Zwischen den Welten

Von Vladimir Balzer · 05.03.2009
Der aus Polen stammende Autor Artur Becker schreibt auf Deutsch die fantastischsten Geschichten über seine alte Heimat Masuren. Nun erhält er dafür den Adelbert-von-Chamisso-Preis für nicht aus Deutschland stammende Autoren. Er ist einer der zahlreichen europäischen Autoren, die ihr sensibles Arbeitsmaterial gewechselt haben – ihre Sprache. Gerade erreicht er mit dem Roman "Wodka und Messer" immer mehr deutsche Leser.
Wenn Artur Becker schreibt, dann denkt er vor allem an zwei Dinge: an seine alte Heimat Masuren. Und an die Musik. Er hat eine große Sammlung bei sich zu Hause im kleinen Städtchen Verden, ein paar Kilometer südöstlich von Bremen, wo er seit 23 Jahren lebt. Als 17-Jähriger kam er hierher. Er hatte nicht viel im Gepäck damals, als seine Eltern ihn am Bahnhof abholten. Aber Musik, Platten – das hatte er dabei.

"Sie wissen, dass die Musik oder die Literatur sehr getragen werden von Stimmungen. Speziell, wenn wir über die Rolle der Musik sprechen in meinen Büchern und in meinem Leben, dann kann ich sagen, dass ich einen anderen Hintergrund brauche, als das bloße weiße Papier. Ich suche mir für die Bücher, die ich schreibe, spezielle Musik aus, Musik, die mir helfen wird, eine ganz bestimmte Stimmung, die ich brauche, zu finden."

"Ich kann, speziell zu "Wodka und Messer" sagen, dass mir Keith Jarrett tatsächlich geholfen hat, mit seinen "Sun Bear" – Pianokonzerten das Buch zu schreiben, weil er in diesen Improvisationen auch sehr viel vom Verständnis von der Welt, von den Menschen und ihren Stimmungen, vom Wasser erzählt, von dunklen Tönen und von sehr fröhlichen Tönen, wenn das Wetter am See sehr gut ist."

Der See ist der masurische Dadajsee. In dessen Nähe ist Artur Becker groß geworden. Eine landschaftliche Idylle, diese Masuren: Endlose Alleen, blühende Wiesen und überall: Wasser.

Aber eben nicht nur Idylle. In seinem Roman "Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken" schreibt Artur Becker auch über die Abgründe dieser Landschaft. Über die vielen Ertrunkenen, die der Dadajsee gefordert hat und noch fordern wird: nicht nur Betrunkene, auch Übermütige, die den See einfach unterschätzt haben. Artur Becker - dieser kräftige Mann, der älter wirkt als seine 40 Jahre, mit seiner hohen Stirn und den bereits leicht angegrauten Haaren - schreibt über die Dramen, die sich abspielen können, wenn die Landschaft so dominierend ist.

"Das ist das, was mich in meiner Kindheit schon fasziniert hat, dieser doppelte Bezug zur Natur: zum Einen die Erkenntnis, die Natur kann nicht nur gut, sondern auch böse sein und zum Anderen auch diese unbegreifliche Schönheit, die sich nichts aus ihrer Schönheit macht. Diese Ursprünglichkeit, hoffe ich, kann diese Landschaft noch bewahren. Das hängt auch mit dem Wetter zusammen. Das Wetter beschützt das Land. Wollen sie Urlaub machen im Sommer in einem Land, in dem es vielleicht zwei Wochen regnet? Dann verschwinden sie aus der Landschaft."

Mindestens zweimal im Jahr ist er da. Zusammen mit seiner Frau Magdalena, mit der er seit seinen Jugendtagen zusammen ist, und mit seinem 14-jährigen Sohn Philip fährt er dann in den Nordostzipfel Polens, um die masurische Landschaft um sich zu haben, um alte Freunde zu treffen. Seine Familie aber ist größtenteils in Deutschland, dafür müsste er nicht nach Polen. Seine Eltern reisten ein Jahr vor ihm in den Westen aus, sie hatten genug vom sozialistischen Staat. Artur Becker folgte nach. 1985 war das. Ein Teenager mit Flausen im Kopf. Und plötzlich war er im Westen.

"Ich kam sehr selbstbewusst nach Deutschland, weil ich weiterhin nichts anderes im Kopf hatte als meine Freunde, den Alkohol, die Zigaretten, den Sex, das Bücherlesen und vor allen Dingen die Poesie."

Doch zunächst musste eine Entscheidung getroffen werden. Polnisch oder deutsch? Bisher hatte Artur Becker alles auf Polnisch geschrieben.

Von seiner galizischen Großmutter Erna kannte er ein paar Brocken Deutsch, sein Vater konnte auch ein bisschen, aber im Grunde fing der 17-Jährige mit dem Deutschen bei Null an.
"Diese Entscheidung war sehr schmerzlich, weil mir klar wurde, dass ich mich scheiden lasse von der polnischen Literatur oder von der polnischen Dame."

Für den blutjungen Autor war es damals nicht nur eine Entscheidung über die Sprache, sondern auch über die literarische Form.

"Vielleicht, wer weiß, wenn ich im Polnischen geblieben wäre, hätte ich weiterhin nur Gedichte geschrieben, wer weiß, ob ich mich entschieden hätte, Prosa zu schreiben."

Die deutsche Sprache – ja. Aber das Land? Was ist mit Deutschland? Ein Thema ist es in seinen Büchern kaum. Artur Becker schreibt über Polen, über Masuren. Der Held in seinem aktuellen Roman ist ein in Deutschland lebender Pole, der sich eingebildet hatte, eine endgültige Entscheidung getroffen zu haben, als er Polen verließ, doch während eines Besuchs in der alten Heimat merkt er, wie viel er zurückgelassen hat - was ihm so schmerzlich fehlt. Über die Zerrissenheit, die alle Emigranten kennen, schreibt Artur Becker nicht nur. Er macht auch seine eigene Musik dazu. Zusammen mit der Band "Les Rabiates".

Bei aller Liebe - eine Fremdheit gegenüber dem Land und seiner Sprache bleibt. Wenn er ganz privat ist, wenn er mit seiner Frau Magdalena spricht, dann verfällt er ins Polnische. Dann ist er der Privatmann Artur Becker und der ist Pole, der polnisch spricht. Als was sieht er sich dann also?

Jedenfalls nicht als "deutsch-polnischer Autor", sondern - dieser Unterschied ist ihm wichtig - als "polnischer Autor deutscher Sprache". Das zu verstehen, falle vielen Deutschen schwer, meint er. Aber er könne es nicht ändern.