Zwischen Klatsch und Literaturgeschichte

Von Christian Gampert · 20.09.2011
"Ich liebe Dich!" - auch Künstler der literarischen Moderne sind durchaus anfällig für jenen Dreiwortsatz. Die Ausstellung gleichen Namens erzählt in zahlreichen literarischen Beispielen die Geschichte von Liebesschwüren und Betrug.
"Ich liebe dich" geht nicht mehr. Geht schon lange nicht mehr, denkt man. Wer sagt denn so was? Heute? Vielleicht nennen ja irgendwelche heruntergekommenen Individuen einander noch "Schatzilein" und "Mausebär", dort, in den Tiefen der Verdammnis und der Trivialität. Der Künstler, der Literat zumal, scheint jedoch weit entfernt von solchen Anwandlungen.

Die Marbacher Ausstellung beweist das Gegenteil. Sie wartet mit Exponaten auf wie diesem Filmausschnitt von Rosa von Praunheim.

"Isch liebe disch ..."

Natürlich ist das Parodie, und man könnte stundenlang zuhören. Die Wahrheit aber ist, dass Künstler auch der literarischen Moderne durchaus anfällig sind für jenen Dreiwortsatz, der immer eine Grenzüberschreitung darstellt. Wer das sagt, macht sich nackt, und er kann hinter dieses Geständnis nicht mehr zurück. Oder nur unter großen Schwierigkeiten. Der Satz ist Anfang und Ende zugleich. Während Klassik und Romantik noch schwören und schwärmen, verschwinden explizite Liebesäußerungen mit der Moderne natürlich immer mehr aus der Literatur, während sie in privaten Briefwechseln, Entwürfen, Tagebüchern und Telegrammen erhalten bleiben – bis hin zum Kitsch.

Das jedenfalls zeigt die von Heike Gfereis kuratierte Marbacher Ausstellung, die sich wieder gänzlich aus dem Deutschen Literaturarchiv speist.

"Und wir hatten sozusagen verdächtige Nachlässe ausgesucht im Vorfeld, also: wo stecken die großen Liebenden unter den Schriftstellern bei uns im Archiv, und wo stecken vielleicht auch die großen Liebes-Autoren – wie Goethe - bei uns im Archiv. Und wir haben dann nach diesen Suchnamen die Sachen durchgeschaut und sind dann bei manchen überraschend fündig geworden, also es gibt Autoren, die gar nicht genug bekommen, diesen Satz zu sagen, und bei anderen finden Sie diesen Satz nicht. Also die haben viel über Liebe geschrieben, aber nie "ich liebe dich gesagt". Oder "ich hab dich lieb."

Die Ausstellung lässt den Betrachter frei durch einen lippenrot eingefärbten Plexiglas-Parcours fluktuieren, in dem die Liebesbeteuerungen wie seltene Briefmarken oder gepresste Pflanzen eingespannt sind und der - neben der historischen Chronologie - überraschende Querverbindungen schafft. Hat man die üblichen Verdächtigen erst mal hinter sich, also Goethes Werther, den Erlkönig, Schillers "Maria Stuart" (aus der der Liebes-Satz im Druck dann gestrichen ist), Brentano, Uhland, den Pfarrer Mörike, der übrigens auch Muttertagsherzchen malte, dann fällt man unversehens über Schwitters eigenhändig abgeschriebene "Anna Blume" oder Klabunds "Da ich einsam bin" an Carola Neher.

Das reicht also vom ironischen Spiel bis zum bitteren Ernst. Historisch aber ist die Romantik der große Wendepunkt: Man heiratet nicht mehr, um versorgt zu sein, sondern um Erfüllung zu finden.

"Und wir haben natürlich auch gesehen, dass wir damit eine kleine Literaturgeschichte der Liebe zeigen. Von der Liebe, die zuerst im Liebesroman vorkommt, im Liebes-Sonett, die eine lange Tradition hat, und plötzlich anfängt, im 18.Jahrhundert ins Leben zu kippen, wo es die Vorstellung gibt: Es gibt den einen wahren, genau den richtigen. Die große Liebe. Und wo eben diese Vorstellung von der großen Liebe eben die Partnerwahl bestimmt."

Von nun an sind die Privatkorrespondenzen quasi geflutet von jenen Liebesbekenntnissen, die aus der konstruierten Literatur verschwinden oder kunstvoll umspielt werden. Die Ausstellung stürzt sich nun – lustvoll, möchte man sagen – in diese Abgründe des Privaten, und wird dabei auch ein bisschen indiskret, wird zur wissenschaftlichen Yellow Press.

Denn: Die Kehrseite der Liebe ist der Betrug. Und hier ist das Archiv erbarmungslos: Gottfried Benn schrieb Liebesbriefe an die holde Ehegattin, während er mit einer Geliebten Weihnachten vorfeierte. Der Expressionist Iwan Goll telegrafierte 1931 an eine gewisse Paula Ludwig, Berlin, Kurfürstendamm: Ich liebe dich, Iwan. Gleichzeitig erhielt dieser Iwan, der liebte, einen heißen Liebesbrief seiner Frau Claire Goll, mit aufgemaltem Kussmund am Ende.

Claire Goll übrigens hatte, viele Jahre zuvor, 1918, während sie schon mit Iwan Goll zusammen war, eine heiße Affaire mit Rainer Maria Rilke, der ihr wiederum nach der ersten Liebesnacht ein kleines "Klappaltärchen" kredenzte, das ihm einst Leo Tolstoi vermacht hatte.

Ist das nun Klatsch? Oder ist es Literaturgeschichte? Schwer zu entscheiden. Und schwer zu entwirren, die Liebesfäden, die da zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan gesponnen waren, zwischen Mohn und Gedächtnis. Peinlich auch manche Privatheiten, die zwischen einem gewissen Bibi und seiner Toutou ausgetauscht wurden, zwischen Siegfried Kracauer nämlich und seiner Frau. Der große Filmanalytiker, sonst jedem Kitsch abhold, malte seiner Elisabeth zum Namenstag 1931 sogar durchbohrte Herzen und zwei Kerzen ...

Ein paar Objekte sind auch ausgestellt, zum Beispiel zwei seltsame hölzerne Vögel, die den Schriftsteller Matthias Politycki noch heute an ein beinahe tödlich ausgegangenes Afrika-Abenteuer erinnern, das aber eine damals frische Liebe dauerhaft befestigte. Schriftsteller der Gegenwart haben für die Ausstellung neue Liebes-Texte geschrieben – am anrührendsten das Gedicht "1 Efeublatt für Ernst Jandl", das Friederike Mayröcker ihrem seit Langem toten Mann widmet.

Das ist Liebe! Oder wollen wir vielleicht doch eher "Liebesgelispel", wie Sibylle Lewitscharoff es uns listig ins Ohr raunt? Oder wollen wir hochtheoretische Erörterungen über das strukturelle Paradox des "Ich liebe dich", wie sie Co-Kurator Michael Lentz im Katalog bietet?

Der Möglichkeiten sind viele. Robert Gernhardt, der des wissen muss, befand: Wer erstmals Herz auf Schmerz reimte, der war ein braver Mann; wer das heute noch auf originelle Weise könne, der sei möglicherweise genial. So ist es und so wird es wohl auch bleiben. Und bis auf Weiteres stöhnen in Marbach, auf dem Monitor, die Rosa-von-Praunheim-Schauspieler ihre Treueschwüre.
Gottfried Benn im Labor (1916)
Liebe und Betrug: Gottfried Benn schrieb Liebesbriefe an die holde Gattin, während er mit einer Geliebten Weihnachten vorfeierte.© Deutsches Literaturarchiv Marbach
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