Zwischen Alltag und Abgrund

Von Bettina Ritter · 15.05.2007
Einem größeren Publikum wurde die Schauspielerin Constanze Becker durch den Dokumentarfilm "Die Spielwütigen" bekannt. Jetzt ist sie am Deutschen Theater in Berlin engagiert und spielt dort die Klytaimnestra in Aischylos' "Orestie" - eine Figur voller Abgründe. Becker selbst ist im Alltag eher gelassen.
Ausschnitt "Die Orestie":
Klytaimnestra: "Ich traf ihn zweimal, zweimal schrie er auf, die Glieder erschlafften und er fiel. Da gab ich ihm den dritten Stoß."

Becker: "Ich glaube, dass das jeder Mensch in sich hat. Jeder Mensch hat Anlagen zum Hass, zur Eifersucht, zum Vernichtungswillen."

Ausschnitt "Die Orestie":
Klytaimnestra (schreit):

"Dies hier ist Agamemnon. Mein Mann. Vielmehr seine Leiche. Mein Meisterstück. So steht es jetzt."

Becker: "Und das - unabhängig von persönlichen Erlebnissen oder Ereignissen - aufzudecken und zu gucken, was das so mit einem macht und vor sich selber dann so ganz überrascht zu stehen und zu sagen, boah, das war ja echt ekelhaft jetzt, sich von sich selber zu überraschen, das ist es, glaube ich, was mich daran reizt."

Constanze Becker - außerhalb des Theaters scheint die 28-Jährige unspektakulär. Schwarze Haare zum Pferdeschwanz, die blasse Haut ungeschminkt, eine Jeansjacke lässig um die Hüften gebunden. So sitzt sie in der Sonne in einem Café vor dem Deutschen Theater. Auf dem Tisch vor sich einen leeren Suppenteller und eine kleine Mineralwasserflasche. Sie kommt gerade von den Proben zur "Orestie". Hier spielt sie die Klytaimnestra, die ihren Mann Agamemnon ersticht, weil er einst ihre Tochter Iphigenie umbrachte.

Ausschnitt "Die Orestie":
Klytaimnestra (schreit fürchterlich):

"Wie ein Stück Vieh hat er sie geopfert. Iphigenie! Mein liebstes Kind, das ich unter dem Herzen trug."

Constanze Beckers Spiel geht unter die Haut. Dramatische Rollen liegen ihr. Mit noch nicht mal 30 Jahren hat sie bereits die Medea und die Elisabeth in Schillers "Maria Stuart" gespielt. Abgründige Menschen, vom Leben gebeutelt, kaputt, so weit wie möglich von ihr selbst weg, sagt sie und lächelt.

Becker: "Es gibt ganz oft Momente, wo ich mir selbst ganz doll leid tu', weil ich denke, Gott, ist das tragisch, was ich hier mache. Und dann muss ich immer innerlich so 'n bisschen über mich lachen, weil man sich selber beim Spielen zuguckt und denkt: Mensch, ist das schön." (lacht)

Aufgewachsen ist Constanze Becker in einem Dorf bei Lübeck. Ihr Vater und ihre ältere Schwester arbeiten als Grafiker, ihre Mutter ist Kunsthistorikerin. Schon früh wusste sie, dass sie Schauspielerin werden wollte.

"Als ich 12 war, war ich das erste Mal im Theater, und da hat's eigentlich bei den ersten Malen gefunkt. Und da hab ich meinen Eltern dann den Entschluss mitgeteilt, dass ich das gerne werden möchte."

Zielstrebig ist sie und ehrgeizig. Etwas anderes als Schauspiel kam für Constanze Becker nicht in Frage. Ihre Eltern hatten nichts dagegen, unterstützten sie. Ihre Mutter fuhr sie zu freien Theatergruppen ins nahe Hamburg. Nach dem Abitur bewarb sie sich an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin.

Ausschnitt "Die Spielwütigen":

"Ich bin Constanze Becker und ich spiele als erstes die Lotte aus 'Jubiläum' von George Tabori und als Lied habe ich vorbereitet die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper von Brecht." (singt: "Und das Schiff mit acht Segeln und mit und mit 50 Kanonen...")

Mit Erfolg. Gleich im ersten Anlauf wird die damals 19-Jährige aufgenommen.

"Die Spielwütigen" - so heißt der Dokumentarfilm von Andres Veiel, in dem Constanze Becker eine der vier Hauptrollen spielt. Der Regisseur begleitete sie sieben Jahre lang, beim Vorsprechen und während der Ausbildung. Der Film zeigt, wie hart der Weg zur Schauspielerei sein kann, wie einige sogar daran scheitern. Für sie trotzdem eine gute Schule, sagt Constanze Becker, für den Beruf wie auch fürs Leben.

"Es ist nicht immer alles mit Streicheln und so, sondern der Beruf ist auch nicht einfach, du musst mit Kritik umgehen, kriegst es auf die Mütze, wirst auch persönlich angegriffen. Damit muss man umgehen lernen. Und deshalb finde ich die Schule eine sehr gute Vorbereitung darauf."

Bei Constanze Becker ging alles glatt. Direkt nach der Schauspielschule bekam sie ein Engagement in Leipzig, danach in Düsseldorf. Vor zwei Jahren wurde sie mit dem Förderpreis für junge Künstler des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt. Seit 2006 ist sie am Deutschen Theater in Berlin. Zum Film oder Fernsehen verirrt sie sich nur selten. Nur "kleines Fernsehzeug" habe sie gemacht, nichts Nennenswertes. Aber ein richtig guter Film, der würde sie schon reizen.

"Na ja, natürlich. 'Nen tollen Kinofilm machen, wer möchte das nicht. Aber so spannend wie das Theater, wo man sich weiterentwickeln kann und wo man wirklich neue Sachen erfinden kann, das gibt's da nicht."

Erstmal wird sie also weiter auf der Bühne stehen. In andere Personen schlüpfen, Erfahrungen machen, die sie sonst nie machen könnte. Außerdem will sie selbst inszenieren. Und bei allem will Constanze Becker ehrlich bleiben.

"Ich hab mir irgendwann zum Credo gemacht, dass ich mir das glauben möchte, was ich da auf der Bühne sage und tue. Und diesen Maßstab setze ich auch an andere an. Wenn mich jemand anlügt, das mag ich nicht."