Zwischen Kräutern und Plastikplanen
Als Portugal Mitglied der Europäischen Union wurde, konnten die Bauern nicht mehr mithalten – auch weil durch das Erbrecht ihr Land immer kleiner wurde. Viele junge Menschen verließen die Höfe und suchten in den Städten Arbeit und Auskommen. Seit einiger Zeit besinnen sich viele Portugiesen ihrer ländlichen Wurzeln und kehren als Biobauern aufs Land zurück.
Luis Alves (Luisch Alvesch) geht über das leicht hügelige Gelände seiner Cantinho das Aromáticas (Kantinjo dasch Aromatikasch). Auf der Biokräuterfarm, nahe der Küstenstadt Porto, wachsen links und rechts des Kiesweges Rosmarin, Zitronenverbenen und andere Küchen- und Heilkräuter. Lauschig und naturbelassen sieht sein Land dennoch nicht aus: Der gesamte Boden ist mit schwarzer Plastikplane bedeckt, aus der die Pflänzchen heraus schauen.
Luis Alves: "Diese Plastikplanen haben viele kleine Löcher. So verdunstet das Wasser nicht so schnell und es wachsen auch keine Unkräuter. Weil die Plastikplanen schwarz sind, heizen sie sich auf und alles wächst ein bisschen schneller.
Die Wärme wiederum zieht Reptilien an. Deswegen haben wir da drunter einen richtigen kleinen Jurrasic Park. Die Schlangen und Eidechsen fressen die Schnecken und anderes Ungeziefer. Wir freuen uns über all diese Freunde, die kostenlos für uns arbeiten."
Wegen dieser biologischen Helfer muss Luis Alves keine Chemie gegen Schädlinge einsetzen. Mit den Plastikplanen nutzt der 37-Jährige das Klima Nordportugals optimal, wo sich heftiger Regen und kräftiger Sonnenschein in rascher Folge abwechseln können. 2007 bekam Luis Alves für diese Art der Landwirtschaft den Preis des innovativsten Bauern der Iberischen Halbinsel verliehen. Und das, obwohl er eigentlich ein echtes Stadtkind ist.
Luis Alves: "Vor ein paar Jahren wollte in meiner Generation kaum noch einer Landwirt werden. Ich bin aus Porto, keiner außer mir wollte Bauer sein. Alle meine Freunde träumten davon, Rechtsanwälte, Architekten oder Ärzte zu werden. Selbst die Jugendlichen, die auf dem Land aufgewachsen waren, wollten auf keinen Fall in die Landwirtschaft."
Dabei war noch in den 70er-Jahren war jeder zweite Portugiese dort tätig. Über 80 Prozent der Nahrungsmittel wurden damals im eigenen Land angebaut. Heute werden zwei Drittel aller Lebensmittel importiert. Nur noch mit Wein, Olivenöl, Schaffleisch und Roggen versorgt sich Portugal selbst. Dass viele portugiesische Produkte auf dem europäischen Markt nicht konkurrenzfähig sind, hat letztlich mit dem Erbrecht des Landes zu tun: Durch Erbteilung sind die Parzellen viel zu klein, um gewinnbringend bewirtschaftet zu werden. In einigen Regionen sind die Böden zudem relativ karg.
Zwar hätte Portugal für den Anbau sogenannter robuster Sorten – bei Obstbäumen und Weinstöcken - beste Voraussetzungen. Aber diese Wirtschaftszweige würden nicht gefördert, kritisiert der ehemalige Landwirtschaftsminister António Barreto.
Barreto: "Ich glaube, das war ein strategischer Fehler. Portugal hat sich lange Zeit voll und ganz auf den Ausbau der Industrie und des Dienstleistungssektors konzentriert. Eine ganze Weile bekamen Bauern sogar Geld dafür, nichts anzubauen. Danach ging alles durcheinander: Eine Weile unterstützte man mit EU-Geldern den Anbau von Tabak und Baumwolle.
Dann plötzlich wurde für beides nichts mehr gezahlt, stattdessen der Anbau von Tomaten gefördert, später waren es dann Sonnenblumen. Dieses Hin und Her in der Agrarpolitik - sei es nun durch Fehler der Portugiesen oder der Europäischen Union - führte dazu, dass immer mehr Leute die Arbeit auf dem Feld aufgaben."
Schätzungsweise 700.000 landwirtschaftliche Betriebe wurden in den Jahren nach dem Beitritt Portugals zur Europäischen Union 1986 stillgelegt.
Auch Luis Alves, der Zeit seines Lebens vom eigenen Anbau geträumt hat, sah zunächst keine Perspektiven in der Landwirtschaft. So nahm er nach dem Studium der Agrarwirtschaft die Stelle des leitenden Gärtners in der prestigeträchtigen Anlage des Museums für Moderne Kunst in Porto an. Doch er hielt weiter Ausschau nach Möglichkeiten, sein eigenes Land zu bestellen.
Er begann, sich für Bioanbau zu interessieren, der inzwischen von der Europäischen Union gefördert wird. Schließlich hängte er seinen Job als Gärtner an den Nagel, mietete ein kleines Landgut am Stadtrand von Porto und baute mit Hilfe von EU-Geldern ökologische Anbauflächen auf. Seitdem exportiert er getrocknete Biokräuter nach Frankreich.
Luis Alves: "Wir produzieren jedes Jahr mehr, aber reich bin ich komischerweise trotzdem noch nicht geworden. Denn alles was reinkommt, wird gleich wieder investiert. Aber immerhin haben wir Arbeit."
Amarzem Secador: "Dort oben am Hügel werden wir bald eine neue Lagerhalle bauen, denn diese da drüben reicht schon lange nicht mehr, und auch der Kräutertrockner ist inzwischen viel zu klein."
Der Trockner mit den unzähligen, flachen Schubladen sieht aus wie ein riesiger Holzschrank, in dem die geernteten Kräuter in Heißluft getrocknet werden. Danach kommen sie in weiße Säcke und werden im Lastwagen nach Frankreich transportiert. In Portugal selbst vertreibt Luis Alves sie per Internet, außerdem im Direktverkauf im Hofladen. Vier fest Angestellte stehen bei ihm in Lohn und Brot. Den Rest der Arbeit übernehmen freiwillige Helfer.
Luis Alves: "Im Moment kommt fast jede Woche einer dieser Wanabees, die aus ihrem Leben aussteigen wollen. Sie alle träumen davon, Bauern zu werden. Die Krise scheint die Leute so sehr zu verunsichern, dass sie sich geradezu instinktiv der Landwirtschaft zuwenden. Sie scheint in all der Unsicherheit Halt zu versprechen. Viele haben in der Wirtschaft gearbeitet und durch die Krise ihren Job verloren, oder sie haben es satt, moderne Arbeitssklaven zu sein. Sie wollen wieder Land bestellen."
Luis Alves betritt das Gewächshaus und nickt den fünf Mitarbeitern zu, die auf Blumensteigen sitzen und neue Setzlinge abknipsen. Ist ein Eimer voll, wird er zu dem Tisch geschoben, an dem Armindo Oliveira (Armindu Olivära mit gerollten ,r's) steht. Mit behutsamen Griffen pflanzt er die zarten Pflänzchen in kleine Plastiktöpfe. Der junge Mann im Marken-T-Shirt packt seit mehreren Monaten ein- bis zweimal die Woche mit an. Dabei hat er ein eigenes Textilunternehmen, das jedoch immer schlechter läuft.
Armindo: "In der Textilbranche spürt man die Krise besonders stark. Uns macht die Konkurrenz aus den Billigländern zu schaffen, wo die Arbeitskraft so gut wie nichts kostet. Das zwingt mich, nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Der Bioanbau erscheint mir zukunftsträchtig."
Armindo Oliveira will auf der Biokräuterfarm herausfinden, ob die landwirtschaftliche Arbeit wirklich etwas für ihn ist. Im Augenblick schaut der Textilunternehmer zufrieden auf seine dreckigen Hände. Obwohl der 32-Jährige in der Stadt aufgewachsen ist, ist ihm die Arbeit nicht fremd. Wie die meisten Portugiesen in seinem Alter, hat auch er als Kind die Ferien auf dem Bauernhof der Großeltern verbracht.
Armindo: "Ich stamme aus einer Bauernfamilie. Meine beiden Großeltern lebten von der Landwirtschaft. Vielleicht liegt es mir ja im Blut? Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Kind bei meinen Großeltern Traktor oder Eselskarren gefahren bin. Vielleicht kam mir ja deswegen jetzt - in den Zeiten der Krise - die Idee, das als mögliche Alternative zu sehen."
Gloria Santos Silva, die neue Setzlinge rüberreicht, nickt zustimmend. Die 43-Jährige war ebenfalls als Kind den Großeltern zur Hand gegangen. Doch dann übernahm die schlanke Frau mit den straff nach hinten gebundenen Haaren das Unternehmen der Eltern. Selbstbewusst erzählt sie, dass sie zwei Jahrzehnte lang eine mittelständische Firma zur Herstellung von Plastikverpackungen geleitet hat. Bis sie sich in den Anfängen der Krise dazu entschloss, die Firma zu verkaufen und einen Neuanfang zu wagen.
Gloria: "Diese ganze Krise ist von meinesgleichen ausgelöst worden. Ich schäme mich fast ein bisschen dafür, dass ich 20 Jahre lang in der Wirtschaft gearbeitet habe, wo sich alles nur um das Geld dreht. Jetzt aber beginnen einige Menschen, sich wieder auf ihre landwirtschaftlichen Wurzeln zu besinnen. Und auch ich kann es kaum erwarten, auf dem Feld loszulegen."
Die vierfache Mutter und Frau eines Rechtsanwaltes hat ihr Ziel klar vor Augen: Sie will schnellstmöglich aufs Land ziehen und mit dem Bioanbau beginnen, auch wenn es nicht leicht ist, ihre Familie davon zu überzeugen. Doch Gloria Santos geht es um mehr als um die Verwirklichung ihres Kindheitstraumes.
Gloria: "Ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages mit Gummistiefeln und Arbeitshandschuhen enden würde. Ich identifiziere mich sehr mit dieser Arbeit und möchte meinen Beitrag zu einer besseren Landwirtschaft leisten und meine Berufserfahrung nutzen, die Leute in Portugal mehr für Bio zu sensibilisieren. Denn schließlich sind wir das, was wir essen."
Auch der Textilunternehmer Armindo Oliveira überlegt ernsthaft, in den Bioanbau einzusteigen. Doch ein Traumtänzer ist er deshalb nicht.
Armindo: "Ich werde wohl erstmal eine Weile die beiden Tätigkeiten parallel laufen lassen. Denn noch scheint der Bioanbau nicht genügend Gewinn zu bringen. Wir müssen das Wissen um Bio erst noch mehr verbreiten, damit mehr Leute Bio kaufen und das Ganze rentabel wird."
Im Bioladen Quintal (Kintal) in Porto kramt eine Kundin in ihrem Portemonnaie nach dem passenden Kleingeld. Monica Mata nimmt es gut gelaunt entgegen. Die Ladenbesitzerin mit den wilden schwarzen Locken ist sichtlich zufrieden mit ihrer Entscheidung, vor drei Jahren einen neuen Berufsweg eingeschlagen zu haben.
Monica: "Ich habe eine Zeit lang in Apotheken gearbeitet, aber das hat mich nicht erfüllt. Ich und auch mein Bruder, wir haben schon immer von einem eigenen Laden geträumt. Und so wuchs die Idee. Wir haben von Jugend an versucht, uns gesund zu ernähren, weil unsere Mutter uns so erzogen hat. Für uns ist das nicht nur ein Geschäft, sondern auch eine Möglichkeit, uns zu verwirklichen."
Die 34-Jährige hat ihre Liebe zu Bio während des Pharmaziestudiums in Barcelona entdeckt, wo es damals die ersten Bioläden gab. Zurück in Porto stellte sie fest, dass es gerade mal einen Bioladen gab und die Reformhäuser nur wenige entsprechende Produkte anboten. So eröffnete sie gemeinsam mit ihrem Bruder Carlos das Quintal. Während sie in der Anfangszeit ihren Kunden unermüdlich erklären musste, was ein Bioprodukt ausmacht, sind heute die meisten gut informiert.
Liebevoll streift Monica Matas Blick über die mit türkis-blauen Mosaiksteinchen verzierten Regalreihen, in denen sich die Waren wohl sortiert präsentieren.
"Hier vorne auf dem Tisch sind die Schokoladen. Die meisten kommen aus England. Die Nudeln kommen vor allem aus Italien. Von den Olivenölen kommt eines aus Spanien, der Rest ist portugiesisch. Auch das Gemüse und die Früchte kommen von hier. In der Anfangszeit war es allerdings schwierig, Bioprodukte aus Portugal zu finden. Aber es wird immer besser.
Seit Kurzem gibt es Marmeladen aus Trás-os-Montes (Trasch usch Montsch). Und immer mehr Landgüter fangen an, nicht nur biologisch zu produzieren, sondern auch neue Produkte zu entwerfen. Bio wächst und wächst."
Im Café im hinteren Teil des Ladens sitzt an einem der Holztische Emma Ribeira. Die angehende Modedesignerin kommt regelmäßig mittags ins Quintal, um eine Kleinigkeit zu essen. Sie passt in das überwiegend jung-alternative Publikum, das zwar nicht reich, aber dennoch bereit ist, für Bio – soweit es kann - etwas mehr zu zahlen.
Oft kaufe ich nach dem Essen ein paar Kleinigkeiten. Diese getrockneten Apfelchips beispielsweise gibt es nur hier. Sonst nehme ich noch ein paar Früchte und Brot mit. Mehr geht leider nicht. Zu viel kann ich mir einfach nicht leisten.
Die Händlerin Monica Mata ist sich bewusst, dass der höhere Preis für viele eine Hürde ist. Dennoch freut sie sich über wachsenden Umsatz.
"Denn immer mehr Portugiesen entscheiden sich für Bio. Wie die die 78-jährige Anna Maria Alves (Anna Maria Alvesch), die von ihrer Tochter auf die Idee gebracht worden ist, auf Bio umzusteigen. Jetzt kauft sie hier vor allem wegen des Geschmacks."
Dona Anninhas: "Mir gefällt, dass die Produkte frisch sind. Das tut mir gut. Das Brot ist ganz wunderbar. Das Wesentliche kaufe ich hier: Brot, Marmeladen, Milch und natürlich Gemüse. Denn das Biogemüse schmeckt so viel besser. Und die Suppe daraus ist so gut, dass ich kaum noch Salz brauche. Das überzeugt mich."
Monica: "Es ist zwar schon so, dass im Moment viele eher zu den Basisprodukten greifen als zu den teureren Leckereien, aber essen müssen die Leute ja schließlich doch. Und wer sich einmal für Bio entschieden hat, lässt sich so schnell nicht wieder davon abbringen. Es läuft gut, auch wenn es ohne die Krise wahrscheinlich noch besser wäre."
Luis Alves: "Diese Plastikplanen haben viele kleine Löcher. So verdunstet das Wasser nicht so schnell und es wachsen auch keine Unkräuter. Weil die Plastikplanen schwarz sind, heizen sie sich auf und alles wächst ein bisschen schneller.
Die Wärme wiederum zieht Reptilien an. Deswegen haben wir da drunter einen richtigen kleinen Jurrasic Park. Die Schlangen und Eidechsen fressen die Schnecken und anderes Ungeziefer. Wir freuen uns über all diese Freunde, die kostenlos für uns arbeiten."
Wegen dieser biologischen Helfer muss Luis Alves keine Chemie gegen Schädlinge einsetzen. Mit den Plastikplanen nutzt der 37-Jährige das Klima Nordportugals optimal, wo sich heftiger Regen und kräftiger Sonnenschein in rascher Folge abwechseln können. 2007 bekam Luis Alves für diese Art der Landwirtschaft den Preis des innovativsten Bauern der Iberischen Halbinsel verliehen. Und das, obwohl er eigentlich ein echtes Stadtkind ist.
Luis Alves: "Vor ein paar Jahren wollte in meiner Generation kaum noch einer Landwirt werden. Ich bin aus Porto, keiner außer mir wollte Bauer sein. Alle meine Freunde träumten davon, Rechtsanwälte, Architekten oder Ärzte zu werden. Selbst die Jugendlichen, die auf dem Land aufgewachsen waren, wollten auf keinen Fall in die Landwirtschaft."
Dabei war noch in den 70er-Jahren war jeder zweite Portugiese dort tätig. Über 80 Prozent der Nahrungsmittel wurden damals im eigenen Land angebaut. Heute werden zwei Drittel aller Lebensmittel importiert. Nur noch mit Wein, Olivenöl, Schaffleisch und Roggen versorgt sich Portugal selbst. Dass viele portugiesische Produkte auf dem europäischen Markt nicht konkurrenzfähig sind, hat letztlich mit dem Erbrecht des Landes zu tun: Durch Erbteilung sind die Parzellen viel zu klein, um gewinnbringend bewirtschaftet zu werden. In einigen Regionen sind die Böden zudem relativ karg.
Zwar hätte Portugal für den Anbau sogenannter robuster Sorten – bei Obstbäumen und Weinstöcken - beste Voraussetzungen. Aber diese Wirtschaftszweige würden nicht gefördert, kritisiert der ehemalige Landwirtschaftsminister António Barreto.
Barreto: "Ich glaube, das war ein strategischer Fehler. Portugal hat sich lange Zeit voll und ganz auf den Ausbau der Industrie und des Dienstleistungssektors konzentriert. Eine ganze Weile bekamen Bauern sogar Geld dafür, nichts anzubauen. Danach ging alles durcheinander: Eine Weile unterstützte man mit EU-Geldern den Anbau von Tabak und Baumwolle.
Dann plötzlich wurde für beides nichts mehr gezahlt, stattdessen der Anbau von Tomaten gefördert, später waren es dann Sonnenblumen. Dieses Hin und Her in der Agrarpolitik - sei es nun durch Fehler der Portugiesen oder der Europäischen Union - führte dazu, dass immer mehr Leute die Arbeit auf dem Feld aufgaben."
Schätzungsweise 700.000 landwirtschaftliche Betriebe wurden in den Jahren nach dem Beitritt Portugals zur Europäischen Union 1986 stillgelegt.
Auch Luis Alves, der Zeit seines Lebens vom eigenen Anbau geträumt hat, sah zunächst keine Perspektiven in der Landwirtschaft. So nahm er nach dem Studium der Agrarwirtschaft die Stelle des leitenden Gärtners in der prestigeträchtigen Anlage des Museums für Moderne Kunst in Porto an. Doch er hielt weiter Ausschau nach Möglichkeiten, sein eigenes Land zu bestellen.
Er begann, sich für Bioanbau zu interessieren, der inzwischen von der Europäischen Union gefördert wird. Schließlich hängte er seinen Job als Gärtner an den Nagel, mietete ein kleines Landgut am Stadtrand von Porto und baute mit Hilfe von EU-Geldern ökologische Anbauflächen auf. Seitdem exportiert er getrocknete Biokräuter nach Frankreich.
Luis Alves: "Wir produzieren jedes Jahr mehr, aber reich bin ich komischerweise trotzdem noch nicht geworden. Denn alles was reinkommt, wird gleich wieder investiert. Aber immerhin haben wir Arbeit."
Amarzem Secador: "Dort oben am Hügel werden wir bald eine neue Lagerhalle bauen, denn diese da drüben reicht schon lange nicht mehr, und auch der Kräutertrockner ist inzwischen viel zu klein."
Der Trockner mit den unzähligen, flachen Schubladen sieht aus wie ein riesiger Holzschrank, in dem die geernteten Kräuter in Heißluft getrocknet werden. Danach kommen sie in weiße Säcke und werden im Lastwagen nach Frankreich transportiert. In Portugal selbst vertreibt Luis Alves sie per Internet, außerdem im Direktverkauf im Hofladen. Vier fest Angestellte stehen bei ihm in Lohn und Brot. Den Rest der Arbeit übernehmen freiwillige Helfer.
Luis Alves: "Im Moment kommt fast jede Woche einer dieser Wanabees, die aus ihrem Leben aussteigen wollen. Sie alle träumen davon, Bauern zu werden. Die Krise scheint die Leute so sehr zu verunsichern, dass sie sich geradezu instinktiv der Landwirtschaft zuwenden. Sie scheint in all der Unsicherheit Halt zu versprechen. Viele haben in der Wirtschaft gearbeitet und durch die Krise ihren Job verloren, oder sie haben es satt, moderne Arbeitssklaven zu sein. Sie wollen wieder Land bestellen."
Luis Alves betritt das Gewächshaus und nickt den fünf Mitarbeitern zu, die auf Blumensteigen sitzen und neue Setzlinge abknipsen. Ist ein Eimer voll, wird er zu dem Tisch geschoben, an dem Armindo Oliveira (Armindu Olivära mit gerollten ,r's) steht. Mit behutsamen Griffen pflanzt er die zarten Pflänzchen in kleine Plastiktöpfe. Der junge Mann im Marken-T-Shirt packt seit mehreren Monaten ein- bis zweimal die Woche mit an. Dabei hat er ein eigenes Textilunternehmen, das jedoch immer schlechter läuft.
Armindo: "In der Textilbranche spürt man die Krise besonders stark. Uns macht die Konkurrenz aus den Billigländern zu schaffen, wo die Arbeitskraft so gut wie nichts kostet. Das zwingt mich, nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Der Bioanbau erscheint mir zukunftsträchtig."
Armindo Oliveira will auf der Biokräuterfarm herausfinden, ob die landwirtschaftliche Arbeit wirklich etwas für ihn ist. Im Augenblick schaut der Textilunternehmer zufrieden auf seine dreckigen Hände. Obwohl der 32-Jährige in der Stadt aufgewachsen ist, ist ihm die Arbeit nicht fremd. Wie die meisten Portugiesen in seinem Alter, hat auch er als Kind die Ferien auf dem Bauernhof der Großeltern verbracht.
Armindo: "Ich stamme aus einer Bauernfamilie. Meine beiden Großeltern lebten von der Landwirtschaft. Vielleicht liegt es mir ja im Blut? Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Kind bei meinen Großeltern Traktor oder Eselskarren gefahren bin. Vielleicht kam mir ja deswegen jetzt - in den Zeiten der Krise - die Idee, das als mögliche Alternative zu sehen."
Gloria Santos Silva, die neue Setzlinge rüberreicht, nickt zustimmend. Die 43-Jährige war ebenfalls als Kind den Großeltern zur Hand gegangen. Doch dann übernahm die schlanke Frau mit den straff nach hinten gebundenen Haaren das Unternehmen der Eltern. Selbstbewusst erzählt sie, dass sie zwei Jahrzehnte lang eine mittelständische Firma zur Herstellung von Plastikverpackungen geleitet hat. Bis sie sich in den Anfängen der Krise dazu entschloss, die Firma zu verkaufen und einen Neuanfang zu wagen.
Gloria: "Diese ganze Krise ist von meinesgleichen ausgelöst worden. Ich schäme mich fast ein bisschen dafür, dass ich 20 Jahre lang in der Wirtschaft gearbeitet habe, wo sich alles nur um das Geld dreht. Jetzt aber beginnen einige Menschen, sich wieder auf ihre landwirtschaftlichen Wurzeln zu besinnen. Und auch ich kann es kaum erwarten, auf dem Feld loszulegen."
Die vierfache Mutter und Frau eines Rechtsanwaltes hat ihr Ziel klar vor Augen: Sie will schnellstmöglich aufs Land ziehen und mit dem Bioanbau beginnen, auch wenn es nicht leicht ist, ihre Familie davon zu überzeugen. Doch Gloria Santos geht es um mehr als um die Verwirklichung ihres Kindheitstraumes.
Gloria: "Ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages mit Gummistiefeln und Arbeitshandschuhen enden würde. Ich identifiziere mich sehr mit dieser Arbeit und möchte meinen Beitrag zu einer besseren Landwirtschaft leisten und meine Berufserfahrung nutzen, die Leute in Portugal mehr für Bio zu sensibilisieren. Denn schließlich sind wir das, was wir essen."
Auch der Textilunternehmer Armindo Oliveira überlegt ernsthaft, in den Bioanbau einzusteigen. Doch ein Traumtänzer ist er deshalb nicht.
Armindo: "Ich werde wohl erstmal eine Weile die beiden Tätigkeiten parallel laufen lassen. Denn noch scheint der Bioanbau nicht genügend Gewinn zu bringen. Wir müssen das Wissen um Bio erst noch mehr verbreiten, damit mehr Leute Bio kaufen und das Ganze rentabel wird."
Im Bioladen Quintal (Kintal) in Porto kramt eine Kundin in ihrem Portemonnaie nach dem passenden Kleingeld. Monica Mata nimmt es gut gelaunt entgegen. Die Ladenbesitzerin mit den wilden schwarzen Locken ist sichtlich zufrieden mit ihrer Entscheidung, vor drei Jahren einen neuen Berufsweg eingeschlagen zu haben.
Monica: "Ich habe eine Zeit lang in Apotheken gearbeitet, aber das hat mich nicht erfüllt. Ich und auch mein Bruder, wir haben schon immer von einem eigenen Laden geträumt. Und so wuchs die Idee. Wir haben von Jugend an versucht, uns gesund zu ernähren, weil unsere Mutter uns so erzogen hat. Für uns ist das nicht nur ein Geschäft, sondern auch eine Möglichkeit, uns zu verwirklichen."
Die 34-Jährige hat ihre Liebe zu Bio während des Pharmaziestudiums in Barcelona entdeckt, wo es damals die ersten Bioläden gab. Zurück in Porto stellte sie fest, dass es gerade mal einen Bioladen gab und die Reformhäuser nur wenige entsprechende Produkte anboten. So eröffnete sie gemeinsam mit ihrem Bruder Carlos das Quintal. Während sie in der Anfangszeit ihren Kunden unermüdlich erklären musste, was ein Bioprodukt ausmacht, sind heute die meisten gut informiert.
Liebevoll streift Monica Matas Blick über die mit türkis-blauen Mosaiksteinchen verzierten Regalreihen, in denen sich die Waren wohl sortiert präsentieren.
"Hier vorne auf dem Tisch sind die Schokoladen. Die meisten kommen aus England. Die Nudeln kommen vor allem aus Italien. Von den Olivenölen kommt eines aus Spanien, der Rest ist portugiesisch. Auch das Gemüse und die Früchte kommen von hier. In der Anfangszeit war es allerdings schwierig, Bioprodukte aus Portugal zu finden. Aber es wird immer besser.
Seit Kurzem gibt es Marmeladen aus Trás-os-Montes (Trasch usch Montsch). Und immer mehr Landgüter fangen an, nicht nur biologisch zu produzieren, sondern auch neue Produkte zu entwerfen. Bio wächst und wächst."
Im Café im hinteren Teil des Ladens sitzt an einem der Holztische Emma Ribeira. Die angehende Modedesignerin kommt regelmäßig mittags ins Quintal, um eine Kleinigkeit zu essen. Sie passt in das überwiegend jung-alternative Publikum, das zwar nicht reich, aber dennoch bereit ist, für Bio – soweit es kann - etwas mehr zu zahlen.
Oft kaufe ich nach dem Essen ein paar Kleinigkeiten. Diese getrockneten Apfelchips beispielsweise gibt es nur hier. Sonst nehme ich noch ein paar Früchte und Brot mit. Mehr geht leider nicht. Zu viel kann ich mir einfach nicht leisten.
Die Händlerin Monica Mata ist sich bewusst, dass der höhere Preis für viele eine Hürde ist. Dennoch freut sie sich über wachsenden Umsatz.
"Denn immer mehr Portugiesen entscheiden sich für Bio. Wie die die 78-jährige Anna Maria Alves (Anna Maria Alvesch), die von ihrer Tochter auf die Idee gebracht worden ist, auf Bio umzusteigen. Jetzt kauft sie hier vor allem wegen des Geschmacks."
Dona Anninhas: "Mir gefällt, dass die Produkte frisch sind. Das tut mir gut. Das Brot ist ganz wunderbar. Das Wesentliche kaufe ich hier: Brot, Marmeladen, Milch und natürlich Gemüse. Denn das Biogemüse schmeckt so viel besser. Und die Suppe daraus ist so gut, dass ich kaum noch Salz brauche. Das überzeugt mich."
Monica: "Es ist zwar schon so, dass im Moment viele eher zu den Basisprodukten greifen als zu den teureren Leckereien, aber essen müssen die Leute ja schließlich doch. Und wer sich einmal für Bio entschieden hat, lässt sich so schnell nicht wieder davon abbringen. Es läuft gut, auch wenn es ohne die Krise wahrscheinlich noch besser wäre."