lust macht auf einen reiferen Manseau.

Besprochen von Katrin Schumacher

Peter Manseau: „Bibliothek der unerfüllten Träume“,
Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum,
Hoffmann und Campe, Hamburg 2009, 447 Seiten, 23 Euro