Zwischen Kunst und Glaube

Nach dem ersten Band mit Darstellungen Jesu in der bildenden Kunst stellt Wieland Schmied den Lesern des neuen Bandes Darstellungen alttestamentlicher und apokalyptischer Szenen vor. Allgemeinverständlich erschließt Schmied rund hundert Bilder und bietet einen profunden Einblick in die Kunstgeschichte Europas.
Ein Jahr nach "Bilder zur Bibel" legt Wieland Schmied mit "Von der Schöpfung zur Apokalypse" einen weiteren Bildband vor, der wiederum mehr als hundert Bilder vorstellt von bedeutenden Malern aus sieben Jahrhunderten. Fokussiert der erste Band die Gestalt Jesu und deren Gleichnisse, führen die Aquarelle und Holzschnitte, Radierungen und Lithographien des zweiten Bandes - dem Untertitel gemäß - Szenen aus dem Alten Testament sowie aus dem neutestamentlichen Buch der Offenbarung vor Augen.

Den Kern des Buches bilden achtzig Doppelseiten. Auf ihnen findet man stets links einen Bibeltext und Schmieds Erläuterungen, rechts jeweils ein großformatiges Bild. Hier sind die wichtigsten Maler der europäischen Kunstgeschichte vereint. Der Bogen spannt sich von Botticelli und Dürer über Rembrandt, Blake und Klimt bis hin zu Scholz und Weiler.

Schmied bietet nicht nur einen Blick auf die Entwicklung der Kunst seit der Renaissance. Er macht überdies mit wichtigen Figuren, zentralen Motiven und typischen Szenen der Bibel vertraut.

Am meisten Raum nimmt das Buch Genesis ein. Mitunter findet man mehrere Bilder zum selben Motiv – etwa zur Verführung von Adam und Eva (Gen 3). Während sich Füssli auf die Verführung Evas durch die Schlange konzentriert, betont Cranach d. Ä. die Verführung Adams durch Eva. Bei Beckmanns Darstellung reicht die nackte Eva Adam statt des Apfels ihre Brust. Léger schließlich stellt das Menschenpaar als Akrobaten dar und als "Stammeltern eines neuen Geschlechts, durch die sich alle unsere utopischen Hoffnungen und Sehnsüchte erfüllen werden".

Ein zweites Beispiel: Von den drei Bildern, die Kains Brudermord (Gen 4) thematisieren, fällt die düstere Darstellung von George Grosz aus dem Jahr 1944 besonders ins Auge. Sie verbindet eindrucksvoll das biblische Szenario mit seinerzeit politisch-aktuellem Geschehen:

Dem schnurrbärtigen Kain liegen unzählige Gerippe zu Füßen. In seinem Rücken liegt kaum sichtbar der Erschlagene. Die Sonne ist verdunkelt. Doch ziehen ein Zug von Menschen und loderndes Feuer den Blick des Betrachters auf sich.

"Der Kain auf unserem Bild hat nicht nur seinen Bruder Abel erschlagen. Er hat die ganze Welt in Brand gesetzt und eine Apokalypse ausgelöst. ... Das Bild hat nicht nur den Titel 'Kain'. Es hat noch eine zweiten Titel: 'Hitler in der Hölle'."

Das letzte Buch der christlichen Bibel, die Offenbarung des Johannes, ist voll von Metaphern und Textpassagen, die die visuelle Fantasie anregen. Schmieds Bildauswahl demonstriert denn auch: Die Rede von apokalyptischen Reitern, von Engeln und Posaunen, von der Hure Babylon und vom himmlischen Jerusalem, vom Sturz des Drachen und vom Sieg des Lammes hat Künstler seit jeher fasziniert und inspiriert.

Die Kombination von Bibeltext, Kommentar und Bild soll helfen, "die beiden mitunter konfrontativ einander gegenüberstehenden Seiten Kunst und Religion, besonders aber Kunst und Kirche" in gegenseitiger Achtung zu bestärken. Der emeritierte Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der Künste versteht sich als Brückenbauer.

Daher ummanteln den Kern des Buches zwei eigens für den Bildband verfasste Essays. Im ersten, längeren geht Schmied auf das Erste Testament ein, auf dessen Schöpfungsgeschichten und Gottesbilder sowie auf die Beziehung von Kunst und Kirche. Im zweiten findet man Anmerkungen zur Offenbarung des Johannes. Sie beenden den gut zweihundertseitigen Bildband, dem erneut ein Vorwort des Berliner Bischofs Wolfgang Huber vorangestellt ist.

Kunstkennern, insbesondere Grenzgängern im Dialogfeld bildender Kunst und Biblischer Theologie, bietet der Band vermutlich kaum Neues. Allen anderen hingegen öffnet Schmied mit allgemeinverständlichen Texten die Augen und eröffnet mit imposanten Bildern Zugänge zu den archetypischen Gestalten der Bibel und deren paradigmatischen Geschichten.

Rezensiert von Thomas Kroll

Wieland Schmied: Von der Schöpfung zur Apokalypse. Bilder zum Alten Testament und zur Offenbarung
Radius Verlag, Stuttgart 2007
232 Seiten, 29 Euro