Zwischen Fertigpizza und Trüffelschaum

Von Holger Hettinger |
Kochsendungen, Kochbücher und Restaurantführer feiern eine beispiellose kulinarische Vielfalt. Dem Endverbraucher geht es aber eher darum, billig, bequem und schnell zu essen. Nur eine kleine Minderheit interessiert sich für die hohe Kochkunst und ist auch bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen.
Vielleicht ist es alles nur ein Irrtum. Vielleicht haben die Marktforscher einfach nur etwas missverstanden, denn eigentlich sollten die Deutschen doch immer besser essen und besser kochen. Noch nie zuvor gab es so viele Kochshows im Fernsehen, der Markt für Kochbücher boomt, und nie zuvor haben die Deutschen soviel Freizeit in der Küche verbracht wie heutzutage. Und doch, das sagen die Konsumforscher, bei Lebensmitteln schauen die Deutschen zuerst auf den Preis, und dann darauf, wie bequem das Gericht zuzubereiten ist. Geiz ist geil, Bequemlichkeit ist Trumpf – gerade in der Küche.

Ein Widerspruch? Ja und nein. Denn diese scheinbar unvereinbaren Entwicklungen zeigen, dass da gerade eine Schere aufgeht, eine asymmetrische Schere. Die Mehrheit der Konsumenten wollen billig und schnell essen – für sie hat die Industrie im vergangenen Jahr über 300 neue Tütensuppen kreiert, über 580 Feinkostsoßen gemixt, über 2500 neue alkoholfreie Getränke auf den Markt geworfen.

Auf der anderen Seite ist eine kleine Gruppe von Gourmets zu einer marktrelevanten Gruppe geworden. Die ist jedoch kleiner als angenommen: denn die wenigsten Menschen, die eine Kochshow einschalten, tun das, um die Gerichte nachzukochen.

Der Hamburger Koch-Proll Tim Mälzer zeigt allabendlich auf VOX, wie man mit einfachen Zutaten, ein wenig Geduld und viel Phantasie eine ordentliche Mahlzeit herstellt. Doch die meisten schauen wegen Mälzers Sprüchen, oder um sich unverbindliche Anregungen zu holen.

Mit großer Kochkunst hat das nicht zu tun. Was in erster Linie daran hängt, dass die Resultate der Spitzengastronomie am heimischen Herd überhaupt nicht erreichbar sind – ein Koch im Restaurant kann auf eine vielköpfige, geschulte Brigade zurückgreifen. Und auf viele ausgefallene Ideen. Bei keinem anderen Koch wird das deutlicher als bei dem Katalanen Ferran Adria. Er gilt als Erfinder der so genannten "Molekularküche", was bedeutet: er zerlegt Gerichte in ihre Einzelteile und setzt sie neu zusammen, ändert munter Aggregatzustände und verändert überhaupt Lebensmittel so, wie man sie noch nie zuvor erlebt hat. Die Suppen sind schon mal kalt, dafür ist dann der Salat warm. Ein Gemüseteller à la Adrian sieht so aus: verschiedenfarbige Gelatinestreifen liegen schön parallel auf dem Teller, übergossen mit einem Sonnenblumenöl, das mit Holzkohle gewürzt ist. Schinken wird als fluffiger Schaum serviert, das Eis wird schon mal frittiert, die Steinpilze werden als Lutscher getrocknet.
Will Adria etwa provozieren? Nein, sagt der Molekular-Kochkünstler, "wenn es mir um Provokation ginge, würde ich mich einfach nackt ins Restaurant stellen."

"Cocina de la deconstrucción" nannte Adria dieses Verfahren in der Anfangszeit – da denkt man an die architektonischen Kreationen von Derrida und von Zaha Hadid. Nie war Kochen näher an der Kunst – so ist es denn nur folgerichtig, dass Ferran Adrias Kochkunst bei der nächsten Documenta zu erleben sein wird.