Zwischen Lüge, Loyalität und Leidenschaft

20.01.2010
Eine Frau zwischen zwei Männern, eine Frau zwischen Leidenschaft und Vernunft – diese Geschichte ist schon oft erzählt worden. Und egal, wo und wann sie sich ereignet, man ist immer wieder gespannt, ob es für diese Konstellation eine Lösung geben kann, ob sie nicht doch einmal zu einem glücklichen Ende führt.
Während einer langen Zugfahrt von Triest nach Kalabrien, auf dem Weg zu ihrem Geliebten und zur vermutlichen Hochzeit mit ihm, lässt Emma, eine verheiratete Kunstlehrerin von Mitte 40, die Vergangenheit noch einmal an sich vorüberziehen. Sie erinnert sich daran, wie es zu dieser alles umstürzenden Liebe kam, damals, vor 15 Jahren, als Lorenzo, der Student aus Süditalien, plötzlich wie ein Rausch in ihr Leben einbrach.

Zwei Jahre dauerte die erotische Sensation, die ihr freilich ohne Zukunft schien. Sie trennte sich und suchte Halt bei Carlo, einem vielversprechenden Dichter. Ihn heiratete sie, bei ihm meinte sie Sicherheit zu finden, mit ihm bekam sie ein Kind. Als Lorenzo sich nach zehn Jahren plötzlich bei ihr meldet, flammt die alte Liebe zwischen ihnen umso heftiger wieder auf. Emma, die des Kindes wegen zögert, ihren Ehemann im Stich zu lassen, sieht sich hin- und hergeworfen zwischen Lüge, Loyalität und Leidenschaft, zwischen dem Wunsch nach Übersichtlichkeit und der Sehnsucht nach einem exzessiven Leben.

Auch wenn die Männerfiguren insgesamt etwas blass geraten sind, ja die des Liebhabers dem Abziehbild des Latin Lovers manchmal gefährlich nahe kommt, gewinnt der Roman nicht nur dem altbekannten Thema von der Dreiecksbeziehung zwischen Liebe und Tod reizvolle Varianten ab.
Erzählt wird aus der Perspektive der Protagonistin. Fern von Larmoyanz oder bildersatten Gefühlsseligkeiten lässt Jürg Amann, der auch als Lyriker hervorgetreten ist, sie geradezu nüchtern ihre Erinnerungen, Ängste und Sehnsüchte resümieren. Es ist eine kunstvoll verknappte Sprache, die beim Lesen Räume für eigene Assoziationen entdecken lässt. Eindrücklich wird damit das ungeschriebene Motto des Buches intoniert, dass die geheime Triebkraft des Lebens und der Liebe ganz besonders die Angst vor der Leere ist. Wie anarchisch dabei die Kräfte des Begehrens sind, dem hat Amann in seinen Erzählungen stets aufs Neue in wechselnder stilistischer Gestalt nachgespürt.
So spiegelt sich die Zerrissenheit der Hauptfigur in stakkatohaften, kurzen Sätzen, die anfangs wie Ausrufe aneinandergereiht sind, während im Fortgang der Erzählung immer wieder von ruhigerem Atem getragene Passagen die dramatische Verdichtung zum Ende hin vorbereiten. Ohne konstruiert zu wirken, ist die Art, wie Jürg Amann lange Zeit die Lesererwartung in die Irre führt, geradezu meisterlich. Souverän hält er das Wechselspiel zwischen Rahmenerzählung - der Zugfahrt durch das ganze Land – chronologisch angelegten Rückblenden und sparsam ausgeleuchteten Vorausdeutungen in Balance.

Denn was man bald schon ahnt, stellt sich erst im letzten Romandrittel heraus: Die "kalabrische Hochzeit" findet nicht ganz so statt, wie es der Titel nahezulegen scheint. So bleibt das fein gesponnene Kammerstück über eine eigentlich unmögliche Liebe spannend bis zum Schluss.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Jürg Amann: Die kalabrische Hochzeit
Arche-Verlag, Zürich/Hamburg 2009
128 Seiten, 18 Euro