Zwischen Kunst und Kommerz

Christiane Peitz und Kirsten Niehuus im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.02.2011
Der deutsche Film produziere mehr Masse als Klasse - und Schuld daran sei auch das Fernsehen, sagt Filmkritikerin Christiane Peitz. Filmförderin Kirsten Niehuus hält dagegen: erfolgreiche Filme seien international die Ausnahme.
Liane von Billerbeck: Man könnte ja zufrieden sein mit dem deutschen Film: Da haben wir einen Oscar für "Das Leben der Anderen", es gab Oscar-Nominierungen für "Der Baader Meinhof Komplex" und Michael Hanekes "Das weiße Band". Längst sind auch so unterschiedliche Regisseure wie Andreas Dresen, Tom Tykwer und Christian Petzold gern gesehene Stammgäste auf den großen internationalen Festivals.

Auch bei der heute beginnenden Berlinale ist die deutsche Präsenz beeindruckend, um nur einige Beispiele zu nennen: Andreas Veiels erster Spielfilm "Wer wenn nicht wir" und "Schlafkrankheit" von Ulrich Köhler laufen im Wettbewerb des Filmfestivals. Aber die ganz großen Publikumserfolge, die fährt hierzulande ein anderes Kino ein: Fünf Millionen Zuschauer wollten Bully Herbigs "Wickie und die starken Männer" sehen, und 3,3 Millionen Til Schweigers "Zweiohrküken".

Klar, das Kino braucht Unterhaltungsfilme, aber warum gibt es hierzulande nicht mehr Filme, die den Spagat zwischen Kunst und Kommerz schaffen, die gewagten Themen auch mit gewagten Formen begegnen? Bei mir im Studio ist jetzt die Filmkritikerin und Feuilletonchefin des "Berliner Tagesspiegels" Christiane Peitz und die Geschäftsführerin des Medienboard Berlin-Brandenburg Kirsten Niehuus, und wir wollen über die Lage des deutschen Films sprechen. Frau Peitz, Frau Niehuus, ich grüße Sie!

Christiane Peitz: Guten Morgen!

Kirsten Niehuus: Guten Tag!

von Billerbeck: Christiane Peitz, Sie haben in der Zeitschrift "Cicero" einen Artikel mit dem provokanten Titel "Ins Abseits gefördert" geschrieben, und der erste Satz lautet: "Eigentlich ist alles in bester Ordnung." Sie erwähnen, dass der deutsche Film mit 300 Millionen Euro erstklassig subventioniert sei, aber dennoch mehr Masse als Klasse hervorbringe. Ist das bloß die überspitzte These, um die Diskussion zu befeuern, oder sieht die deutsche Kinowirklichkeit tatsächlich so aus?

Peitz: Das ist natürlich erst mal die Überschrift, damit die Leute den Artikel lesen. Das Problem ist, dass, je genauer man sich die deutsche Filmförderung anguckt, desto komplizierter wird es, denn es gibt ja gute deutsche Filme, Sie haben eben schon ein paar erwähnt, es gibt vor allen Dingen sehr, sehr viele deutsche Filme, jede Woche kommen mehrere ins Kino, und ich hatte mir einfach mal genauer angeguckt: Wie kommt es eigentlich, dass es am Geld nun wirklich nicht liegt, und dass dabei so viel Lauwarmes rauskommt? Also ist das etwas Strukturelles oder sind die Filmemacher einfach so drauf, dass die irgendwie zufrieden sind mit dem Geld, was sie kriegen und die Produzenten auch, und wenn der Film abgedreht ist, dann haben die schon alle ihren Schnitt gemacht und ihr Geld verdient, und ob der jetzt ins Kino kommt und Zuschauer findet, ist eigentlich egal.

Und was mir sehr wichtig ist – und da sind wir dann bei den Länderförderern und auch bei Kirsten Niehuus –, dass ich glaube, dass der Einfluss des Fernsehens da ein sehr negativer ist. Die Fernsehsender zahlen Geld in die Länderförderungen ein, kriegen dann im Gegenzug auch wiederum Geld für ihre Förderungen, sie koproduzieren auch Kino für ihre Fernsehfilme und sie koproduzieren auch Kinofilme, und irgendwie führt das dazu, dass das Ganze so ein bisschen einheitlich aussieht. Und warum sollen Leute noch ins Kino gehen, wenn sie dasselbe zu Hause, zumal auf XXL-Flachbildschirmen und Superqualität und Großmonitor daheim im Wohnzimmer, warum sollen die Leute dafür noch ins Kino gehen, wenn sie da nichts anderes zu sehen kriegen?

von Billerbeck: Wir reden über die Rolle des Fernsehens noch, zuerst Frau Niehuus: Sie gehören ja wiederum als Geschäftsführerin des Medienboard Berlin-Brandenburg zu den Geldgebern, die Frau Peitz ja eben erwähnt hat und auch in ihrem Text aufführt, und bei Ihrem Etat, da handelt es sich um eine Art Wirtschaftsförderung. In Ihrem Jahresbericht für 2009, da konnten Sie verkünden, dass Sie einen 500-prozentigen sogenannten Regionaleffekt erzielt haben, das heißt, wenn ich einen Euro einsetze oder wenn Sie einen Euro einsetzen, mit dem ein Filmprojekt bezuschusst wird, dann bedeutet das für die Region Berlin-Brandenburg – nur mal hier als Beispiel – fünf Euro Dienstleistungsausgaben, Investitionen, Arbeitsplätze in Filmproduktionsfirmen. Wie sieht denn Ihr Blick auf die ja offenbar doch recht fett geförderte deutsche Kinowirklichkeit aus?

Niehuus: Also zum Einen betreiben wir natürlich nicht nur Wirtschaftsförderung, aber trotzdem finde ich das absolut richtig und zutreffend, dass Sie da ein Schlaglicht drauf geworfen haben, weil diese 500 Prozent für mich ein Indikator sind, dass sich in Berlin-Brandenburg in den letzten fünf bis zehn Jahren so was wie eine Filmwirtschaft rausgebildet hat. Ich bin nicht der Auffassung, die Christiane Peitz gerade genannt hat, dass das Fernsehen an allem Schuld ist, weil zu unserer aller Sorge stellen wir auch fest, dass das Fernsehen sich immer weniger an Filmen beteiligt, also dass die Finanzierung von deutschen Filmen an der Stelle immer schwieriger wird, und dass das nicht unbedingt dazu führt, dass schlechter ausgestattete Filme, also finanziell schlechter ausgestattete Filme unbedingt die besseren sind. Diese Gleichung konnte irgendwie auch noch keiner beweisen.

Und ich weiß immer, wenn es … Wir reden immer so vom Mittelmaß. Ich würde das gern ein bisschen relativieren und das nicht als deutsches Phänomen bezeichnen, sondern: Erfolgreiche Filme – seien es Filme, die auf der Berlinale oder in Cannes oder einen Oscar gewinnen – und Filme, die ein Millionenpublikum erreichen, sind in allen Ländern, inklusive Amerika und Gesamteuropa, sprich auch das immer viel gepriesene Frankreich, eine Ausnahme.

von Billerbeck: Tatsache ist aber auch, dass viele Filme, obwohl sie teuer produziert wurden, dann an der Kinokasse eher gescheitert sind, denken wir an Dennis Gansels Ausflug in das Vampirgenre, "Wir sind die Nacht", oder auch Lars Kraumes Science-Fiction "Die kommenden Tage". Liegt das vielleicht daran, dass es schlechte Drehbücher waren ganz schlicht, oder hängt das eben doch damit zusammen, dass bei solchen Filmen schlicht zu viele Menschen mitreden, seien es nun Förderer oder Redakteure der mitfinanzierenden Fernsehsender?

Peitz: Es gibt viele, die das sagen. Dominik Graf, der … einer der besten deutschen Filmemacher, die wir haben, der, wie ich finde traurigerweise, in Anführungsstrichen, nur noch Fernsehen macht, also der es irgendwann aufgegeben hat mit diesen Förderdschungeln, der sagt das, dass das dazu führt, dass alle eigentlich … alle reden mit und alle wollen das für ihre Zwecke zuschneiden, und am Ende ist dann sozusagen keine Handschrift mehr drin, wenig Mut, wenig Eigensinn, wenig, was die Zuschauer auch mal in einem guten Sinne vor den Kopf stößt und rausreißt aus dem, was sie so gewohnt sind.

Also liegt es wirklich nur an den einzelnen Filmemachern, weil die so kapriziös oder schwierig sind, dass einer wie Wolfgang Becker seit "Goodbye, Lenin!" keinen Film mehr gemacht hat, dass Valeska Griesebach, deren Film vor ein paar Jahren auf der Berlinale lief, das was ganz Neues, ganz Eigenes war – ich habe von der nichts mehr gesehen. Maren Ade ist auch schon ein Weilchen her. Sind das alles Einzelfälle, oder ist das doch ein Zeichen dafür, dass die Strukturen so sind, dass die besonders Interessanten da nicht reinpassen?

von Billerbeck: Christiane Peitz ist bei uns zu Gast, die Filmkritikerin und Feuilletonchefin des "Berliner Tagesspiegels", und Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin des Medienboard Berlin-Brandenburg. Wir haben ja das Fernsehen schon des Öfteren erwähnt: Kaum ein Film kommt ja hierzulande ohne die Gelder der deutschen Fernsehsender aus. Frau Peitz, Frau Niehuus: Ist diese Macht Segen oder Fluch?

Niehuus: Darf ich noch mal ganz kurz … Ich weiß, Sie möchten Ihre Frage beantwortet haben, aber ich muss noch mal ganz kurz auf das replizieren, was Christiane Peitz gesagt hat, was das Mittelmaß anbelangt in Förderinstitutionen: Wenn ich auf uns gucke, dann muss ich einfach sagen: Das stimmt so nicht. Wir haben den Wirtschaftsfaktor, aber wir haben auch 37 Nominierungen für den Deutschen Filmpreis, wir haben acht Filme im Wettbewerb der Berlinale.

von Billerbeck: Trotzdem sagte der deutsche Regisseur – und das zitiert Christiane Peitz in ihrem Artikel – den Satz: "Unsere Filme sind wie Grabsteine: brav, banal, begütigend." Das ist ja sehr selbstkritisch.

Niehuus: Ich würde auch noch einmal ganz kurz zu der Frage des Mitredens … das hat natürlich auch etwas mit Ihrer Frage des Fernsehens zu tun: Förderungen reden nicht mit. Warum Wolfgang Becker keinen Film in den letzten Jahren gemacht hat, das hat glaube ich zuallerletzt irgendetwas mit Förderung oder mit Fernsehen zu tun. Wolfgang Becker kommt im Moment einfach so nicht zu Potte. Valeska Griesebach hat ein neues Projekt. Das sind aber auch alles Autoren, die sehr, sehr lange entwickeln, und die Entwicklung ihres neuen Projektes haben wir mitgefördert, das wird sicherlich noch ein bisschen dauern. Maren Ade, mit der habe ich gestern gerade gesprochen, die hat, sagt, dass sie lange Lust hatte, an anderen Projekten, zum Beispiel an dem Ulrich-Köhler-Projekt "Schlafkrankheit" mitzuarbeiten, sie ist ja auch Produzentin und wird jetzt, denke ich mal, demnächst wieder mit ihrem eigenen Projekt anfangen. Das sind Zyklen, die kann man als Förderung … Wir sind ja auch reaktiv, wir sind ja nicht die Besteller, wir bestellen keine Filme, wir beeinflussen keine Filme, wir reagieren auf die Angebote.

Und im Übrigen, wenn Sie wollen, bei Til Schweiger, das mögen ja künstlerische Handschriften sein, die einem aus einer Feuilleton-Perspektive nicht besonders gefallen, aber ich glaube, die Position "Das Fernsehen macht den deutschen Film kaputt", das kann man so nicht sagen, denn das Fernsehen ist auch die Institution gewesen, die alle die, die Christiane Peitz genannt hat, überhaupt dazu befähigt hat, Filme zu machen.

von Billerbeck: Frau Peitz, noch mal an Sie: In Ihrem Artikel wird ja auch erwähnt, das sagen Dominik Graf und der schon erwähnte Klaus Lemke, da ist immer von einer Konsenskultur die Rede und nicht von einer echten Liebe zum Kino, die etwa besonders vonnöten ist, um eben großes Genrekino zu machen. Und wir merken aber, dass genau die Amerikaner hierherkommen, um solches Kino, um so ein Genrekino zu machen, also wie jetzt beispielsweise auf den Filmfestspielen der Berlin-Thriller "Unknown Identity" mit Liam Neeson in der Hauptrolle. Warum ist das so, was läuft da schief?

Peitz: Ich finde es falsch, das gegeneinander auszuspielen. Eine funktionierende Filmlandschaft hat immer beides, die hat irgendwie die Filme, wo es kracht und wo die Friedrichstraße in Schutt und Asche gelegt wird, es wurde mir jedenfalls erzählt von "Unknown", ich habe ihn noch nicht gesehen, und wir brauchen Filme mit diesen anderen Tönen, die müssen auch gar nicht unbedingt immer leise sein. Also es gibt ja Vorschläge, zum Beispiel: Warum ziehen sich die Fernsehsender nicht aus der Filmförderung zurück, dass sie da nicht mehr einzahlen, und werden da im Gegenzug gesetzlich verpflichtet, Filme für interessante Sendezeiten, für attraktive – also nicht 2.30 Uhr morgens –, einzukaufen, geförderte Filme einzukaufen? Das würde die Eigenkapitalisierung der Produzenten, ihre Unabhängigkeit, ihre finanzielle, stärken. Die Sender müssten gar nicht mehr unbedingt mehr Geld reinzahlen, aber ich glaube schon, dass es den Versuch wäre, zu gucken, ob dann weniger Konsenskino dabei rauskäme.

von Billerbeck: Frau Niehuus, einverstanden?

Niehuus: Ich glaube, wir haben eine Größe in der Finanzierung und in der Bewertung deutscher Filme bis jetzt eigentlich außer Acht gelassen, die größte Größenordnung haben wir nicht erwähnt, und das ist das Publikum. Und nicht zuletzt hat Dominik Graf auch deshalb aufgegeben, so tolle Filme zu machen, weil die keiner sehen wollte. Ist die Frage: Ist das dann so ein toller Kinofilm, wenn den keiner sehen möchte?

Peitz: Ich finde, es gibt nicht das Publikum, es gibt viele Publikümer, es gibt das Til-Schweiger-Publikum, es gibt das Dominik-Graf-Publikum.

Niehuus: Aber das Dominik-Graf-Publikum ist bedauerlicherweise so klein geworden, und da kommen wir glaube ich zu einem anderen Phänomen, dass Kinofilm – und das ist glaube ich eine Frage, mit der man sich in den nächsten Jahren beschäftigen muss –, dass ein Kinofilm sicherlich noch mal in der Konkurrenz von Bilderfluten … also wann immer man heute seinen Computer anmacht und ins Internet geht, überall laufen bewegte Bilder, und das Bewegtbild an und für sich ist keine Besonderheit mehr – und dass das Kino noch mehr vielleicht als früher was ganz Besonderes sein muss.

von Billerbeck: Die Filmkritikerin und Feuilletonchefin des "Berliner Tagesspiegels" Christiane Peitz und die Geschäftsführerin des Medienboard Berlin-Brandenburg Kirsten Niehuus waren bei mir im Studio zu Gast. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

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