Zwischen Handwerkskunst und Massenware

Gäste: Dr. Udo Pollmer, Lebensmittelchemiker und Ernährungsexperte, und Roland Schüren, Bäckermeister |
Deutschland ist Brotweltmeister: Knapp 87 Kilo Brot verzehrt jeder Deutsche pro Jahr. Rund 300 Sorten Brot und rund 1200 Sorten Kleingebäck stehen zur Wahl. Kaum ein Handwerk ist zudem so alt wie das des Bäckers. Doch was in vielen deutschen Backstuben angeboten wird, hat mit dem traditionsreichen Gewerbe nicht mehr viel gemein.
Brot: Eines der anschaulichsten Beispiele für die Industrialisierung der Ernährung - ein Kulturgut zwischen traditioneller Handwerkskunst und normierter Massenware.

"Die heutige Brotvielfalt verdanken wir doch in erster Linie den Herstellern von Backmitteln und ihren Fertigmischungen. Da lässt sich aus einem Sack Fertigpulver locker ein Dutzend verschiedene Brotsorten erzeugen: Mal gibt der Bäcker etwas Kümmel dazu, mal Sesam, mal wird die Oberfläche bemehlt. Mal klein, mal groß, mal rund, mal eckig. Die Ideen der Werbetexter, der Chemiker und der Biotechnologen sind der simple Grund für die vermeintliche Brotvielfalt."

So urteilt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. In seiner sonntäglichen "Radiofeuilleton"-Kolumne Mahlzeit nimmt der Ernährungsexperte seit Jahren die Lebensmittelbranche unter die Lupe. Auch die deutsche Brotvielfalt, die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner unlängst zum Weltkulturerbe erklären lassen wollte. Sein Vorwurf: Immer weniger Bäcker beherrschten noch ihr Handwerk.

"Mit dem klassischen Backen, mit der traditionellen Teigführung, namentlich mit dem für Deutschland typischen Sauerteig, hat das herzlich wenig zu tun."

Der Verbraucher werde durch eine schöne Werbefassade getäuscht:

"Im Grunde kauft der Kunde bei den meisten Bäckern nur noch den Mythos – den Mythos vom Handwerk mit goldenem Boden."

Sein Urteil:

"Deutschlands Brotkultur verlottert"."

"Unser Brot in Deutschland ist sehr gut", protestiert der Bäckermeister Roland Schüren aus Hilden in Nordrhein-Westfalen. Er betreibt die 1905 gegründete Familienbäckerei in der vierten Generation und unterhält mittlerweile 16 Filialen im Großraum Düsseldorf. In seiner Backstube arbeiten allein 10 Bäckermeister.

""Unsere Arbeit ist exakt so wie bei einem kleinen Bäcker, deshalb haben wir ja so viele Bäcker in der Backstube. Wir verwenden weder Fertigmischungen, die oftmals Brote mit Fantasienamen wie Omega-XY-Brot oder Plusminusgeteilt-Brot haben, noch kaufen wir irgendwelche Vorprodukte als 'Teigling' zu, die man nur noch aufbacken müsste. Das ist sehr arbeitsintensiv und komplex, aber wenn man die Tiefkühlware und Rohlinge nicht verwendet, spart man auch Geld. Die Backmischungen sind teuer, das Geld können wir in Personal investieren."
Schüren versucht den Spagat zwischen Tradition und Moderne: Er ist Mitglied im Verein "Slow Baking", bezieht einen Teil seiner Zutaten aus der Region, hat Backstube und Vertrieb auf alternative Energien umgestellt. Unter anderem betreibt er einen Biomassekessel, der mit einer Mischung aus Holzpellets und Altbrot befeuert wird. 2010 erhielt er dafür den internationalen Nachhaltigkeitspreis ECOCARE-Award.

"Wir haben das Ziel, die erste Bäckerei in Deutschland zu sein, die sich mit CO2-neutraler Energie aus eigener Kraft versorgt."

Er kennt die Konkurrenz der Billig-Backshops, den Druck der Backmittelindustrie. Diesen könnten gerade die kleinen Bäcker nur durch Qualität begegnen:

"Sie müssen sich auf ihr Handwerk besinnen."

Man müsse nicht jeden Trend mitmachen, nicht jede neumodische Sorte anbieten. Dies sei aber leichter gesagt als getan, denn auch die Kunden seien anspruchsvoller geworden und durch das Überangebot verwöhnt.

"Zwischen Handwerkskunst und Massenware – Wie gut ist unser Brot?"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Udo Pollmer und Roland Schüren. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Udo Pollmer / Monika Niehaus: "Food-Design: Panschen erlaubt: Wie unsere Nahrung ihre Unschuld verliert", S. Hirzel Verlag, 3. Auflage 2010

Ausstellungshinweis:
"Unser täglich Brot ... Die Industrialisierung der Ernährung" vom 29. Oktober 2011 bis zum 29. April 2012 im Technoseum in Mannheim.
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