Zwischen Größenwahn und Selbstzweifeln
Unter den Ökonomen war Joseph Alois Schumpeter bis in die 1920er Jahre ein Star. Mit seinen Theorien bestimmte er den Diskurs innerhalb der Wirtschaftswissenschaften. Dass der Wissenschaftler privat aber hin- und hergerissen war zwischen Selbstüberschätzung und tiefen Selbstzweifeln, zeigt Annette Schäfer in ihrer Schumpeter-Biografie "Die Kraft der schöpferischen Zerstörung".
Joseph Alois Schumpeter war ein Überflieger: Der vom Ehrgeiz seiner Mutter angestachelte Joseph startete zunächst eine atemberaubende Karriere. 1909, mit gerade 26 Jahren, wird er der jüngste Ökonomieprofessor Österreichs, die Ehrendoktorwürde folgt vier Jahre später und 1919 übernimmt Schumpeter in der österreichischen Regierung den Posten des Finanzministers. Da war er 36 Jahre alt.
Der Shooting-Star mit Hang zu Luxus und Dekadenz lebt auf großem Fuß, gönnt sich Pferde, teure Häuser und fährt in offener Kutsche durch Wien - an seiner Seite stadtbekannte Prostituierte. "Die Kraft der schöpferischen Zerstörung" – Schumpeters bekannteste wirtschaftswissenschaftliche Formel - ist Namenspatin der Biografie. Die These geht von einem engen Zusammenhang zwischen Innovationen der Unternehmer ("Entrepreneurs" in Schumpeters Terminologie) und den dadurch folgenden Verdrängungen ("Zerstörungen") auf dem Markt aus. Schumpeters Vermutung, dass Wirtschaftskrisen zyklisch als die Folge innovationsarmer Zeiten einsetzen, prägte bis Ende der 20er Jahre den wirtschaftstheoretischen Diskurs.
Das Buch hätte aber statt "Kraft der schöpferischen Zerstörung" auch "Die Kraft der schöpferischen Selbstzerstörung" heißen können. Denn so erfolgreich Schumpeters Ansatz für die Wirtschaftstheorie gewesen war, so groß war seine Unsicherheit gegenüber der eigenen Arbeit. Das lag vor allem am rätselhaften Charakter des Ökonomen. Schumpeter pendelte sein Leben lang zwischen einer an Größenwahn grenzenden Selbstüberschätzung und tiefen Selbstzweifeln.
Wir erfahren in Annette Schäfers Buch viel über die Persönlichkeit Joseph Alois Schumpeters. Über dessen theoretisches Werk lesen wir wenig. Beispielhaft dafür ist, wie Schäfer ihr Kapitel über John Maynard Keynes verfasst hat. Der britische Ökonom war Schumpeters größter Gegenspieler. Mit seiner 1936 erschienenen "General Theory" verdrängt auf einen Schlag das Werk des Österreichers aus dem akademischen Diskurs. Schäfer beschreibt, wie Schumpeter einerseits beinahe zornig die Keynes-Kritiker anführt. Andererseits aber wieder von großen Selbstzweifeln geplagt wird. Leider verliert die Biografin aber kaum ein Wort darüber, warum Keynes Arbeit eines der folgenreichsten wirtschaftswissenschaftliche Werke des gesamten vergangenen Jahrhunderts ist und worin genau der Unterschied zu Schumpeters Denken besteht. Für ein Buch, das mit dem Anspruch auftritt "Die Biografie’" zu sein, wie der Untertitel vollmundig verspricht, ist das zu wenig. Wer mehr über Schumpeters Theorie erfahren möchte, der muss wohl in älteren Biografien nachschlagen oder auf die deutsche Übersetzung des im vergangenen Jahr erschienen Buches des amerikanischen Wirtschaftshistorikers Thomas McCraw warten.
Die studierte Psychologin Annette Schäfer konzentriert sich auf die private Seite Schumpeters. Stationen seines Lebens verknüpft sie mit Zitaten aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen. Quellen, so verkündet die Autorin nicht ohne Stolz, die für diese Biografie zum ersten Mal ausgewertet worden sind. Schäfer ist nach Harvard gereist, wo Schumpeter 1932 bis zu seinem Tod 1950 als Professor arbeitete, und hat im Archiv der Universität bislang unveröffentlichtes Material des Ökonomie-Professors ausgewertet. Das Leben des Ökonom war ein seelischer Balanceakt: In seinem Tagebuch bewertet er täglich seine Leistung mit Schulnoten. Eine 1 kommt so gut wie nie vor. 1926 sterben innerhalb von nur zehn Tagen seine Mutter, seine Frau Annie und sein gerade geborener Sohn. Als Reaktion darauf beginnt Schumpeter, das Tagebuch seiner Frau abzuschreiben. Er imitiert sogar die Handschrift und ergänzt ihre Einträge durch seine eigenen. Eine Angewohnheit, die er bis zu seinem Tod beibehält. Es sind diese intimen Details, mit denen die Autorin uns vor allem den Menschen Schumpeter nahebringt. Das macht die Originalität dieser Biografie aus, die zum 125. Geburtstag des Ökonomen erscheint.
Annette Schäfer: Die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Joseph A. Schumpeter. Die Biografie
Campus/ Frankfurt und New York 2008
270 Seiten, 24,90 Euro
Der Shooting-Star mit Hang zu Luxus und Dekadenz lebt auf großem Fuß, gönnt sich Pferde, teure Häuser und fährt in offener Kutsche durch Wien - an seiner Seite stadtbekannte Prostituierte. "Die Kraft der schöpferischen Zerstörung" – Schumpeters bekannteste wirtschaftswissenschaftliche Formel - ist Namenspatin der Biografie. Die These geht von einem engen Zusammenhang zwischen Innovationen der Unternehmer ("Entrepreneurs" in Schumpeters Terminologie) und den dadurch folgenden Verdrängungen ("Zerstörungen") auf dem Markt aus. Schumpeters Vermutung, dass Wirtschaftskrisen zyklisch als die Folge innovationsarmer Zeiten einsetzen, prägte bis Ende der 20er Jahre den wirtschaftstheoretischen Diskurs.
Das Buch hätte aber statt "Kraft der schöpferischen Zerstörung" auch "Die Kraft der schöpferischen Selbstzerstörung" heißen können. Denn so erfolgreich Schumpeters Ansatz für die Wirtschaftstheorie gewesen war, so groß war seine Unsicherheit gegenüber der eigenen Arbeit. Das lag vor allem am rätselhaften Charakter des Ökonomen. Schumpeter pendelte sein Leben lang zwischen einer an Größenwahn grenzenden Selbstüberschätzung und tiefen Selbstzweifeln.
Wir erfahren in Annette Schäfers Buch viel über die Persönlichkeit Joseph Alois Schumpeters. Über dessen theoretisches Werk lesen wir wenig. Beispielhaft dafür ist, wie Schäfer ihr Kapitel über John Maynard Keynes verfasst hat. Der britische Ökonom war Schumpeters größter Gegenspieler. Mit seiner 1936 erschienenen "General Theory" verdrängt auf einen Schlag das Werk des Österreichers aus dem akademischen Diskurs. Schäfer beschreibt, wie Schumpeter einerseits beinahe zornig die Keynes-Kritiker anführt. Andererseits aber wieder von großen Selbstzweifeln geplagt wird. Leider verliert die Biografin aber kaum ein Wort darüber, warum Keynes Arbeit eines der folgenreichsten wirtschaftswissenschaftliche Werke des gesamten vergangenen Jahrhunderts ist und worin genau der Unterschied zu Schumpeters Denken besteht. Für ein Buch, das mit dem Anspruch auftritt "Die Biografie’" zu sein, wie der Untertitel vollmundig verspricht, ist das zu wenig. Wer mehr über Schumpeters Theorie erfahren möchte, der muss wohl in älteren Biografien nachschlagen oder auf die deutsche Übersetzung des im vergangenen Jahr erschienen Buches des amerikanischen Wirtschaftshistorikers Thomas McCraw warten.
Die studierte Psychologin Annette Schäfer konzentriert sich auf die private Seite Schumpeters. Stationen seines Lebens verknüpft sie mit Zitaten aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen. Quellen, so verkündet die Autorin nicht ohne Stolz, die für diese Biografie zum ersten Mal ausgewertet worden sind. Schäfer ist nach Harvard gereist, wo Schumpeter 1932 bis zu seinem Tod 1950 als Professor arbeitete, und hat im Archiv der Universität bislang unveröffentlichtes Material des Ökonomie-Professors ausgewertet. Das Leben des Ökonom war ein seelischer Balanceakt: In seinem Tagebuch bewertet er täglich seine Leistung mit Schulnoten. Eine 1 kommt so gut wie nie vor. 1926 sterben innerhalb von nur zehn Tagen seine Mutter, seine Frau Annie und sein gerade geborener Sohn. Als Reaktion darauf beginnt Schumpeter, das Tagebuch seiner Frau abzuschreiben. Er imitiert sogar die Handschrift und ergänzt ihre Einträge durch seine eigenen. Eine Angewohnheit, die er bis zu seinem Tod beibehält. Es sind diese intimen Details, mit denen die Autorin uns vor allem den Menschen Schumpeter nahebringt. Das macht die Originalität dieser Biografie aus, die zum 125. Geburtstag des Ökonomen erscheint.
Annette Schäfer: Die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Joseph A. Schumpeter. Die Biografie
Campus/ Frankfurt und New York 2008
270 Seiten, 24,90 Euro