Zwischen Kreativität und Mangel

Von Klaus Englert · 05.08.2012
Die Krise ist jetzt auch bei der spanischen Kultur angekommen. Immer häufiger werden wichtige Fördermittel gekürzt oder bleiben ganz aus. Besonders hart trifft es die spanische Architektur- und Kunstszene.
Manuel Borja-Villel: "Die Kunst ist in Spanien von der wirtschaftlichen Krise besonders stark betroffen. Das Problem bestand lange darin, dass die Immobilienspekulation im Museumssektor dazu führte, dass man immer nur an spektakuläre Hüllen und nicht an den Inhalt dachte. Man hoffte, die tollen Fassaden würden Touristen und Geld anlocken."

Manuel Borja-Villel kann sich noch einigermaßen glücklich schätzen, dass dem Reina Sofía die dramatischen Einschnitte anderer Kunstzentren bislang erspart blieben. Die übrigen, öffentlich geförderten, Museen wie das neue Kunstzentrum MUSAC in León, ein riesiger bunter Container für die Kunst des 21. Jahrhunderts, müssen mittlerweile Etatkürzungen von über 50 Prozent hinnehmen. Museumschef Agustín Pérez Rubio hat deswegen dieser Tage die Notbremse gezogen. Nach knapp dreijähriger Amtszeit trat er zurück und verkündete, eine sinnvolle Weiterarbeit sei nicht mehr gewährleistet.

Doch mittlerweile fragt man sich in Spanien, welche Berufsgruppe des kulturellen Lebens wohl am schlechtesten abschneiden würde. Die Antwort überrascht niemanden. Es sind die Architekten, die jahrelang vom Bauboom verwöhnt wurden. Plötzlich finden sie sich auf der Verliererstraße wieder. Luis Fernández-Galiano, Madrider Architekturprofessor, gibt sich keinerlei Illusionen mehr hin:

Luis Fernández-Galiano: "Es ist die schlimmste Krise, die ich in meiner 40-jährigen Berufslaufbahn erlebt habe. Der Immobilienmarkt brach nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor ein, wo sich die Krise besonders dramatisch auswirkte. Noch vor fünf Jahren wurden 800 000 Wohnungen gebaut, im letzten Jahr waren es nur noch etwas über 50 000."

In den einst florierenden Architekturzentren Madrid und Barcelona musste im letzten Jahr die Hälfte der Büros schließen. Selbst die gerne zitierten Stararchitekten sind nicht von der Krise verschont. Enrique Sobejano gehört mit seiner Frau Fuensanta Nieto eigentlich zu den erfolgsverwöhnten ihres Berufsstandes. Aber auch er muss eingestehen, seit langem keinen Auftrag mehr in Spanien bekommen zu haben. Erst durch Vermittlung der Aga Khan Stiftung habe er kürzlich die Möglichkeit erhalten, in Neu-Delhi zu bauen. Sobejano erzählt, dass er die Auswirkungen der Krise sogar im fernen Malaysia verspürte:

Enrique Sobejano: "Letzte Woche kam ich von einer Konferenz in Malaysia zurück. Dort gibt es mittlerweile unglaublich viele spanische Architekten. Besonders viele sind nach China ausgewandert. Zahlreiche junge Architekten hat es auch nach Lateinamerika gezogen. Die jungen Menschen treibt es alle ins Ausland. Die Krise hat dramatische Ausmaße angenommen. Allein unter meinen Berufskollegen ist die Hoffnung geschwunden, in den nächsten fünf Jahren Arbeit zu bekommen."

Der Madrider Architekt Juan Navarro Baldeweg erinnert daran, dass der Deutsche Ludwig Mies van der Rohe ebenfalls in Zeiten schwerer wirtschaftlicher Krisen die Losung "Weniger ist mehr" ausgegeben habe. Für Navarro Baldeweg ist das der Weg, den kommunale Bauherren und Architekten beschreiten sollten:

Navarro Baldeweg: "Mit dem Mittel der Knappheit können wir eine neue Architektur hervorbringen. Wir sollten wesentlich mehr das Bauen ausgehend vom Bestehenden pflegen. Diese Haltung lässt mich an Marcel Duchamp und an die ready mades denken. Für mich bedeutet die Strategie des ready made: das Bestehende verändern, praktisch ohne es zu berühren, damit aber seine Bedeutung für uns verändern."

Navarro Baldewegs Idee bleibt wohl eine ferne Utopie. Denn Spanien ist ein Land, wo nahezu jeder am Immobilienboom partizipierte und wo jeder Provinzbürgermeister sein Klein-Guggenheim haben wollte. Die spanischen Intellektuellen, die mit Vorliebe Walter Benjamin zitieren, sollten vielleicht auch seine Zeilen aus dem Pariser Exil von 1933 lesen. Die neue Zeit beginne erst dann, schrieb Benjamin damals, "wenn wir von vorne beginnen, mit Wenigem auskommen, aus Wenigem heraus konstruieren." Juan Navarro Baldeweg ist unter den einflussreichen spanischen Architekten der erste, der sich dieses Mottos ernsthaft annimmt.

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