Zwischen Lebensfreude und Todesangst
Seit 20 Jahren lebt der Berliner Lyrik- und Prosaautor Mario Wirz mit der Diagnose HIV-positiv. Zu seinem 50. Geburtstag am Sonntag hat er sich und seinen Lesern mit dem Band bereits ein besonderes Geschenk gemacht. Darin steckt er die emotionalen Pole ab, zwischen denen sich Euphorie und Depression, Zorn und Zärtlichkeit mit dem staunenden Dank versöhnen, (noch) am Leben zu sein.
Staunender Dank, am Leben zu sein.
Wirz-Gedicht "Verbündete":
"Nicht länger bin ich mutlos
mit den Flügeln des Falken
komme ich leicht
über mein Schicksal hinweg"
Als Gnade, Flucht und Droge erweist sich die Poesie für Mario Wirz. Mit ihr leiht er sich Flügel vom Falken, aber auch Stachel vom Igel und Panzer von der Schildkröte und trotzt so dem Schicksal.
"Schwul, Aids, arm und allein, was für ein Melodram!", notiert er in einem frühen Erlebnisbericht und kontert wenig später mit seinen hochauthentischen Gedichtbänden "Ich rufe die Wölfe" und "Das Herz dieser Stunde" sowie "Folge dem Fieber und tanze", seinem Aufsehen erregenden Briefwechsel mit Rosa von Praunheim, dessen Snobappeal ihn zwar stutzig macht, dessen Kreativität er aber bewundert.
Doch, dass ihn selbst Kritiker als Vorzeige-Aids-Literaten stempeln, amüsiert und frustriert ihn heftig. Schließlich sei er als "Longtermsurvivor" kein Profi-, sondern auch nur Amateursterblicher. Und da ist es egal, ob er "geil in Hamburg rumläuft, wo die Blonden mit hanseatischem Hüftschwung blenden" , im Hospital "dem gelbäugigen Tod befiehlt: Fang Dir eine andere Maus!" oder mit dem Geliebten im alten Boot Kurs auf Unbekannt nimmt.
Wirz-Gedicht "In einem Boot":
"Laß uns nicht
furchtsam sein
Sturm vor der Stille
wollen wir wagen
Du und ich
in einem Boot
auf großer Fahrt"
Knapp 150 Gedichte versammelt das handliche Hardcover-Bändchen in Dunkelblau mit einem Foto eines Einsamen am Meer. Tatsächlich erinnern Tonfall, Stimmung und Bilder des lyrischen Tagebuchs nicht selten an Storm oder Caspar David Friedrich, die sich gleichfalls vom Meer inspirieren ließen. Dass unter jedem Gedicht Namen von Freunden, Kollegen, Weg- und Schicksalsgefährten stehen, ist vom Dichter als Dank gemeint. Einige gehören zu den Spendern seiner teuren Aidsmedikamente, die die Krankenkasse dem Todgeweihten zynisch verwehrt. Alle aber - so Wirz - glauben an die stillen Wunder in Poesie und Leben.
Wirz-Gedicht "Trunken vor Jugend":
"Trunken vor Jugend werfen sie ihre Angeln aus
in die allerhöchste Wolke
Wünsche als Köder
warten sie wie lange
Irgendwann lässt sie sich fangen
ihre Stunde
Blau wird sie sein
So blau und nie vergehen"
Neulich, erzählt Mario Wirz, fand er sich im Interregio von einer Horde lauter Handy-Anrufer umkreist. Und er fragte sich, ob er ohne dieses modische "dritte Händchen" nicht ein Neandertaler sei. Da habe er als gelernter Schauspieler plötzlich Lust gespürt, mit einem Kabarettdialog diese kulturlose Kommunikation nachzuäffen. Aber vielleicht fehlten den Handy-Freaks ja auch nur wirkliche Nähe und Gespräche. Dabei - so Wirz wörtlich - "ist das Leben, das wir NICHT wagen, nur einen Katzensprung entfernt". Eigene Liebessehnsucht entschuldigt und erklärt er gern mit Fabelwesen.
Wirz-Gedicht "Ich kann nichts dafür":
"Ich kann nichts dafür
daß ich mich um Mitternacht in einen Pfau verwandele
Lästig klingen meine Schreie - sagst du
Dabei schlage ich nur für dich mein Rad
Morgens liegt auf Deinem Kissen eine rote Feder"
"Mario Maßlos" nennt er sich manchmal im Scherz. Und kalkuliert damit wohl beides - sein Lebensdrama und den Lebenshunger. Denn wenn er Freunde beschwört, endlich wieder mal mit ihm Pizza zu essen, wenn er eigene Eitelkeit als Clown karikiert oder voller Ernst Anteil an den Sorgen der Freunde nimmt, heißt das nicht, dass er das Damoklesschwert seines Schicksals verdrängt. Mit Sturm und Stille steckt er die emotionalen Pole ab, zwischen denen sich Euphorie und Depression, Zorn und Zärtlichkeit mit dem staunenden Dank versöhnen, (noch) am Leben zu sein .
Wirz-Gedicht "Tabellarischer Lebenslauf":
"Am Ende will ich ein schräger Vogel sein
Suche mir ein Wolkenkuckucksheim
und lasse meine Tage auffliegen"
Rezensiert von Heike Schneider
Mario Wirz: Sturm vor der Stille,
Aufbau-Verlag, Berlin 2006,
155 Seiten, 17,90 Euro
Wirz-Gedicht "Verbündete":
"Nicht länger bin ich mutlos
mit den Flügeln des Falken
komme ich leicht
über mein Schicksal hinweg"
Als Gnade, Flucht und Droge erweist sich die Poesie für Mario Wirz. Mit ihr leiht er sich Flügel vom Falken, aber auch Stachel vom Igel und Panzer von der Schildkröte und trotzt so dem Schicksal.
"Schwul, Aids, arm und allein, was für ein Melodram!", notiert er in einem frühen Erlebnisbericht und kontert wenig später mit seinen hochauthentischen Gedichtbänden "Ich rufe die Wölfe" und "Das Herz dieser Stunde" sowie "Folge dem Fieber und tanze", seinem Aufsehen erregenden Briefwechsel mit Rosa von Praunheim, dessen Snobappeal ihn zwar stutzig macht, dessen Kreativität er aber bewundert.
Doch, dass ihn selbst Kritiker als Vorzeige-Aids-Literaten stempeln, amüsiert und frustriert ihn heftig. Schließlich sei er als "Longtermsurvivor" kein Profi-, sondern auch nur Amateursterblicher. Und da ist es egal, ob er "geil in Hamburg rumläuft, wo die Blonden mit hanseatischem Hüftschwung blenden" , im Hospital "dem gelbäugigen Tod befiehlt: Fang Dir eine andere Maus!" oder mit dem Geliebten im alten Boot Kurs auf Unbekannt nimmt.
Wirz-Gedicht "In einem Boot":
"Laß uns nicht
furchtsam sein
Sturm vor der Stille
wollen wir wagen
Du und ich
in einem Boot
auf großer Fahrt"
Knapp 150 Gedichte versammelt das handliche Hardcover-Bändchen in Dunkelblau mit einem Foto eines Einsamen am Meer. Tatsächlich erinnern Tonfall, Stimmung und Bilder des lyrischen Tagebuchs nicht selten an Storm oder Caspar David Friedrich, die sich gleichfalls vom Meer inspirieren ließen. Dass unter jedem Gedicht Namen von Freunden, Kollegen, Weg- und Schicksalsgefährten stehen, ist vom Dichter als Dank gemeint. Einige gehören zu den Spendern seiner teuren Aidsmedikamente, die die Krankenkasse dem Todgeweihten zynisch verwehrt. Alle aber - so Wirz - glauben an die stillen Wunder in Poesie und Leben.
Wirz-Gedicht "Trunken vor Jugend":
"Trunken vor Jugend werfen sie ihre Angeln aus
in die allerhöchste Wolke
Wünsche als Köder
warten sie wie lange
Irgendwann lässt sie sich fangen
ihre Stunde
Blau wird sie sein
So blau und nie vergehen"
Neulich, erzählt Mario Wirz, fand er sich im Interregio von einer Horde lauter Handy-Anrufer umkreist. Und er fragte sich, ob er ohne dieses modische "dritte Händchen" nicht ein Neandertaler sei. Da habe er als gelernter Schauspieler plötzlich Lust gespürt, mit einem Kabarettdialog diese kulturlose Kommunikation nachzuäffen. Aber vielleicht fehlten den Handy-Freaks ja auch nur wirkliche Nähe und Gespräche. Dabei - so Wirz wörtlich - "ist das Leben, das wir NICHT wagen, nur einen Katzensprung entfernt". Eigene Liebessehnsucht entschuldigt und erklärt er gern mit Fabelwesen.
Wirz-Gedicht "Ich kann nichts dafür":
"Ich kann nichts dafür
daß ich mich um Mitternacht in einen Pfau verwandele
Lästig klingen meine Schreie - sagst du
Dabei schlage ich nur für dich mein Rad
Morgens liegt auf Deinem Kissen eine rote Feder"
"Mario Maßlos" nennt er sich manchmal im Scherz. Und kalkuliert damit wohl beides - sein Lebensdrama und den Lebenshunger. Denn wenn er Freunde beschwört, endlich wieder mal mit ihm Pizza zu essen, wenn er eigene Eitelkeit als Clown karikiert oder voller Ernst Anteil an den Sorgen der Freunde nimmt, heißt das nicht, dass er das Damoklesschwert seines Schicksals verdrängt. Mit Sturm und Stille steckt er die emotionalen Pole ab, zwischen denen sich Euphorie und Depression, Zorn und Zärtlichkeit mit dem staunenden Dank versöhnen, (noch) am Leben zu sein .
Wirz-Gedicht "Tabellarischer Lebenslauf":
"Am Ende will ich ein schräger Vogel sein
Suche mir ein Wolkenkuckucksheim
und lasse meine Tage auffliegen"
Rezensiert von Heike Schneider
Mario Wirz: Sturm vor der Stille,
Aufbau-Verlag, Berlin 2006,
155 Seiten, 17,90 Euro