Zwischen Jubel und Putsch
Fußball und Politik hängen auch in Honduras zusammen – das beweisen die ständigen Korruptionsvorwürfe, die bisher kaum aufgeklärt wurden. Die Nationalelf reist zur WM nach Südafrika: Das reicht als Grund, in dem politikverdrossenen Land das Fußballfieber zu entfachen.
Junge Frau: „Ich dachte, wir bräuchten noch ein Tor, war unsicher und fragte: Sind wir qualifiziert? Ja, sagten alle! Aber ich konnte es nicht fassen, fragte immer wieder: Sind wir qualifiziert?“
„Wir haben von oben die Autokaravane gesehen. Der Boulevard explodierte vor Freude. Vor lauter Schreien hatte ich fast eine Frühgeburt …“
Weinende Radiosprecher und unbändige Freude. Das sind die Erinnerungen an die Nacht vom 14. Oktober 2009, die das Leben in Honduras für einige Stunden auf den Kopf stellte. Die honduranische Fußballnationalelf, oder kurz die „selección“ gewinnt 1:0 in El Salvador und qualifiziert sich für die diesjährige Weltmeisterschaft in Südafrika.
Der Torschütze Carlos Pavón wird seither nur noch „el Santo“ der Heilige genannt. Ausgelassen feiern die Menschen, egal ob arm oder reich, ihre „selección“. Sie schwingen Fahnen, zünden Feuerwerkskörper, umarmen sich unentschlossen, ob sie dabei lachen oder weinen sollten. Es gleicht einem kollektiven Luftablassen.
28 Jahre ist es her, seit Honduras das bisher einzige Mal an einer WM teilgenommen hatte, damals 1982 in Spanien. Die jetzige Qualifizierung gelang der „selección‘“ inmitten einer tiefen politischen Krise. Von der internationalen Staatengemeinschaft ins Abseits gestellt, sorgte das Land im Oktober 2009 durch massive Menschenrechtsverletzungen für Schlagzeilen.
Den rechtmäßig gewählten liberalen Präsidenten José Manuel Zelaya verschleppten Militärs Ende Juni ins Ausland. Roberto Micheletti übernahm daraufhin die Präsidentschaft einer international geächteten Regierung. Gegen ihn und seine Putschregierung sowie die ihn unterstützenden Unternehmer des Landes formierte sich schnell ein breites Bündnis: die nationale Widerstandsbewegung gegen den Putsch.
Diverse Verbände und Organisationen, von Gewerkschaftern über Feministinnen, Kunstschaffenden, Landarbeiterinnen und Studierenden wehrten sich fortan in gemeinsamen Aktionen gegen den Putsch. Sie wurden nieder geprügelt, verhaftet, verschleppt, gefoltert und einige bezahlten gar mit ihrem Leben.
Amado Guevara: „Zu dieser Zeit war das Land geteilt und es gab große Konflikte unter uns Honduranern. Das gab es noch nie vorher. Der Fußball bekam eine wichtige Rolle. Durch uns konnten die Menschen vergessen, einfach vergessen. Für mich und für meine Familie war es eine dieser magischen, erfolgreichen Nächte, die man niemals vergisst.“
So erinnert sich Amado Guevara, der Kapitän und mit über 130 Spielen der dienstälteste Spieler der selección an diese historische Nacht. Während viele der Freudetaumelnden dankbar dieses sich anbietende Ventil annahmen, um wenigstens für wenige Stunden die politische Spannung abzuschütteln, suchte de facto Präsident Micheletti größtmöglichen Nutzen für seine Regierung daraus zu ziehen.
Er lud die Fußballhelden noch in der gleichen Nacht zu einem Kurzempfang im Präsidentenpalast inmitten der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpas. Doch nicht alle Spieler wollten dahin. Auch Amado Guevara fühlte sich von diesem Empfang überrumpelt.
Amado Guevara: „Das war nicht eingeplant. Uns wurde gesagt, wir fliegen in die Hauptstadt, um dort der Schutzheiligen von Suyapa zu danken. Aber durch die schlechte Organisation der Funktionäre, musste alles improvisiert werden. Unmengen von Menschen erwarteten uns. Unglaublich. Alles außer Kontrolle, ein gefährliches Chaos. Aus diesem Chaos mussten wir weg. So machte sich jeder für sich auf den Heimweg.“
Der 34-jährige Mittelfeldspieler wird in Südafrika zum letzten Mal für die selección spielen. Danach wird er nicht mehr das Nationaltrikot tragen, das ihm schon zu manchen Schlagzeilen verhalf. Zuletzt durch seine Mutter Flor Guevara Mitte Oktober 2009. Es ist die Zeit der ergebnislosen Verhandlungen zwischen Vertretern Michelettis und Zelayas in einem Luxushotel der Haupstadt. Im Foyer des Hotel Clarions warten Journalisten aus aller Welt.
Plötzlich kommt Bewegung in die Wartenden. Flor Guevara, resolut auftretend und mit streng nach hinten gekämmten Haaren überreicht einer jungen, etwas steif wirkenden Frau ein Fußballtrikot mit einer Widmung für Jose Manuel Zelaya von Amado Guevara. Zelayas Tochter Xiomara ist die Empfängerin. Unter Blitzlichtgewitter erklärt Flor Guevara, die im Widerstandsbündnis gegen den Putsch aktiv ist, ihre Mission:
„Ich kam mit dem Auftrag zum Hotel, ein von meinem Sohn unterschriebenes Trikot dem Präsidenten Jose Manuel Zelaya zu übergeben. Mein Sohn ist Amado Guevara, der Kapitän der Nationalelf.“
Die mütterliche Aktion wirbelte Staub auf in dieser politisch höchst angespannten Situation. Während die Widerstandsbewegung Guevara, den Kapitän der Helden der Nation, bereits auf ihrer Seite sah, schlug eine Welle von Empörung der honduranischen Presse auf ihn nieder. Stand Guevara tatsächlich auf Seiten der Widerständischen?
Für die Medien, die in überwiegender Mehrheit die Putschisten stützten, eine unerträgliche Vorstellung. Schadensbegrenzung war angesagt, um sich nicht selbst die Reise zur WM nach Südafrika zu verbauen. In Liveschaltungen erklärte Guevara telefonisch diversen honduranischen Medien, dass es eine eigenständige Aktion der Mutter war.
Amado Guevaras telefonische Erklärung gegenüber honduranischen Reportern.
Monate später, Mitte April 2010, hat Guevaras Team, der Club Deportivo Motagua noch Chancen auf die Landesmeisterschaft. In einer Tankstelle an einer der Ausfallstrassen der Hauptstadt tummeln sich junge sportliche Männer. Überall liegen im Verkaufsraum Sporttaschen.
Der Sammelpunkt der Motaguaspieler. Draußen auf dem Parkplatz wartet schon der Mannschaftsbus, ein alter, klappriger blau weiß angemalter Schulbus mit Motagua Aufschrift. In Shorts, die Sporttasche geschultert, gestylte Haare und Dreitagebart, so kommt Guevara an, begrüßt die schon Anwesenden und neben dem hochgeschossenen, schlaksigen Stürmer des Teams wirkt der 1,80 Meter große Guevara eher klein. Zur Trikotaktion seiner Mutter vom Oktober 2009 befragt, antwortet er schmunzelnd:
„Ich respektiere meine Mutter, ebenso wie sie mich mit meinen Gedanken und Idealen respektiert. Damals bat sie mich ein von ihr gekauftes Trikot zu unterschreiben, das sie verschenken wollte. Das hab ich gemacht. Dies wurde dann falsch verstanden und führte zu Konflikten.
Später war dann allen klar, wie das Ganze ablief und damit war es vom Tisch. Ich denke, so was wird respektiert: Jeder kann denken, fühlen oder machen was er möchte. Und für meine Mutter hab ich gerne das Trikot signiert.“
Anders zu denken und zu handeln, als die offizielle Politik es vorgibt, bleibt in Honduras auch unter dem neuen Präsidenten Porfirio „Pepe“ Lobo Sosa gefährlich. Der konservative Politiker „Pepe“ Lobo ging Ende November 2009 bei umstrittenen und vom Widerstandsbündnis nicht anerkannten Wahlen als Sieger hervor.
Im Januar übernahm er das Präsidentschaftsamt und ringt seither darum, Honduras politisch wieder anerkanntermaßen aufs Spielfeld der internationalen Politik zurück zu bugsieren. Kein einfaches Unterfangen, da von ihm und seiner Regierung deutliche Signale zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Land erwartet werden. Denn die Realität spricht eine andere Sprache.
Bertha Oliva arbeitet seit Jahrzehnten für die unabhängige Menschenrechtsorganisation COFADEH, die sie in den bleiernen Zeiten der Militärdiktatur der 1980er-Jahre mit aufbaute. Damals um Verschwundene zu suchen und Verhaftete zu betreuen.
Die 54-Jährige wirkt müde, hat dunkle Schatten unter den Augen. Seit dem Juni Putsch gilt COFADEH als eine der zentralen Anlaufstellen bei Menschenrechtsverletzungen, zeitweise mit unendlich langen Arbeitsschichten. Und auch nach der Regierungsübernahme durch „Pepe“ Lobo sieht Bertha Oliva keine Besserung.
Bertha Oliva: „Es ist heute schlimmer. Wir haben es mit einer Regierung zu tun, die darauf abzielt, die Widerstandsbewegung zu unterdrücken und aufzulösen. Und vor allem übt sie Staatsterrorismus aus. Wir durchleben gerade eine extrem schwierige und gefährliche Zeit. Angeschobene Ermittlungen gegen die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen wurden eingestellt. Das ist verheerend.
Ich glaube heute keiner staatlichen Institution mehr. Verbrechen, die von staatlichen Stellen begangen werden, werden nicht verfolgt. Es gibt keine Verurteilung, niemand wird zur Rechenschaft gezogen, trotz vorhandener Beweismittel.“
Es ist Mitte April. Das Wasser ist knapp, oft wird es rationiert. Alle Welt sehnt sich nach Regen. Und nach Lösungen der durch den Putsch gewachsenen Probleme des Landes. Da ist Fußball eine Ablenkung, für die alle dankbar sind.
So kurz vor WM-Beginn in Südafrika läuft die Werbung auf Hochtouren. Pakete für Reisen ans Kap werden angeboten. Handybesitzer werden täglich per SMS zum Mitspielen aufgefordert. Einige Banken zieren Wandgroße Nationaltrikots, deren Trikotmarke größer als das Landeswappen ist. Kurzzeitig probten die honduranischen Nationalspieler im März noch den Aufstand.
Sie hatten die ihnen versprochene Prämie noch nicht erhalten. Schnelle Auszahlungen versprach dann FENAFUTH, der honduranische Fußballverband, ein eng mit Politik, Unternehmern und Korruption verwobener Verband. So war der jetzige FENAFUTH Präsident, der Unternehmer Rafael Leonardo Callegas, von 1990 bis 1994 Präsident des Landes. Im Herbst 2006 bekam er wegen Korruptionsvorwürfe das US-Visum aberkannt.
Unter seiner Leitung sollten für mehrere Hunderttausend Dollar Sportplätze mit der dazugehörigen Infrastruktur für den Fußballnachwuchs des Landes geschaffen werden. Die Gelder kamen von der FIFA, die in vielen der ärmeren Mitgliedsländer des Weltverbands das Projekt GOAL anschoben und die in Honduras in unergründliche Kanäle versickerten.
Im Januar 2007 wurde der Kolumbianer Reinaldo Rueda als Trainer für die Nationalelf verpflichtet. Der 53-Jährige erwarb seine Fußballlehrerlizenz an der Kölner Sporthochschule. Vor dem Job in Honduras war er Trainer in seinem Heimatland.
Im Gespräch mit der Presse sucht Rueda einen respektvollen Umgang, den er auch gegenüber sich und seiner Arbeit erwartet. Er ist eher ein zurückhaltender Mensch, einer der nicht von sich aus die Kameras sucht. In seiner Funktion als Nationaltrainer interessiert ihn die Nachwuchsarbeit im Land.
Reinaldo Rueda: „Die Nationalelf schafft Einnahmen für die Arbeit mit der selección, aber auch um den Fußball an der Basis anzuschieben. Für mich ist dies eine verwaltungstechnische Frage, wie diese Mittel am besten verteilt werden. Eine Frage der Verteilung und der Planung. Die Plätze sind ein großes Problem.
Die Talente sind überall vorhanden. Es ist eine Frage des Wollens, der Leidenschaft für den Fußball. Aber die Regierung investiert nichts, sie sieht nicht, welches Potenzial hier im Land vorhanden ist, das nur der Entwicklung bedarf. Es müsste sowohl in den Fußball als Wirtschaftszweig, wie auch in das Spiel als sozialer Bereich investiert werden, damit weniger Kinder sich später den Jugendbanden anschließen oder Drogen konsumieren. Ein sozial äußerst wichtiges Projekt.“
Zu den Chancen seines Teams in Südafrika über die Vorrunde hinauszukommen äußerst sich Reinaldo Rueda sehr zurückhaltend. Mit Chile, Spanien und der Schweiz trifft Honduras auf schwere Gegner. Aber allein durch die WM Teilnahme der „selección“ gehört Rueda heute zu den bekanntesten Menschen in Honduras. Dabei war die Herausforderung an ihn groß.
Neben dem klassischen Training, musste er das schnelle Spiel der in europäischen Ligen verpflichteten Nationalspieler mit dem eher behäbigen der in der honduranischen Liga Aktiven verbinden. Und der Juni Putsch verlangte von ihm viel sozialpolitisches Geschick im Umgang mit den Spielern.
Reinaldo Rueda: „Logischerweise gibt es in so einer Gruppe unterschiedliche Tendenzen, das gehört zur politischen Pluralität einer Gesellschaft ebenso wie zur selección. Wir boten den Spielern den Raum, frei über ihre unterschiedlichen Standpunkte zu reden. Wichtig war uns dabei der gegenseitige Respekt und dass sie unabhängig davon als Spieler der honduranischen Nationalelf die honduranische Flagge hochhalten.“
Als Geschenk für seinen großen Erfolg erhielt Rueda Anfang 2010 die honduranische Staatsbürgerschaft. Zu wichtigen politischen Ereignissen wird er eingeladen, auch zur Amtsübernahme des neuen Präsidenten Porfirio Lobo. Die Hoffnung der Regierenden mit dem Fußball und der WM in Südafrika von den sozialpolitischen Problemen des Landes abzulenken ist groß.
„Wir haben von oben die Autokaravane gesehen. Der Boulevard explodierte vor Freude. Vor lauter Schreien hatte ich fast eine Frühgeburt …“
Weinende Radiosprecher und unbändige Freude. Das sind die Erinnerungen an die Nacht vom 14. Oktober 2009, die das Leben in Honduras für einige Stunden auf den Kopf stellte. Die honduranische Fußballnationalelf, oder kurz die „selección“ gewinnt 1:0 in El Salvador und qualifiziert sich für die diesjährige Weltmeisterschaft in Südafrika.
Der Torschütze Carlos Pavón wird seither nur noch „el Santo“ der Heilige genannt. Ausgelassen feiern die Menschen, egal ob arm oder reich, ihre „selección“. Sie schwingen Fahnen, zünden Feuerwerkskörper, umarmen sich unentschlossen, ob sie dabei lachen oder weinen sollten. Es gleicht einem kollektiven Luftablassen.
28 Jahre ist es her, seit Honduras das bisher einzige Mal an einer WM teilgenommen hatte, damals 1982 in Spanien. Die jetzige Qualifizierung gelang der „selección‘“ inmitten einer tiefen politischen Krise. Von der internationalen Staatengemeinschaft ins Abseits gestellt, sorgte das Land im Oktober 2009 durch massive Menschenrechtsverletzungen für Schlagzeilen.
Den rechtmäßig gewählten liberalen Präsidenten José Manuel Zelaya verschleppten Militärs Ende Juni ins Ausland. Roberto Micheletti übernahm daraufhin die Präsidentschaft einer international geächteten Regierung. Gegen ihn und seine Putschregierung sowie die ihn unterstützenden Unternehmer des Landes formierte sich schnell ein breites Bündnis: die nationale Widerstandsbewegung gegen den Putsch.
Diverse Verbände und Organisationen, von Gewerkschaftern über Feministinnen, Kunstschaffenden, Landarbeiterinnen und Studierenden wehrten sich fortan in gemeinsamen Aktionen gegen den Putsch. Sie wurden nieder geprügelt, verhaftet, verschleppt, gefoltert und einige bezahlten gar mit ihrem Leben.
Amado Guevara: „Zu dieser Zeit war das Land geteilt und es gab große Konflikte unter uns Honduranern. Das gab es noch nie vorher. Der Fußball bekam eine wichtige Rolle. Durch uns konnten die Menschen vergessen, einfach vergessen. Für mich und für meine Familie war es eine dieser magischen, erfolgreichen Nächte, die man niemals vergisst.“
So erinnert sich Amado Guevara, der Kapitän und mit über 130 Spielen der dienstälteste Spieler der selección an diese historische Nacht. Während viele der Freudetaumelnden dankbar dieses sich anbietende Ventil annahmen, um wenigstens für wenige Stunden die politische Spannung abzuschütteln, suchte de facto Präsident Micheletti größtmöglichen Nutzen für seine Regierung daraus zu ziehen.
Er lud die Fußballhelden noch in der gleichen Nacht zu einem Kurzempfang im Präsidentenpalast inmitten der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpas. Doch nicht alle Spieler wollten dahin. Auch Amado Guevara fühlte sich von diesem Empfang überrumpelt.
Amado Guevara: „Das war nicht eingeplant. Uns wurde gesagt, wir fliegen in die Hauptstadt, um dort der Schutzheiligen von Suyapa zu danken. Aber durch die schlechte Organisation der Funktionäre, musste alles improvisiert werden. Unmengen von Menschen erwarteten uns. Unglaublich. Alles außer Kontrolle, ein gefährliches Chaos. Aus diesem Chaos mussten wir weg. So machte sich jeder für sich auf den Heimweg.“
Der 34-jährige Mittelfeldspieler wird in Südafrika zum letzten Mal für die selección spielen. Danach wird er nicht mehr das Nationaltrikot tragen, das ihm schon zu manchen Schlagzeilen verhalf. Zuletzt durch seine Mutter Flor Guevara Mitte Oktober 2009. Es ist die Zeit der ergebnislosen Verhandlungen zwischen Vertretern Michelettis und Zelayas in einem Luxushotel der Haupstadt. Im Foyer des Hotel Clarions warten Journalisten aus aller Welt.
Plötzlich kommt Bewegung in die Wartenden. Flor Guevara, resolut auftretend und mit streng nach hinten gekämmten Haaren überreicht einer jungen, etwas steif wirkenden Frau ein Fußballtrikot mit einer Widmung für Jose Manuel Zelaya von Amado Guevara. Zelayas Tochter Xiomara ist die Empfängerin. Unter Blitzlichtgewitter erklärt Flor Guevara, die im Widerstandsbündnis gegen den Putsch aktiv ist, ihre Mission:
„Ich kam mit dem Auftrag zum Hotel, ein von meinem Sohn unterschriebenes Trikot dem Präsidenten Jose Manuel Zelaya zu übergeben. Mein Sohn ist Amado Guevara, der Kapitän der Nationalelf.“
Die mütterliche Aktion wirbelte Staub auf in dieser politisch höchst angespannten Situation. Während die Widerstandsbewegung Guevara, den Kapitän der Helden der Nation, bereits auf ihrer Seite sah, schlug eine Welle von Empörung der honduranischen Presse auf ihn nieder. Stand Guevara tatsächlich auf Seiten der Widerständischen?
Für die Medien, die in überwiegender Mehrheit die Putschisten stützten, eine unerträgliche Vorstellung. Schadensbegrenzung war angesagt, um sich nicht selbst die Reise zur WM nach Südafrika zu verbauen. In Liveschaltungen erklärte Guevara telefonisch diversen honduranischen Medien, dass es eine eigenständige Aktion der Mutter war.
Amado Guevaras telefonische Erklärung gegenüber honduranischen Reportern.
Monate später, Mitte April 2010, hat Guevaras Team, der Club Deportivo Motagua noch Chancen auf die Landesmeisterschaft. In einer Tankstelle an einer der Ausfallstrassen der Hauptstadt tummeln sich junge sportliche Männer. Überall liegen im Verkaufsraum Sporttaschen.
Der Sammelpunkt der Motaguaspieler. Draußen auf dem Parkplatz wartet schon der Mannschaftsbus, ein alter, klappriger blau weiß angemalter Schulbus mit Motagua Aufschrift. In Shorts, die Sporttasche geschultert, gestylte Haare und Dreitagebart, so kommt Guevara an, begrüßt die schon Anwesenden und neben dem hochgeschossenen, schlaksigen Stürmer des Teams wirkt der 1,80 Meter große Guevara eher klein. Zur Trikotaktion seiner Mutter vom Oktober 2009 befragt, antwortet er schmunzelnd:
„Ich respektiere meine Mutter, ebenso wie sie mich mit meinen Gedanken und Idealen respektiert. Damals bat sie mich ein von ihr gekauftes Trikot zu unterschreiben, das sie verschenken wollte. Das hab ich gemacht. Dies wurde dann falsch verstanden und führte zu Konflikten.
Später war dann allen klar, wie das Ganze ablief und damit war es vom Tisch. Ich denke, so was wird respektiert: Jeder kann denken, fühlen oder machen was er möchte. Und für meine Mutter hab ich gerne das Trikot signiert.“
Anders zu denken und zu handeln, als die offizielle Politik es vorgibt, bleibt in Honduras auch unter dem neuen Präsidenten Porfirio „Pepe“ Lobo Sosa gefährlich. Der konservative Politiker „Pepe“ Lobo ging Ende November 2009 bei umstrittenen und vom Widerstandsbündnis nicht anerkannten Wahlen als Sieger hervor.
Im Januar übernahm er das Präsidentschaftsamt und ringt seither darum, Honduras politisch wieder anerkanntermaßen aufs Spielfeld der internationalen Politik zurück zu bugsieren. Kein einfaches Unterfangen, da von ihm und seiner Regierung deutliche Signale zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Land erwartet werden. Denn die Realität spricht eine andere Sprache.
Bertha Oliva arbeitet seit Jahrzehnten für die unabhängige Menschenrechtsorganisation COFADEH, die sie in den bleiernen Zeiten der Militärdiktatur der 1980er-Jahre mit aufbaute. Damals um Verschwundene zu suchen und Verhaftete zu betreuen.
Die 54-Jährige wirkt müde, hat dunkle Schatten unter den Augen. Seit dem Juni Putsch gilt COFADEH als eine der zentralen Anlaufstellen bei Menschenrechtsverletzungen, zeitweise mit unendlich langen Arbeitsschichten. Und auch nach der Regierungsübernahme durch „Pepe“ Lobo sieht Bertha Oliva keine Besserung.
Bertha Oliva: „Es ist heute schlimmer. Wir haben es mit einer Regierung zu tun, die darauf abzielt, die Widerstandsbewegung zu unterdrücken und aufzulösen. Und vor allem übt sie Staatsterrorismus aus. Wir durchleben gerade eine extrem schwierige und gefährliche Zeit. Angeschobene Ermittlungen gegen die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen wurden eingestellt. Das ist verheerend.
Ich glaube heute keiner staatlichen Institution mehr. Verbrechen, die von staatlichen Stellen begangen werden, werden nicht verfolgt. Es gibt keine Verurteilung, niemand wird zur Rechenschaft gezogen, trotz vorhandener Beweismittel.“
Es ist Mitte April. Das Wasser ist knapp, oft wird es rationiert. Alle Welt sehnt sich nach Regen. Und nach Lösungen der durch den Putsch gewachsenen Probleme des Landes. Da ist Fußball eine Ablenkung, für die alle dankbar sind.
So kurz vor WM-Beginn in Südafrika läuft die Werbung auf Hochtouren. Pakete für Reisen ans Kap werden angeboten. Handybesitzer werden täglich per SMS zum Mitspielen aufgefordert. Einige Banken zieren Wandgroße Nationaltrikots, deren Trikotmarke größer als das Landeswappen ist. Kurzzeitig probten die honduranischen Nationalspieler im März noch den Aufstand.
Sie hatten die ihnen versprochene Prämie noch nicht erhalten. Schnelle Auszahlungen versprach dann FENAFUTH, der honduranische Fußballverband, ein eng mit Politik, Unternehmern und Korruption verwobener Verband. So war der jetzige FENAFUTH Präsident, der Unternehmer Rafael Leonardo Callegas, von 1990 bis 1994 Präsident des Landes. Im Herbst 2006 bekam er wegen Korruptionsvorwürfe das US-Visum aberkannt.
Unter seiner Leitung sollten für mehrere Hunderttausend Dollar Sportplätze mit der dazugehörigen Infrastruktur für den Fußballnachwuchs des Landes geschaffen werden. Die Gelder kamen von der FIFA, die in vielen der ärmeren Mitgliedsländer des Weltverbands das Projekt GOAL anschoben und die in Honduras in unergründliche Kanäle versickerten.
Im Januar 2007 wurde der Kolumbianer Reinaldo Rueda als Trainer für die Nationalelf verpflichtet. Der 53-Jährige erwarb seine Fußballlehrerlizenz an der Kölner Sporthochschule. Vor dem Job in Honduras war er Trainer in seinem Heimatland.
Im Gespräch mit der Presse sucht Rueda einen respektvollen Umgang, den er auch gegenüber sich und seiner Arbeit erwartet. Er ist eher ein zurückhaltender Mensch, einer der nicht von sich aus die Kameras sucht. In seiner Funktion als Nationaltrainer interessiert ihn die Nachwuchsarbeit im Land.
Reinaldo Rueda: „Die Nationalelf schafft Einnahmen für die Arbeit mit der selección, aber auch um den Fußball an der Basis anzuschieben. Für mich ist dies eine verwaltungstechnische Frage, wie diese Mittel am besten verteilt werden. Eine Frage der Verteilung und der Planung. Die Plätze sind ein großes Problem.
Die Talente sind überall vorhanden. Es ist eine Frage des Wollens, der Leidenschaft für den Fußball. Aber die Regierung investiert nichts, sie sieht nicht, welches Potenzial hier im Land vorhanden ist, das nur der Entwicklung bedarf. Es müsste sowohl in den Fußball als Wirtschaftszweig, wie auch in das Spiel als sozialer Bereich investiert werden, damit weniger Kinder sich später den Jugendbanden anschließen oder Drogen konsumieren. Ein sozial äußerst wichtiges Projekt.“
Zu den Chancen seines Teams in Südafrika über die Vorrunde hinauszukommen äußerst sich Reinaldo Rueda sehr zurückhaltend. Mit Chile, Spanien und der Schweiz trifft Honduras auf schwere Gegner. Aber allein durch die WM Teilnahme der „selección“ gehört Rueda heute zu den bekanntesten Menschen in Honduras. Dabei war die Herausforderung an ihn groß.
Neben dem klassischen Training, musste er das schnelle Spiel der in europäischen Ligen verpflichteten Nationalspieler mit dem eher behäbigen der in der honduranischen Liga Aktiven verbinden. Und der Juni Putsch verlangte von ihm viel sozialpolitisches Geschick im Umgang mit den Spielern.
Reinaldo Rueda: „Logischerweise gibt es in so einer Gruppe unterschiedliche Tendenzen, das gehört zur politischen Pluralität einer Gesellschaft ebenso wie zur selección. Wir boten den Spielern den Raum, frei über ihre unterschiedlichen Standpunkte zu reden. Wichtig war uns dabei der gegenseitige Respekt und dass sie unabhängig davon als Spieler der honduranischen Nationalelf die honduranische Flagge hochhalten.“
Als Geschenk für seinen großen Erfolg erhielt Rueda Anfang 2010 die honduranische Staatsbürgerschaft. Zu wichtigen politischen Ereignissen wird er eingeladen, auch zur Amtsübernahme des neuen Präsidenten Porfirio Lobo. Die Hoffnung der Regierenden mit dem Fußball und der WM in Südafrika von den sozialpolitischen Problemen des Landes abzulenken ist groß.