Zwischen Dichtung und Wahrheit

Rezensiert von Jörg Taszman · 23.12.2005
Er gilt wohl bis heute als der bekannteste italienische Regisseur überhaupt: Federico Fellini, der 1920 in Rimini geboren wurde und am 31. Oktober 1993 starb. Sein langjähriger Freund und Mitarbeiter Tullio Kezich veröffentlichte noch zu Fellinis Lebzeiten erstmals seine Biografie über den "maestro" die nun neu aufgelegt und erneut erschienen ist.
Schon mit der Legende um seine angebliche Geburt in einem Zugabteil erster Klasse hat Fellini der Wirklichkeit etwas nachgeholfen. Tullio Kezich entlarvt aber in seiner akribisch genau recherchierten Biografie gleich auf der ersten Seite die erste von vielen fellinischen Lügen. Am 20.Januar 1920 gab, dem Geburtsdatum Fellinis gab es einen Eisenbahnerstreik.

Ansonsten war der junge Fellini ein "kreuzbraves Kind" und wuchs zusammen mit seinem Bruder in Rimini auf. Die Mutter war etwas frömmlerisch und melancholisch, der Vater ein herzensguter Vertreter, der nicht oft zu Hause war.

Kezich gelingt schon in den Kapiteln über Kindheit und Jugend sich Fellini respektlos aber liebevoll zu nähern, ein höchst irdisches "Genie" zu beschreiben. Fellini war Zeit seines Lebens eigentlich kein Intellektueller, las Bücher erst im reifen Alter und als Kind eigentlich nur Abenteuerromane. Für einen Italiener untypisch, interessierte sich Fellini nicht für Fußball, und auch was die Frauen anbelangt, war Fellini ein Spätzünder. Er verliebte sich erstmals unglücklich im Alter von 16 Jahren in eine junge Frau, die ihm zugetan war, aber später einen anderen heiratete.

Aufgewachsen in der Zeit des Faschismus interessiert sich der junge Fellini wenig für Politik, geht im Alter von 18 Jahren nach Rom und beginnt eine journalistische Karriere, zunächst als Karikaturist, dann als Texter.

Seine Frau Giulietta Masina lernt er früh kennen, heiratet sie mitten im Krieg 1943. Die Ehe bleibt nach einer Fehlgeburt und dem frühen Tod eines zweiten Babys kinderlos. In den letzten Kriegsmonaten verweigert der apolitische Fellini den Wehrdienst, muss sich verstecken und wird bei einer Razzia von den Deutschen bereits auf einen LKW verladen.

Er rettet sich mit einem Trick. Er umarmt einen ahnungslosen deutschen Soldaten, nennt ihn "Fritz" und als der verdutzte Deutsche nicht weiß, wie er reagieren soll, flüchtet Fellini.

In den späten 40er Jahren und zu Beginn der 50er Jahre wird Fellini zu einem der anerkanntesten Drehbuchautoren des italienischen Films. Er arbeitet regelmäßig mit Roberto Rosselini (Rom, offene Stadt) und Alberto Lattuada zusammen. Die Filmwelt interessiert ihn zunächst wenig, er ist fast nie am Set, Dreharbeiten empfindet Fellini als langweilig.

Wie treffend und einprägsam der Autor Tullio Kezich nicht nur Fellini sondern auch berühmte Zeitgenossen beschreiben kann, lässt sich an folgendem Vergleich zwischen Rosselini und Fellini ermessen: Rosselini ist ein Meister der Improvisation, Genie und Chaot und verspürt einen Hunger nach wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch privat führt er ein unstetes Leben durch den Wechsel von Ehefrauen und Abenteuern über Ozeane hinweg. Fellini dagegen ist weit weniger reflektiert, kein Kosmopolit und mag gerade im Privatleben seine "Ordnung". Beide lügen aber was bei Rosselini funktional und strategisch bedingt ist, wirkt bei Fellini kindlich abstrakt ohne tieferen Sinn und Zweck!

Vom ersten Flop bis zum Triumph von La Dolce Vita

Fellini wird vor allem zu Beginn seiner Karriere in die Grabenkämpfe der italienischen Gesellschaft verwickelt. Viele Intellektuelle und Filmkritiker stehen in Opposition zur politischen Macht der Rechten und ihrer Zensur. Fellini ist ein Katholik, ein apolitischer Autor mit dem Hang zur leichten Muse und Intellektueller wider Willen.

Damit steht er ganz im Gegensatz zum "aristokratischen Kommunisten" Luchino Visconti, dem er fast zehn Jahre lang von 1954 bis 1963 aus dem Weg gehen wird. Fellinis erster Film "Der weiße Scheich" floppt. "La Strada" wird dagegen vor allem international ein Erfolg (Oscar 1956), auch wenn einige Filmkritiker in Italien ihn als "Verräter des Neorealismus bezeichnen".

Typisch für Fellini sind dann seine Probleme mit Produzenten, Tullio Kezich bezeichnet dies als "Produzentenballett" und Probleme mit der Zensur. Aus Angst "La Dolce Vita" könne wegen Freizügigkeit oder Blasphemie verboten werden, strömen die Zuschauer in die Kinos und bereiten Fellini seinen größten Triumph. Der Film erhält die Goldene Palme in Cannes.

Nach "La Dolce Vita" werden Fellinis Filme immer barocker, auslandender, elliptischer und anekdotischer. Fellini der selber fast nie ins Kino geht, leidet unter sich selbst entdeckt die Psychoanalyse und schafft mit "8 1/2" (1963) eine Art Gesamtkunstwerk über den zweifelnden Künstler. In Moskau wird der Film triumphal gefeiert und auf Druck der Ausländer in der Jury u. a. Jean Marais und Stanley Kramer gewinnt er den Hauptpreis.

Es war das letzte Mal, dass Fellini einen seiner Filme für den Wettbewerb eines Filmfestivals zuließ. Es folgt eine schwierige Phase, in denen Fellini Projekte nicht beendet sich mit Produzenten überwirft. Zu Beginn der 70er Jahre folgen "Roma" und "Amarcord" zwei erfolgreiche Filme. Dann dreht er fast über ein Jahr lang "Casanova" mag jedoch die Hauptfigur nicht, maltraitiert seinen Hauptdarsteller Donald Sutherland.

In seinen späten Filmen wie "La Nave va" oder "L’intervista" zitiert sich Fellini ein wenig selbst. Fast nostalgisch und melancholisch fällt "Ginger und Fred" aus. Mit Roberto Benigni dreht er 1990 seinen letzten Film "Die Stimme des Mondes".

Optimaler, ausführlicher und informativer kann eine Biografie wohl kaum sein. Allein der Anhang, der eine Zeittafel und Filmografie mit kompletten Inhalts- und Stabangaben beinhaltet, umfasst 150 Seiten! Wohltuend ist die Nähe und doch kritische Distanz des Autors. Immer wieder wird Leben und Werk Fellinis in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext gesetzt.

Nicht nur das "Genie" wird beschrieben, sondern auch der Privatmann Fellini dem Leser nahe gebracht. Dabei erfährt man in einem neu geschriebenen Kapitel über "Fellini und die Frauen" durchaus intime Details, dennoch ist das nie voyeuristisch, klatsch- oder tratschsüchtig. Es ist die Biografie eines Gentlemans und ausgezeichnet schreibenden Autors über einen vielschichtigen, faszinierenden Künstler und Menschen. Zum Lesen, Nachschlagen und immer wieder Nach-Lesen.


Tullio Kezich: Federico Fellini
Übersetzt von Sylvia Höfer
Diogenes-Zürich 2005
752 Seiten, 29,90 Euro.