Zwischen amerikanischer Pornoindustrie und schwäbischer Alb

Von Gerd Brendel |
Sex vor der Kamera: Das ist vor allem harte Arbeit. Mit seinen Dokumentarfilmen aus dem schwulen Alltag zwischen der amerikanischen Pornoindustrie und der schwäbischen Alb hat sich Jochen Hick einen Namen gemacht. Er lässt die Sexarbeiter mit ihren Träumen und Sorgen zu Wort kommen, ohne aus ihnen voyeuristische Objekte zum machen.
"Wir sind hier in meinem Schneideraum, ist die Schnittanlage mit der die letzten Filme entstanden sind. "

Filme wie "Sex/Life in L.A." oder "Ich kenn keinen – Allein unter Heteros." In einer Schöneberger Hinterhof-Etage bearbeitet ihr Regisseur Jochen Hick die Masterbänder für die geplante DVD- Veröffentlichung. Mit seinen Dokumentarfilmen aus dem schwulen Alltag zwischen der amerikanischen Pornoindustrie und der schwäbischen Alb hat er sich einen Namen gemacht.

"Also ich mache einfach Themen über Sachen, über die es sonst nichts geben würde."

So beschreibt der Filmemacher seine Arbeit selbst. Nach dem Studium an den Filmhochschulen Hamburg und Bologna sammelte Jochen Hick erste Erfahrungen als Kameraassistent beim NDR. Er drehte fürs Privatfernsehen und gründete in den 90er Jahren eine eigene Produktionsfirma. Seinem zweiten Spielfilm, einen Krimi dreht Hick in Los Angeles. Zwei Jahre später kehrt der Regisseur in die Film-Metropole zurück: diesmal als Dokumentarfilmer.

" Mich interessiert immer der soziale Aspekt, dieser Hintergrund von den Leuten, wo sind die Reibungsflächen zur normalen Welt."

"In "Sex/Life in L.A." begleitet der Regisseur Pornodarsteller, Stricher und Gogo-Tänzer durch ihren normalen Alltag zwischen Auftritt, Hotelzimmer und Filmdrehs. Schnell verliert die schillernde schwule Pornowelt dabei ihren Glanz.

Sex vor der Kamera: Das ist vor allem harte Arbeit. Bevor sich der Pornostar Cole Tucker zur Arbeit auszieht, schluckt er fünf Potenzmittel, denn mehr als eine Wiederholung pro Szene sieht das Produktionsbudget nicht vor. Jochen Hick lässt die Sexarbeiter mit ihren Träumen und Sorgen zu Wort kommen, ohne aus ihnen voyeuristische Objekte zum machen.

"Zum Beispiel wo Cole Tucker sich geoutet hat als HIV-positiv, was es vorher nicht so gab, dass das jemand in seiner Karriere gesagt hat. Und kurz darauf wurde der super-berühmt und dann sollte aber auch der Film rauskommen. Da meinte er, vielleicht sollte er das doch nicht tun, würde vielleicht seiner Karriere schaden. Und dann haben ihm auch Leute zugeraten es doch zu tun, ich hätte es allerdings rausgenommen, wenn er darauf bestanden hätte. "

Für sein nächstes Filmprojekt "Ich kenn keinen - Allein unter Heteros" macht sich Jochen Hick auf den Weg von der schwulen Pornohauptstadt in die schwäbische Provinz.

"Schwule auf dem Land: Das sollte ja eigentlich so ein Gegenpol werden zu "Sex/Life in L.A.", zu schwulem Sex in der Großstadt, wo die Leute gar nichts mehr damit zu tun haben, wo sie herkommen, eine so durchorganisierte schwule Szene haben - vom schwulen Arzt zum schwulen Friseur in dieser geschlossenen Welt. Und ich wollte dahin gehen, wo genau das Gegenteil ist. "

Zum schwulen Forstarbeiter Michael zum Beispiel, zu Peter, der mit 30 noch bei seiner Mutter wohnt, oder zu Hartmut, der mit 50 sein Coming Out hat.

"Und ich glaube eine meiner Eigenschaften ist, oder Stärken, ich hoffe, dass es eine Stärke ist, dass etwas Drittes entsteht, oder eine dritte Information, die gar nichts damit zu tun hat, was die Leute in dem Moment proklamieren zu müssen. Was die Leute miteinander reden, ist ja gar nicht so sehr die Aussage, sondern die Hauptaussage ist: Da sitzen Heteros und Schwule an einem Tisch und reden."

In der Dorfkneipe am Anfang von "Allein unter Heteros" redet nur einer:

Filmszene: "Es gibt Mann und Frau und das ist von Gott gewollt. Und was Männer miteinander machen, das finde ich abstoßend."

Immer wieder hakt die Stimme des Regisseurs aus dem Off nach: "Was denn genau so abstoßend sei?" Der alte Mann windet und versucht die Antwort wegzulachen. Die Kamera geht auf Distanz und rückt den Tischnachbarn ins Bild: Es ist Hartmut, sein schwuler Nachbar, der 30 Jahre brauchte, bis er in seinem Dorf offen schwul auftrat. Er schweigt. Eine typische Jochen Hick-Szene. Auch in seinem letzten Film "Cycles of Porn" erzählt die Kamera, mehr als die Protagonisten verraten: Die "Cycles" fangen da an wo "Sex/Life in LA" aufhört: Fünf Jahre nach der Premiere des ersten L.A.-Films hat Hick die Protagonisten von damals wieder besucht.

Nur Cole Tucker hat den erfolgreichen Ausstieg geschafft. Sein Swimming-Pool bleibt der einzige Hinweis auf das süße Luxusleben, dass sich seine Pornokollegen aus Teil Eins ausgemalt hatten. Hicks Kamera begleitet die alten und die neuen Pornostars zu Drehs und Sexpartys. Es gibt wie im ersten Teil viel nackte Haut zu sehen, aber sexy ist das nur in Ausnahmefällen:

"Was mich interessiert, ist Privatleben von Pornomenschen, das pornographische im Privaten. Ich finde es tausendmal spannender als eine pornographische Szene in einem normalen Spielfilm."

Welche intime Situation zwischen Regisseur und Protagonist fällt Jochen Hick sofort ein? Er muss nicht lange überlegen:

"Die Szene mit Tony Ward in 'Sex/Life L.A.': Tony Ward war ja ein ganz berühmtes Model, er war der Lover von Madonna. Ich wollte ihn porträtieren als jemanden, der mal ganz hochgekommen an das Reiche berühmte Hollywood. Und ich sollte eines Morgens zu ihm kommen und da bin ich um 4.00 Uhr früh angekommen und da hat er erst mal meditiert, und dann hat er gesagt, 'jetzt nehme ich normalerweise ein Bad'. Hat er sich in die Badewanne gelegt und dann fing er mit einem Mal zu onanieren. Und ich drehte und drehte und ich hab mich gefragt, was dreh ich denn jetzt? Und mit einem Mal ist er wirklich in der Badewanne gekommen und ich dachte, O mein Gott, was haben wir da gedreht?"

Eine sehr persönliche Szene, die den Zuschauer nicht zum Voyeur macht, sondern eher zum traurigen Komplizen. Einsamer Sex als Entspannungsübung vor dem Frühstück: Das Gefühl kennt schließlich jeder, egal ob auf der schwäbischen Alb oder in Kalifornien.