Zwischen Christentum und Esoterik

Von Kirsten Dietrich · 25.10.2008
Lässt sich allein mit der Macht der Gedanken die Welt verändern? Oder wenigstens das persönliche Glück finden? Solche Fragen beschäftigen die Vertreter einer neuen Spiritualität, die zwischen Religion und Esoterik angesiedelt ist. Filme und Bücher zu dem Themenbereich finden eine breite Leserschaft.
"Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gerechten Frieden? Was hindert die Menschen daran, Potenzial auszuschöpfen? Was ist der Sinn des Lebens?"

Ward Powers: "Wir hatten eine Vision: die letzten Fragen des Lebens zu stellen. Wenn du 15 Minuten mit einem erleuchteten Wesen hast – was würdest du fragen? Wir haben diese Fragen gesammelt und Leuten auf der Straße gestellt. Sie versuchen zu antworten und lassen uns regelrecht ein Licht aufgehen. Und dann beteiligten wir noch Meister des Spirituellen, das bereichert zusätzlich."

"Am 13. April 2002, um 6:45 Uhr, erwachte ein Mann mittleren Alters aus tiefem Schlaf. Der Vater dreier Kinder aus dem mittleren Westen der USA hatte plötzlich die merkwürdige Idee, einen Film über den Sinn des Lebens zu machen."

Mit diesem Text auf einer Schwarzblende und vielen großen Fragen beginnt Ward Powers’ Film "One". Im bürgerlichen Leben ist Powers Anwalt, aber seit jenem Aprilmorgen vor allem: ein Mann mit einer Mission, der Botschaft vom Einssein aller Welt.

Ward Powers: "Das ist keine neue Information, sondern essenziell für die Art, in der die Welt geschaffen ist. Dass die Welt eins ist, ist keine Theorie. Sie ist eins. Jede spirituelle Erfahrung und Lehre hat zu jeder Zeit auf dieser Prämisse beruht. Immer wieder wird die Welt in Stücke gebrochen, Menschen wollen sie besitzen, aber die Welt ist eins. Ein nahtloses Ganzes."

Den Film "What the bleep do we know?" wollte keine große Produktionsfirma Film ins Kino bringen, für solche Stoffe gäbe es keinen Markt. Eine kleine Firma übernahm das Risiko. Der Film wurde zum Hit, vor allem in den USA. Ein Film, der in die Zusammenhänge von Quantenphysik und Geisteskraft einführen und damit deutlich machen will, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und: ein Film mit angeschlossener Gemeinschaft. Im Bleep-Internetforum tauschen sich die Fans aus - oder sollte man sie vielleicht besser Gläubige nennen?

Teilnehmer Bleeper- Forum: "Ich habe schon sehr früh damit angefangen mein Leben intensiv zu beobachten und mir ist aufgefallen, dass vieles so kam, wie ich es mir vorstellte, wie ich es gerne hätte. Ich dachte, naja, das kann ja nur ein Zufall sein oder ich bin verrückt, warum sollte ich das steuern können. Als ich dann Bleep sah, sah ich da ein Haufen von Wissenschaftlern die genau davon sprachen, sind die jetzt alle verrückt? Ist das eine Sekte? Oder kam der Film, weil ich es wollte, dass er kommt, damit ich nicht denke, dass ich verrückt bin."

Neal Donald Walsch: "Ich bin ein Bote, ich weiß, was die Welt zu einem wundervollen Platz für unsere Kinder und Kindeskinder machten könnte. Deshalb habe ich eine Mission: die Vorstellung der Welt von Gott zu verändern."

Und weil das so ist, hat Neal Donald Walsch ein ganzes Netzwerk aus miteinander verknüpften spirituellen Unternehmungen um sich herum aufgebaut: Sein Buch "Gespräche mit Gott", wörtliches Protokoll seiner Fragen an Gott und dessen Antworten, die ihm angeblich direkt in die Feder geflossen sind. Vortragsreisen, in denen er die Wahrheit seiner Erkenntnisse belegt mit der eigenen Erfolgsbiografie, die ihn erst durch die Maschen des amerikanischen Sozialstaates in die Obdachlosigkeit fallen ließ und ihm dann über die göttliche Offenbarung zu wirtschaftlichem und spirituellem Erfolg führte. Studiengruppen vertiefen die Inhalte. Der Schritt ins Kino war im letzten Jahr eigentlich nur logisch.

Neal Donald Walsch: " Für viele macht das die Botschaft leichter zugänglich. Manche Menschen genießen es zu lesen. Viele Menschen bekommen von Filmen Informationen, die sie aus Büchern nicht so gut entnehmen. So bekommt die Übermittlung der Botschaft eine zusätzliche Dimension."

In der Sachbuchbestenliste des letzten Jahres findet sich "The Secret" von Rhonda Byrne auf Platz drei. Erfolgreicher verkauft wurden nur das Pilgerbuch von Hape Kerkeling und das Jesus-Buch des Papstes. Byrne verspricht nicht weniger als den absolut unfehlbaren Weg zu Glück, Erfolg und einem gut gefüllten Bankkonto:

Auszug aus "The Secret": "Sie erhalten gerade das Wissen, das Sie befähigen wird, die herrlichste Version von Ihnen selbst zu erschaffen. Die Möglichkeit jener Version von Ihnen existiert bereits auf der Frequenz des Gedankens an 'die herrlichste Version von Ihnen'. Entscheiden Sie, was Sie sein, tun und haben wollen, denken Sie daran, senden Sie die Frequenz aus, und Ihre Vision wird zu Ihrem Leben."

Das Geheimnis? Das sogenannte "Gesetz der Anziehung". Was immer in Gedanken formuliert wird, manifestiert sich in der Wirklichkeit. Von daher ist es nur eine Sache der richtigen Gedanken, die Wirklichkeit nach den eigenen Wünschen zu formen. Und: kein Wunsch ist zu gering.

"Mit etwas Kleinem anzufangen - etwa mit einer Tasse Kaffee oder einer Parklücke -, ist ein einfacher Weg, um das Wirken des Gesetzes der Anziehung zu erleben. Nehmen Sie sich vor, etwas Kleines anzuziehen. Wenn sie Ihre Macht über die Anziehungskraft erkennen, werden Sie weitergehen, um viel Größeres zu erschaffen."

Rhonda Byrnes Buch lässt sich als Zusammenfassung und Kompendium dieser neuen spirituellen Strömungen lesen - bis dahin, dass sie auf die gleichen spirituellen Experten zurückgreift. Und natürlich gibt es den Film zu Buch.

Einer der letzten weißen Flecke für spirituelle Erfahrung ist in den letzten Jahren erschlossen worden: das Kino. Die Bewegung des "Spiritual Cinema", des spirituellen Kinos, kommt - natürlich - aus den USA. Nicht verfasste Religion spielt in diesen Filmen eine Rolle, auch nicht die Beschäftigung mit im Kern religiösen Fragen wie Schuld und Vergebung, Inspiration für manchen scheinbar ganz säkularen Hollywoodfilm.

Spirituelle Filme sollen explizit motivierenden Charakter haben, die Sinne ansprechen und aufnahmebereit machen für neue Weltsichten. Diese Filme haben eine ähnliche Struktur. Sie präsentieren auf der einen Seite eine Vielfalt von Stimmen aus Religion und Wissenschaft, vor allem Psychologie und Quantenphysik, die alle eine Botschaft haben: alles ist eines.

Geist wird Materie, der Mensch ist die Welt, Gott ist im Menschen. Diese spirituelle Botschaft machen diese Filme auf der anderen Seite emotional leicht zugänglich. Ein Einzelner hat diese Erkenntnis in einem blitzartigen Moment der Klarheit erfahren, daraufhin nimmt sein Weg die alles entscheidende Wende zum Guten. Der Kinobesuch selber wird zum spirituellen Akt.

Ward Powers: "In den aktuellen Medien gibt es viele schlechte Nachrichten. Das Kino war schon immer ein Ort, davor zu flüchten. Neu ist, dass wir nicht in eine Fantasiewelt flüchten, sondern in die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Eine, in der die Menschen ihr Schicksal erfüllen, nicht davor flüchten oder sich ablenken."

Es gibt erste Versuche, diese Art von Filmen auch in deutsche Kinos zu bringen. Einen Markt dafür gebe es.

Jörg Röttger: "Das ganz normale Kinopublikum ist es sicher nicht, denn die sind überwiegend unter 29 Jahre, in dem Alter interessiert man sich naturgemäß noch nicht so für Themen über den Sinn des Lebens oder was es nach dem Tod gibt oder solche Dinge, die mit Spiritualität zu tun haben, das heißt wir können feststellen, dass unser Publikum 35+, vielleicht auch 40+ sind, Leute, die in Mitte des Lebens angekommen oder zum älteren Publikum zählen."

Jörg Röttger ist Geschäftsführer der TAO Cinemathek. Er will den spirituellen Film auch in Deutschland etablieren - wobei er den Kreis nicht ganz so eng zieht wie die Kollegen vom Spiritual Cinema.

Jörg Röttger: "Im engeren Sinne Filme, die sich mit Grundfragen des Lebens befassen: Was ist der Sinn? Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? - klassische philosophische Fragen, oder Filme, die mit religiöser Tradition befassen. Für uns ist aber noch andere Auffassung entscheidend, wir sind zu der Auffassung gekommen, dass Film spirituell sein kann, auch wenn der Inhalt gar nicht mit Spiritualität befasst, wenn andere Dimension berührt, sag mal als Beispiel Filme, die einen offener machen, neue Perspektiven aufzeigen, aber die auch emotional eine erhebende Qualität haben."

Darunter kann für Röttger dann auch ein Film fallen wie "Rhythm is it", die Dokumentation über Simon Rattles Tanzprojekt mit Berliner Jugendlichen. Noch ist es schwer, das anspruchsvolle Publikum für spezielle spirituelle Filme auch ins Kino zu locken, muss Röttger zugestehen. Immerhin: In Berlin hält sich seit zwei Jahren ein Kino, das sich einzig dieser Sorte von Filmen widmet.

Was alle Angebote an neuer Spiritualität teilen, ist ihre Effizienz. Die Bücher haben nicht mehr als 300 Seiten, die Filme dauern kaum länger als 90 Minuten, die Homepages sind gut sortiert, von den Telefonnummern der regionalen Ansprechpartner bis hin zum Merchandising.

Zum Film "What the bleep do we (k)now?" findet Ende Oktober der 2. Internationale Bleep Kongress in der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität statt, zum Verhältnis von Quantenphysik und Spiritualität. Wer sich jetzt schon angemeldet hat, kann im Vorfeld an regelmäßigen Internet-Live-Konferenzen mit den Referenten teilnehmen.

Als Organisatoren bei solchen spirituellen Veranstaltungen treten selten Einzelpersonen auf, oft dagegen Werbeagenturen und Eventmanager. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen die Erfahrungen eines spirituellen Amateurs am Anfang standen und nicht die marktgerechte Umsetzung. Und: Schnell muss es gehen, sowohl bei der Erleuchtung als auch bei der täglichen Übung. Neal Donald Walsh über seine Begegnung mit Gott:

"Die ursprüngliche Idee kam zu mir in einer Nacht. Ich habe über die Jahre dann immer wieder Inspirationen gehabt, aber am Beginn stand eine nächtliche Erfahrung, von 4:30 Uhr bis 7:30 am Morgen, in der es mir erlaubt wurde, Dinge zu verstehen, die ich vorher nicht verstanden habe, und mich in einem völlig anderen Licht zu sehen."

Thomas Ulrich: "Eines meiner Lieblingsbücher heißt zwar Meditation in drei Minuten, und es ist wichtig, immer wieder den Fokus auf bestimmte Sachen zu richten, das kann auch in kurzen Zeitsequenzen gelingen, aber letztlich hat es nur dann eine die Individualität verwandelnde Wirkung, wenn man es wirklich intensiver betreibt."

Thomas Ulrich leitet seit über 20 Jahren Menschen in der traditionellen buddhistischen Achtsamkeitsmeditation an. Auch die spirituellen Vertreter der alles erreichenden Gedankenkraft empfehlen Meditation als Methode. Rhonda Byrne bietet zu "The Secret" auch sogenannte Visualisierungshilfen an: einen Scheck der Universums-Bank zum Selberausdrucken zum Beispiel. Der Nutzer muss nur noch ausfüllen, welche Summe in welcher Währung er Kraft seiner Gedanken empfangen möchte.

Ein Verständnis von Meditation, das sich sehr von Thomas Ulrichs unterscheidet. Für ihn geht es um mehr als Fitnesstraining für die Gedanken. Meditation ist nicht einfach und nicht kundenorientiert:

"Wenn man sieht, dass das nicht das Rundumglücklich-Programm ist, das in einer Woche funktioniert, sondern dass es ein Lebensprinzip ist, dann überlegt man das schon, wo sind meine Prinzipien."

Welcher Gott ist es eigentlich, der Neal Donald Walsch seine Gedanken über das Einssein von Menschlichem und Göttlichen in den Block diktiert? Walsch sagt von sich, er habe die katholische Kirche zwar schon lange verlassen, weil er keinen gnadenlosen Gott anerkennen könne, der individuelle Schuld anrechne. Ganz getrennt habe er sich allerdings nicht vom Christentum.

Neal Donald Walsch: "Es ist dieselbe Botschaft. Allerdings ist die Botschaft der Kirche beschränkter als meine. Ich gehe über das hinaus, was die meisten Religionen verkünden. Die Basis ist gleich, aber es gibt mehr über Gott zu sagen, als das viele Kirchen tun."

Vor allen Dingen: Positiveres. Gott ist Energie, der Mensch bestimmt deren Frequenz, denn letztlich ist auch der Mensch nur Energie. Und doch werden menschliche Bedürfnisse ernst genommen und nicht gewertet. Wer reich sein will, soll das werden. Wer einen Porsche möchte, soll ihn bekommen. Wer Ehe und Familie möchte oder auch nur Erfolg bei den Frauen: Alles ist möglich. Dem Universum ist nichts zu groß, zu klein oder unwürdig. Diese ermutigende Botschaft will auch Ward Powers mit seinem Film "One" verbreiten:
"Wer seine Hand an den Pflug legt, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wird staunen, wie ihn das Universum unterstützt und mit-schöpferisch ist. Vielleicht nicht mit dem, was man will, aber mit dem, was man braucht. Das ist uns so oft passiert: Was immer wir brauchten, wenn wir es brauchten, kam es. Die reine Magie. Und die Magie ist bis heute geblieben."

Bei den Lesern und Zuschauern trifft diese Form der Spiritualität offenbar einen Nerv. Von übergeordneten Instanzen - seien es Kirchen oder Götter - hat man gelernt, nicht zu viel zu erwarten. Jeder ist seines Glückes Schmied - diese Botschaft schärft die neoliberale Arbeitswelt schnell ein. Wie tröstlich, dann zu wissen: Das Universum ist auf meiner Seite und macht mich fit für diese Welt. Aus dem Online-Forum zum Film "What the bleep do we (k)now?":

Teilnehmerin des Bleep-Forum: "Ich war so schrecklich unglücklich, viele Jahre lang. Ich hatte materiell alles, und doch hab ich mich hohl und leer gefühlt. So machtlos. Den Umständen, der Gesellschaft, den Menschen, meinem Partner ausgeliefert und gefangen in der Tretmühle.

Das Leben wird um so vieles schöner, wenn man eigenverantwortlich lebt und verinnerlicht hat, dass man kein Opfer der Umstände ist. Dass man sein eigenes Leben in der Hand hat: die Welt und das Universum als Spiel- und Experimentierplatz betrachten kann, auf dem Weg zum persönlichen Glück. Und, da auch das stimmen muss, macht jeder glückliche Mensch unsere Welt und das Universum ein Stückchen glücklicher. "


So weit, so glücklich. Think Positive. Die pragmatische Spiritualität von "The Secret" und anderen Lehren hat durchaus etwas zupackend-unprätentiöses. Bis man zur Frage danach kommt, warum es dann in einer von menschlichen Gedanken geformten Welt immer noch Unglück gibt.

Auszug aus "The Secret": "Wenn Sie Menschen zuhören, die über ihre Krankheit reden, laden Sie Krankheit ein. Beim Zuhören sind Sie mit Ihren Gedanken und Ihrer ganzen Aufmerksamkeit bei der Krankheit, und wenn Sie Ihre Gedanken und Ihre Aufmerksamkeit auf etwas richten, dann bitten Sie darum."

Wer leidet, denkt falsch, diese Ansicht teilen Neal Donald Walschs "Gespräche mit Gott" mit dem Bestsellerbuch "The Secret". Und bewegt sich damit wahrscheinlich doch eher in der Gedankenwelt von Selbstoptimierung und Management als in einer Spiritualität, die anschlussfähig wäre an andere religiöse Traditionen.

Neal Donald Walsch: "Unsere Vorstellung von Gott erschafft unsere Vorstellung von uns selber, und von uns in Beziehung zu anderen. Die alten Vorstellungen töten uns. Wir zerstören unseren Planeten und erzeugen Gewalt und Konflikt unter Menschen. Deswegen ist es mein Ziel im Leben, die Vorstellungen der Welt von Gott und vom Leben zu verändern."