Zweiter großer Nahostkonflikt
Im Westjordanland herrscht seit Jahren Wasserknappheit. Davon ist überwiegend die palästinensische Bevölkerung betroffen. Rund 200 Gemeinden sind ohne Wasseranschluss, Bohrungen werden durch die israelischen Behörden verwehrt. Nach Informationen von Amnesty International nutzt Israel etwa 80 Prozent des Grundwasserreservoirs unter den Bergen des Westjordanlands und lässt den Palästinensern nur 20 Prozent. Palästinensische Dörfer in der Westbank erkennt man schon von weitem an schwarzen Wassertanks auf den Dächern. Im Unterschied zu den benachbarten israelischen Siedlungen, die stets im üppigen Grün erscheinen und ohne solche Vorratsbehälter auskommen. Klaus Betz ist für die Weltzeit von den Golan-Höhen bis zum Toten Meer dem Verlauf des Jordan gefolgt, um die Folgen des heftigen Wasserstreits für Mensch und Umwelt zu beobachten.
Ein sonniger Vormittag im Westjordanland. Die Luft flimmert über der Fernverkehrsstraße von Jerusalem nach Jericho. Links und rechts liegt ein wenig fruchtbares Land. Es ist eine trockene Halbwüste, durchzogen von Hügel- und Bergketten. Da und dort stehen Beduinenzelte, einzelne Dattelpalmen und an den Hängen weiden kleine Ziegenherden.
Das Bild ändert sich wenig später in der Jordan-Ebene: Fruchtbares Ackerland. Doch der Obst- und Gemüsegarten des palästinensischen Westjordanlandes trocknet zusehends aus.
„Jede palästinensische Gemeinde sieht sich auf unterschiedliche Weise mit Wassermangel und -kürzungen konfrontiert. Im privaten Verbrauch ist das bereits eine Krise. Im landwirtschaftlichen Bereich trifft es die Leute noch schlimmer; sie verlieren ihre Einkommensquellen. Und niemand darf ohne israelische Genehmigung das Grundwasser anzapfen. Im Jordan-Tal haben viele Bauern wegen des Wassermangels ihre Felder im Stich gelassen und verdingen sich nun als billige Tagelöhner in israelischen Siedlungen.“
Am Steuer seines kleinen schwarzen Autos sitzt Nader Al-Khateeb. Der fünfzigjährige Palästinenser ist Direktor der Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth Middle East“ mit Sitz in Bethlehem. Sein Arbeitsgebiet umfasst das von Israel besetzte Westjordanland. Al Khateeb hat in den 90er-Jahren die Palästinensische Wasserbehörde mit aufgebaut und er weiß: In Westjordanland dürfte es gar keinen Wassermangel geben. Die vorhandenen unterirdischen Grundwasserspeicher diesseits und jenseits der israelisch-palästinensischen Bergketten würden ausreichen, die annähernd zehn Millionen Einwohner der Region zu versorgen.
Doch in Auja (Odscha) fährt der Wasserbauingenieur an kilometerlangen, ausgetrockneten Bewässerungskanälen entlang.
Das zu den einst wasserreichsten Gemeinden von Palästina zählende Dorf kennt jedes Schulkind in der Westbank. Die „Quelle von Auja“ – nördlich von Jericho – war früher das Ziel von Wochenendausflügen palästinensischer Familien. 2000 Kubikmeter Wasser sollen hier einst pro Stunde hervorgesprudelt sein, heute ist die Quelle ausgetrocknet und die Felder ringsum sind verödet. Die 5000-Einwohner-Gemeinde ist vom Jordan-Wasser abgeschnitten. Die Uferzone ist militärisches Sperrgebiet und steht unter israelischer Kontrolle.
„Vor zwei Jahren noch war dieses Stück Land hier zur Hälfte mit Bananen bepflanzt. Doch die Bananenstauden verkümmerten, weil es immer weniger Wasser gab. Und jetzt? Alle diese Felder hier sind völlig ausgetrocknet. Solange das Wasser fehlt, lässt sich hier nichts mehr anbauen. Direkt vor uns, das ist der frühere Bewässerungskanal. Nicht einen Tropfen Wasser gibt es da. Wie in einer Wüste. Und dort drüben sieht man noch Bewässerungsrohre, zurückgelassen in den Feldern. Hier wächst nichts mehr, überhaupt nichts.“
Hier spielt Israel seine wasserpolitische Karte, meint Clemens Messerschmid. Der deutsche Hydrogeologe lebt und arbeitet seit zwölf Jahren im palästinensischen Ramallah – circa 70 Kilometer westlich von Auja – und nennt die Wasserkrise eine politisch erzeugte Krise.
„Als die Israelis 1967 im Juni in die Westbank einmarschiert sind, haben die sofort als Erstes alles Wasser unter israelische Verfügungsgewalt gestellt und in die Hände eines Military Commanders gelegt. Man braucht einen Erlaubnisschein für jedes Wasserprojekt und zwar egal, ob es ein Brunnen ist, ‚ne Quellennutzung, ‚ne Ausbesserung von ‚nem Brunnen oder von ‚nem Netzwerk, dem Verlegen von Röhren, dem Bau von Wassertanks und Reservoirs oder sogar Regensammelzisternen.“
Der Hydrogeologe war früher für deutsche Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, arbeitet nun aber als unabhängiger Gutachter und Berater. Clemens Messerschmid beobachtet den schwelenden Wasserkonflikt im Nahen Osten. genau.
„Wasser ist ein leiser Konflikt. Das liegt unter anderem daran, dass unter Wassermangel immer die Ärmsten leiden. Wir haben in der Westbank ‚nen Durchschnittsverbrauch an Haushaltswasser von etwa 50 Litern pro Kopf und Tag. In Deutschland sind wir inzwischen runter auf 126 Liter pro Kopf und Tag. Israel verbraucht 280 Liter pro Kopf und Tag an Trinkwasser, also die verschwenden Wasser in großem Maßstab. Das bedeutet, die Ärmsten, die Schwächsten, die Abgelegenen, die Marginalisierten tragen eigentlich die Hauptlast der Wasserkrise.“
Zurück im Jordantal zeigt sich an Ort und Stelle, was damit gemeint ist. In Sichtweite von Auja liegt die israelische Siedlung Yitav (Jitaf). Sie wirkt wie eine grüne Insel in der Wüste, wie eine Oase. Die dort angepflanzten Bananen, Mangos, Dattelpalmen und bewässerten Gemüsefelder bilden einen scharfen Kontrast zu der ausgetrockneten Umgebung. Im Vorbeifahren zeigt Nader Al-Khateeb auf die Siedlung:
„Natürlich dürfen wir uns dieser Siedlung nicht nähern. Auch die palästinensischen Schäfer dürfen das nicht. Es ist eine ziemlich große Farm; sie wird ständig erweitert und sie gedeiht prächtig – mit palästinensischem Wasser. Ist ein ganz gutes Beispiel für israelischen Diebstahl von palästinensischem Wasser.“
Gespeist werden die Felder dieser und anderer israelischer Siedlungen von einer Pumpstation, die ganz in der Nähe der Quelle von Auja das Grundwasser anzapft. Ob sie für das Versiegen der Quelle verantwortlich ist, ist schwer zu sagen, angesichts der jahrelangen Trockenheit. Andererseits gibt sich Mekorot, so heißt die dafür zuständige israelische Wasserbehörde, derzeit zugeknöpft. Gesprächstermine sind unerwünscht.
Nader Al Kahteeb stoppt an der Pumpstation, steigt aus und geht auf das verschlossene Tor zu:
„Alles ist eingezäunt, niemand kann rein. Wir können nur dem Geräusch der Druckverstärker lauschen. Das Wasser wird mit deren Hilfe an die israelischen Siedlungen gepumpt. Ein kleiner Anteil wird auch nach Auja weitergeleitet, aber das reicht natürlich nicht. Den Löwenanteil erhalten die Siedlungen, während wir Palästinenser lediglich dem Sound dieser Druckverstärker zuhören dürfen. Seit 1967 ist es Palästinensern nicht mehr erlaubt, ohne israelische Genehmigung nach Wasser zu bohren.“
Tatsächlich ist die palästinensische Wasserversorgung seit der 1967 erfolgten Besetzung des Westjordanlandes praktisch eingefroren. Andererseits ist die Zahl der israelischen Siedler dort stetig angestiegen. Gleiches gilt für deren Landbesitz. Alleine im östlichen Teil des Westjordanlandes – im Jordan-Tal – sollen nach palästinensischen Angaben etwa 6000 Siedler über rund 50 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche verfügen – und natürlich auch über ausreichend Wasser. Die palästinensischen Bauern hingegen warten vergeblich darauf.
Dr. Shaddad Attili, Leiter der Palästinensischen Wasserbehörde in Ramallah, kennt das Problem.
„Dieses Jahr habe ich meinen israelischen Kollegen Fotos gezeigt. Darauf sieht man Hunderte von Schafen und Ziegen bei einem ausgetrockneten Teich herum liegen und aufs Wasser warten. Hört mal, sagte ich zu den Israelis, ich will Wasser für die Farmer und für die Schafe und Ziegen. Und sie sagten: OK, aus humanitären Gründen liefern wir das Wasser. Aber nicht für die Menschen, nur für die Schafe und Ziegen. Ehrlich, da bin ich ausgerastet.“
Der Chef der Palästinensischen Wasserbehörde schwankt zwischen Wut und Resignation. Formell gesehen kann er seine Wünsche zwar im israelisch-palästinensischen Wasserkomitee vortragen, aber alle seine Versuche, die Situation auf palästinensischer Seite nachhaltig zu verbessern, sind bislang am Veto Israels gescheitert. Seine Machtlosigkeit ist mit den Händen zu greifen und Shaddad Atilli beschreibt sie auch ohne Umschweife.
„Ich mache hier eigentlich nur Krisenmanagement. Was im Jordan-Tal passiert – ich habe keinen Zugang zu diesem Fluss oder zu seinem Wasser. Mich kann man nicht des Missmanagements bezichtigen; ich habe keinen Damm gebaut, nicht einen. Ich bin nicht derjenige, der den Fluss aufstaut oder das Wasser aus dem See Genezareth herauszieht und wegpumpt. Deshalb sage ich über mich immer: Ich bin der Minister für virtuelles Wasser, weil ich nichts entscheide. Ich bin auch kein Nachbar für die Israelis, ich bin bestenfalls ihr Kunde.“
Im Norden von Israel fließt das Wasser noch. Denn dort liegt der 165 Quadratkilometer große See Genezareth. An dessen Nordufer mündet der obere Jordan, dessen Zuflüsse aus den schnee- und regenreichen Golan-Höhen kommen und aus dem Libanon. Am Südufer des Sees beginnt der untere Jordan, der ins Tote Meer mündet.
Für viele Israelis verkörpert der See Genezareth eine sichere Trinkwasserversorgung. Doch das ist ein Mythos. Einerseits liegt der Wasserspiegel des Gewässers heute schon fünf Meter unterhalb des Normalpegels, andererseits wird dessen Wasser überwiegend für landwirtschaftliche Zwecke verwendet.
Wäre der See Genezareth an seinem Südufer nicht vollständig durch einem Damm abgeriegelt – könnte das Wasser also auf natürliche Weise in das untere Jordan-Tal abfließen –, gerieten Israels Farmer in ähnliche Nöte wie ihre Berufskollegen in der Westbank. Immerhin verbrauchen sie rund 60 Prozent des vorhandenen Wassers in Israel.
Zwei Kilometer vom See Genezareth entfernt: Am Ende eines unscheinbaren Feldwegs steht man vor nichts Geringerem als vor dem Ende des Jordan. Herbeigeführt durch einen aufgeschütteten Damm. Danach wird der sogenannte „biblische Fluss“ zuerst zu einem kläglichen Rinnsal und dann zur stinkenden Kloake.
„Auf der anderen Seite des Damms können wir anschauen, was aus dem Jordan von nun an wird. Wir sehen Auslass-Rohre, aus denen ungeklärte Abwässer hervorquellen. Sie stammen aus der gesamten Region; sie kommen aus Tiberias und allen Dörfern ringsum, inklusive aller Kibbuzim und Moshavim-Siedlungen. Die Abwässer werden da drüben in einem Teich gesammelt und dann in das Flussbett des unteren Jordan eingeleitet.“
Mira Edelstein spielt mit offenen Karten; sie versteckt nichts und beschönigt nichts. Die israelische Projektleiterin von „Friends of the Earth Middle East“ will den Jordan künftig wieder fließen sehen. Am liebsten als rauschenden Fluss, wie früher. Darin ist sie sich mit ihrem palästinensischen Kollegen Nader Al-Katheeb völlig einig. „Let the River Jordan flow“ ist ihr gemeinsames Motto. Doch noch ist das Gegenteil der Fall.
„Wenn wir ein Stück weiter gehen, sehen wir auch noch wie salzhaltiges Wasser aus der Umgebung in das Flussbett gespült wird, zusammen mit den Abwässern. Und das geht weiter so, den ganzen Weg bis hinunter zum Toten Meer. Unterwegs gibt es nicht eine Kläranlage. Im Gegenteil. Je weiter wir nach Süden kommen, um so mehr Abwässer kommen noch hinzu.“
Wer Mira Edelstein bis hier her gefolgt ist, erahnt zum ersten Mal das ökologische Desaster, das sich zwischen dem See Genezareth und dem gut einhundert Kilometer entfernten Toten Meer abspielt. Beobachten oder im Detail überprüfen lässt es sich nicht. Der Grund: Der Jordan wird von Israel als Außengrenze angesehen, ist auf weiten Strecken militärisches Sperrgebiet und mit Minen und Stacheldraht gesichert.
Doch auch die Jordan-Jauche reicht am Ende nicht mehr aus, den seit Jahren fallenden Wasserspiegel im Tote Meer wenigstens zu stabilisieren. Das 420 Meter unterhalb des Meeresspiegels gelegene Gewässer zieht sich derzeit um einen Meter pro Jahr zurück.
„Wir stehen hier an der sogenannten Lido-Kreuzung, auf dem Gelände eines verlassenen jordanischen Restaurants aus den 70er-Jahren. Hier war einstmals der Strand und die Wellen des Toten Meers schwappten bis in diese kleinen Pools hier. Da saßen die Leute wohl, haben gegessen und dabei ihre Füße im Wasser baumeln lassen. Warum das alles schon lange nicht mehr funktioniert, sieht man ja – weit, weit da draußen: Die Wasseroberfläche zieht sich zurück, das Tote Meer ist am schrumpfen, das kann man kaum noch attraktiv nennen.“
Tatsächlich ist die Oberfläche des Toten Meers an dieser Stelle fast einen Kilometer vom Ufer entfernt und mit dem bloßen Auge kaum auszumachen. Wo früher einmal Wasser war, gibt es nur noch ausgetrockneten Schlamm. Und die israelischen Hotels bekommen immer mehr Probleme. Sie können nicht länger behaupten, sie lägen am Toten Meer. Im günstigsten Fall sind sie heute schon zweihundert Meter von der Wasseroberfläche entfernt.
„Früher flossen drei Milliarden Kubikmeter Jordan-Wasser in das Tote Meer. Jährlich. Heute kommen über dessen Mündung allenfalls noch fünf Prozent der früheren Wassermassen an. Der ganze übrige Rest wird lange vorher schon entnommen, umgeleitet oder abgepumpt. Das ist einer der wichtigsten Gründe weshalb das Tote Meer allmählich verschwindet. Und es ist eine wirklich große Katastrophe.“
Das Bild ändert sich wenig später in der Jordan-Ebene: Fruchtbares Ackerland. Doch der Obst- und Gemüsegarten des palästinensischen Westjordanlandes trocknet zusehends aus.
„Jede palästinensische Gemeinde sieht sich auf unterschiedliche Weise mit Wassermangel und -kürzungen konfrontiert. Im privaten Verbrauch ist das bereits eine Krise. Im landwirtschaftlichen Bereich trifft es die Leute noch schlimmer; sie verlieren ihre Einkommensquellen. Und niemand darf ohne israelische Genehmigung das Grundwasser anzapfen. Im Jordan-Tal haben viele Bauern wegen des Wassermangels ihre Felder im Stich gelassen und verdingen sich nun als billige Tagelöhner in israelischen Siedlungen.“
Am Steuer seines kleinen schwarzen Autos sitzt Nader Al-Khateeb. Der fünfzigjährige Palästinenser ist Direktor der Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth Middle East“ mit Sitz in Bethlehem. Sein Arbeitsgebiet umfasst das von Israel besetzte Westjordanland. Al Khateeb hat in den 90er-Jahren die Palästinensische Wasserbehörde mit aufgebaut und er weiß: In Westjordanland dürfte es gar keinen Wassermangel geben. Die vorhandenen unterirdischen Grundwasserspeicher diesseits und jenseits der israelisch-palästinensischen Bergketten würden ausreichen, die annähernd zehn Millionen Einwohner der Region zu versorgen.
Doch in Auja (Odscha) fährt der Wasserbauingenieur an kilometerlangen, ausgetrockneten Bewässerungskanälen entlang.
Das zu den einst wasserreichsten Gemeinden von Palästina zählende Dorf kennt jedes Schulkind in der Westbank. Die „Quelle von Auja“ – nördlich von Jericho – war früher das Ziel von Wochenendausflügen palästinensischer Familien. 2000 Kubikmeter Wasser sollen hier einst pro Stunde hervorgesprudelt sein, heute ist die Quelle ausgetrocknet und die Felder ringsum sind verödet. Die 5000-Einwohner-Gemeinde ist vom Jordan-Wasser abgeschnitten. Die Uferzone ist militärisches Sperrgebiet und steht unter israelischer Kontrolle.
„Vor zwei Jahren noch war dieses Stück Land hier zur Hälfte mit Bananen bepflanzt. Doch die Bananenstauden verkümmerten, weil es immer weniger Wasser gab. Und jetzt? Alle diese Felder hier sind völlig ausgetrocknet. Solange das Wasser fehlt, lässt sich hier nichts mehr anbauen. Direkt vor uns, das ist der frühere Bewässerungskanal. Nicht einen Tropfen Wasser gibt es da. Wie in einer Wüste. Und dort drüben sieht man noch Bewässerungsrohre, zurückgelassen in den Feldern. Hier wächst nichts mehr, überhaupt nichts.“
Hier spielt Israel seine wasserpolitische Karte, meint Clemens Messerschmid. Der deutsche Hydrogeologe lebt und arbeitet seit zwölf Jahren im palästinensischen Ramallah – circa 70 Kilometer westlich von Auja – und nennt die Wasserkrise eine politisch erzeugte Krise.
„Als die Israelis 1967 im Juni in die Westbank einmarschiert sind, haben die sofort als Erstes alles Wasser unter israelische Verfügungsgewalt gestellt und in die Hände eines Military Commanders gelegt. Man braucht einen Erlaubnisschein für jedes Wasserprojekt und zwar egal, ob es ein Brunnen ist, ‚ne Quellennutzung, ‚ne Ausbesserung von ‚nem Brunnen oder von ‚nem Netzwerk, dem Verlegen von Röhren, dem Bau von Wassertanks und Reservoirs oder sogar Regensammelzisternen.“
Der Hydrogeologe war früher für deutsche Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, arbeitet nun aber als unabhängiger Gutachter und Berater. Clemens Messerschmid beobachtet den schwelenden Wasserkonflikt im Nahen Osten. genau.
„Wasser ist ein leiser Konflikt. Das liegt unter anderem daran, dass unter Wassermangel immer die Ärmsten leiden. Wir haben in der Westbank ‚nen Durchschnittsverbrauch an Haushaltswasser von etwa 50 Litern pro Kopf und Tag. In Deutschland sind wir inzwischen runter auf 126 Liter pro Kopf und Tag. Israel verbraucht 280 Liter pro Kopf und Tag an Trinkwasser, also die verschwenden Wasser in großem Maßstab. Das bedeutet, die Ärmsten, die Schwächsten, die Abgelegenen, die Marginalisierten tragen eigentlich die Hauptlast der Wasserkrise.“
Zurück im Jordantal zeigt sich an Ort und Stelle, was damit gemeint ist. In Sichtweite von Auja liegt die israelische Siedlung Yitav (Jitaf). Sie wirkt wie eine grüne Insel in der Wüste, wie eine Oase. Die dort angepflanzten Bananen, Mangos, Dattelpalmen und bewässerten Gemüsefelder bilden einen scharfen Kontrast zu der ausgetrockneten Umgebung. Im Vorbeifahren zeigt Nader Al-Khateeb auf die Siedlung:
„Natürlich dürfen wir uns dieser Siedlung nicht nähern. Auch die palästinensischen Schäfer dürfen das nicht. Es ist eine ziemlich große Farm; sie wird ständig erweitert und sie gedeiht prächtig – mit palästinensischem Wasser. Ist ein ganz gutes Beispiel für israelischen Diebstahl von palästinensischem Wasser.“
Gespeist werden die Felder dieser und anderer israelischer Siedlungen von einer Pumpstation, die ganz in der Nähe der Quelle von Auja das Grundwasser anzapft. Ob sie für das Versiegen der Quelle verantwortlich ist, ist schwer zu sagen, angesichts der jahrelangen Trockenheit. Andererseits gibt sich Mekorot, so heißt die dafür zuständige israelische Wasserbehörde, derzeit zugeknöpft. Gesprächstermine sind unerwünscht.
Nader Al Kahteeb stoppt an der Pumpstation, steigt aus und geht auf das verschlossene Tor zu:
„Alles ist eingezäunt, niemand kann rein. Wir können nur dem Geräusch der Druckverstärker lauschen. Das Wasser wird mit deren Hilfe an die israelischen Siedlungen gepumpt. Ein kleiner Anteil wird auch nach Auja weitergeleitet, aber das reicht natürlich nicht. Den Löwenanteil erhalten die Siedlungen, während wir Palästinenser lediglich dem Sound dieser Druckverstärker zuhören dürfen. Seit 1967 ist es Palästinensern nicht mehr erlaubt, ohne israelische Genehmigung nach Wasser zu bohren.“
Tatsächlich ist die palästinensische Wasserversorgung seit der 1967 erfolgten Besetzung des Westjordanlandes praktisch eingefroren. Andererseits ist die Zahl der israelischen Siedler dort stetig angestiegen. Gleiches gilt für deren Landbesitz. Alleine im östlichen Teil des Westjordanlandes – im Jordan-Tal – sollen nach palästinensischen Angaben etwa 6000 Siedler über rund 50 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche verfügen – und natürlich auch über ausreichend Wasser. Die palästinensischen Bauern hingegen warten vergeblich darauf.
Dr. Shaddad Attili, Leiter der Palästinensischen Wasserbehörde in Ramallah, kennt das Problem.
„Dieses Jahr habe ich meinen israelischen Kollegen Fotos gezeigt. Darauf sieht man Hunderte von Schafen und Ziegen bei einem ausgetrockneten Teich herum liegen und aufs Wasser warten. Hört mal, sagte ich zu den Israelis, ich will Wasser für die Farmer und für die Schafe und Ziegen. Und sie sagten: OK, aus humanitären Gründen liefern wir das Wasser. Aber nicht für die Menschen, nur für die Schafe und Ziegen. Ehrlich, da bin ich ausgerastet.“
Der Chef der Palästinensischen Wasserbehörde schwankt zwischen Wut und Resignation. Formell gesehen kann er seine Wünsche zwar im israelisch-palästinensischen Wasserkomitee vortragen, aber alle seine Versuche, die Situation auf palästinensischer Seite nachhaltig zu verbessern, sind bislang am Veto Israels gescheitert. Seine Machtlosigkeit ist mit den Händen zu greifen und Shaddad Atilli beschreibt sie auch ohne Umschweife.
„Ich mache hier eigentlich nur Krisenmanagement. Was im Jordan-Tal passiert – ich habe keinen Zugang zu diesem Fluss oder zu seinem Wasser. Mich kann man nicht des Missmanagements bezichtigen; ich habe keinen Damm gebaut, nicht einen. Ich bin nicht derjenige, der den Fluss aufstaut oder das Wasser aus dem See Genezareth herauszieht und wegpumpt. Deshalb sage ich über mich immer: Ich bin der Minister für virtuelles Wasser, weil ich nichts entscheide. Ich bin auch kein Nachbar für die Israelis, ich bin bestenfalls ihr Kunde.“
Im Norden von Israel fließt das Wasser noch. Denn dort liegt der 165 Quadratkilometer große See Genezareth. An dessen Nordufer mündet der obere Jordan, dessen Zuflüsse aus den schnee- und regenreichen Golan-Höhen kommen und aus dem Libanon. Am Südufer des Sees beginnt der untere Jordan, der ins Tote Meer mündet.
Für viele Israelis verkörpert der See Genezareth eine sichere Trinkwasserversorgung. Doch das ist ein Mythos. Einerseits liegt der Wasserspiegel des Gewässers heute schon fünf Meter unterhalb des Normalpegels, andererseits wird dessen Wasser überwiegend für landwirtschaftliche Zwecke verwendet.
Wäre der See Genezareth an seinem Südufer nicht vollständig durch einem Damm abgeriegelt – könnte das Wasser also auf natürliche Weise in das untere Jordan-Tal abfließen –, gerieten Israels Farmer in ähnliche Nöte wie ihre Berufskollegen in der Westbank. Immerhin verbrauchen sie rund 60 Prozent des vorhandenen Wassers in Israel.
Zwei Kilometer vom See Genezareth entfernt: Am Ende eines unscheinbaren Feldwegs steht man vor nichts Geringerem als vor dem Ende des Jordan. Herbeigeführt durch einen aufgeschütteten Damm. Danach wird der sogenannte „biblische Fluss“ zuerst zu einem kläglichen Rinnsal und dann zur stinkenden Kloake.
„Auf der anderen Seite des Damms können wir anschauen, was aus dem Jordan von nun an wird. Wir sehen Auslass-Rohre, aus denen ungeklärte Abwässer hervorquellen. Sie stammen aus der gesamten Region; sie kommen aus Tiberias und allen Dörfern ringsum, inklusive aller Kibbuzim und Moshavim-Siedlungen. Die Abwässer werden da drüben in einem Teich gesammelt und dann in das Flussbett des unteren Jordan eingeleitet.“
Mira Edelstein spielt mit offenen Karten; sie versteckt nichts und beschönigt nichts. Die israelische Projektleiterin von „Friends of the Earth Middle East“ will den Jordan künftig wieder fließen sehen. Am liebsten als rauschenden Fluss, wie früher. Darin ist sie sich mit ihrem palästinensischen Kollegen Nader Al-Katheeb völlig einig. „Let the River Jordan flow“ ist ihr gemeinsames Motto. Doch noch ist das Gegenteil der Fall.
„Wenn wir ein Stück weiter gehen, sehen wir auch noch wie salzhaltiges Wasser aus der Umgebung in das Flussbett gespült wird, zusammen mit den Abwässern. Und das geht weiter so, den ganzen Weg bis hinunter zum Toten Meer. Unterwegs gibt es nicht eine Kläranlage. Im Gegenteil. Je weiter wir nach Süden kommen, um so mehr Abwässer kommen noch hinzu.“
Wer Mira Edelstein bis hier her gefolgt ist, erahnt zum ersten Mal das ökologische Desaster, das sich zwischen dem See Genezareth und dem gut einhundert Kilometer entfernten Toten Meer abspielt. Beobachten oder im Detail überprüfen lässt es sich nicht. Der Grund: Der Jordan wird von Israel als Außengrenze angesehen, ist auf weiten Strecken militärisches Sperrgebiet und mit Minen und Stacheldraht gesichert.
Doch auch die Jordan-Jauche reicht am Ende nicht mehr aus, den seit Jahren fallenden Wasserspiegel im Tote Meer wenigstens zu stabilisieren. Das 420 Meter unterhalb des Meeresspiegels gelegene Gewässer zieht sich derzeit um einen Meter pro Jahr zurück.
„Wir stehen hier an der sogenannten Lido-Kreuzung, auf dem Gelände eines verlassenen jordanischen Restaurants aus den 70er-Jahren. Hier war einstmals der Strand und die Wellen des Toten Meers schwappten bis in diese kleinen Pools hier. Da saßen die Leute wohl, haben gegessen und dabei ihre Füße im Wasser baumeln lassen. Warum das alles schon lange nicht mehr funktioniert, sieht man ja – weit, weit da draußen: Die Wasseroberfläche zieht sich zurück, das Tote Meer ist am schrumpfen, das kann man kaum noch attraktiv nennen.“
Tatsächlich ist die Oberfläche des Toten Meers an dieser Stelle fast einen Kilometer vom Ufer entfernt und mit dem bloßen Auge kaum auszumachen. Wo früher einmal Wasser war, gibt es nur noch ausgetrockneten Schlamm. Und die israelischen Hotels bekommen immer mehr Probleme. Sie können nicht länger behaupten, sie lägen am Toten Meer. Im günstigsten Fall sind sie heute schon zweihundert Meter von der Wasseroberfläche entfernt.
„Früher flossen drei Milliarden Kubikmeter Jordan-Wasser in das Tote Meer. Jährlich. Heute kommen über dessen Mündung allenfalls noch fünf Prozent der früheren Wassermassen an. Der ganze übrige Rest wird lange vorher schon entnommen, umgeleitet oder abgepumpt. Das ist einer der wichtigsten Gründe weshalb das Tote Meer allmählich verschwindet. Und es ist eine wirklich große Katastrophe.“

Am Alimod-Damm/See Genezareth: Der Jordan wird mit Abwässern vollgepumpt© Klaus Betz

Warnung vor dem Jordan-Wasser: Nicht Betreten, nicht trinken.© Klaus Betz