Zwischen Barock und Moderne

Viele Wege führen zu Gustav Mahler – auch aus der Barockmusik. In ihrem Mahler-Zyklus versuchen Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker, Mahler von möglichst vielen Seiten zu zeigen. In diesem Konzert wird die 5. Sinfonie mit Purcells "Funeral Music for Queen Mary" eingeleitet.
Man sollte einmal versuchen, nicht an Venedig zu denken. Seit Luchino Viscontis Verfilmung von Thomas Manns "Tod in Venedig" (1970) ist der vierte Satz aus Gustav Mahlers fünfter Sinfonie – das Adagietto – als todestrunkener Schmachtfetzen in die Populärkultur eingegangen. Mal davon abgesehen, dass Manns Text nichts mit Mahler zu tun hat (auch wenn der Film anderes suggeriert), ist diese Musik wohl eher dem Liebes- als dem Todestrieb zu verdanken. Aus einer zeitgenössischen Quelle wissen wir, dass Mahler sein Adagietto höchstwahrscheinlich als "Liebeserklärung an Alma" schrieb, also an seine künftige Frau.

Die fünfte Sinfonie jedenfalls markiert in Mahlers Schaffen den Beginn des 20. Jahrhunderts; der damalige Direktor der Wiener Hofoper schrieb von 1901 bis 1903 daran. Das Werk steht nicht nur biografisch, sondern auch stilistisch an einer Grenze: Mahler verlässt die romantische Welt der Lieder aus "Des Knaben Wunderhorn" und sucht sein musikalisches Fundament. Dieses findet er bei Johann Sebastian Bach – und sich selbst findet Mahler nach eigenen Worten "als Kind zu seinen [Bachs] Füßen sitzend" wieder; er staunt, was ein moderner Komponist aus der Barockmusik alles lernen kann.

Für Sir Simon Rattle ist Mahlers Fünfte ein Schicksalswerk. Er hat es vor bald neun Jahren bei seinem Antrittskonzert als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker aufgeführt. Vor der Pause erklang damals das Werk "Asyla" des jungen englischen Komponisten Thomas Adès. Heute steht – mit Unterstützung des RIAS Kammerchors – ein alter Engländer im ersten Teil auf dem Programm: Henry Purcell. Seine "Funeral Music for Queen Mary" schrieb er im Januar 1695 – ohne ahnen zu können, dass diese Musik noch im selben Jahr zu seiner eigenen Beerdigung gespielt werden würde. Den Trauermarsch, mit dem Mahler seine fünfte Sinfonie einleitet, wird man danach mit anderen Ohren hören.


Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 6.4.11


Henry Purcell
"Funeral Music for Queen Mary"

ca. 20:30 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
"Anders als alle anderen – der Mahler-Enthusiast Hans Wollschläger"
Jens Malte Fischer im Gespräch mit Olaf Wilhelmer

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 5 cis-Moll


RIAS Kammerchor
Berliner Philharmoniker
Leitung: Sir Simon Rattle