Zweiter Bildungsweg

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Vorlesung an der Universität Münster
Ein Studium ist auch für "höhere Semester" ratsam, um im Beruf neue Wege zu gehen. © dpa / picture alliance / Friso Gentsch
Von Gerhard Richter  · 21.11.2013
Noch mal studieren: Seit fünf Jahren gibt es das sogenannte Aufstiegsstipendium für Menschen, die mitten im Beruf stehen, aber noch mal was Neues beginnen wollen. 5000 solcher Stipendien wurden bereits vergeben.
Es ist neun Uhr morgens bei Ritters zu Hause, aus der Kaffeemaschine zischt ein weiterer Cappuccino, es duftet nach Brötchen. Die ersten Ferien für Johanna Ritter, in ihrem neuen Beruf als Grundschullehrerin. Davor war sie Erzieherin in einer Kita.
"Man spürt ja in sich, da ist noch irgendwas, so und ich hab dann schwer nachgedacht, was ist es denn?"
Ihr Mann Stephan Ritter schäumt die Milch auf, stellt seiner Frau den fertigen Cappuccino auf den Frühstückstisch. Er selbst arbeitet als selbstständiger Architekt. Dass seine Frau beruflich einmal mehr will, als in der Kita zu arbeiten, war ihm schon lange klar:
"Ich hab immer gesagt: Wenn der Punkt kommt, dass sich das ergibt, dann werden wir einen Weg finden, womit wir das irgendwie schaffen. Wir müssen das Wagnis eingehen. Und wenn es nicht anders geht, dann fragen wir nach BAföG."
Entspannt und stolz
Johanna Ritter rührt in ihrer Kaffeetasse, die 46-Jährige mit den kurzen dunkelblonden Haaren wirkt entspannt und stolz auf sich und ihre Entscheidung noch ein Lehramts-Studium zu beginnen - für Deutsch und Musik:
"Musiklehrer fehlen und ich kann Musik, und jetzt mach ich das. Und ich hab das überlegt und ich hab auch kein Abitur. Und hab dann die Gesetze gelesen, dass es einen Paragrafen gibt, der es Menschen zulässt, die nicht Abitur gemacht haben zu studieren."
Stephan Ritter muss zur Arbeit und räumt den Frühstückstisch ab. Johanna hat noch Zeit, die beiden schulpflichtigen Kinder schlafen noch, und die frisch gebackene Referendarin hat ebenfalls Ferien. Das Stipendium, mit dem sie ihr Studium finanziert hat, muss sie nicht zurückzahlen:
"Das ist wie ein Geschenk. Weil man ja weiß, man muss sich jetzt in dieser Studienzeit keine Sorgen machen, was ist hinterher, da ist ja.. man kriegt das wirklich geschenkt."
750 Euro im Monat hat das Ministerium für Forschung und Bildung jeden Monat bezahlt. Fünf Jahre lang. Johanna Ritter geht in ihr Arbeitszimmer, ein rundum verglaster Balkon, mit Schreibtisch und Klavier. Hier hat die zweifache Mutter ihr Studium zielstrebig durchgezogen:
"Also ich bin morgens aufgestanden, die Kinder sind in die Schule gegangen und ich hab Klavier geübt oder an meinen Hausarbeiten gearbeitet, oder was auch immer zu tun war, und hab dann versucht am Nachmittag, wenn ich aus der Uni kam, auch hier zu Hause zu sein und für die Kinder da zu sein."
20 Millionen Euro hat das Ministerium ausgegeben
Sie spielt ein paar Takte auf dem Klavier. 5000 Stipendien hat das Bundesministerium für Forschung und Bildung in den letzten fünf Jahren vergeben, Voraussetzung: die Bewerber müssen sich im Beruf bewährt haben und zielstrebig sein. Das Auswahlverfahren besteht aus zwei Fragebögen und einem persönlichen Gespräch. 20 Millionen Euro hat das Ministerium ausgegeben, damit gestandene Kaufmänner noch mal Betriebswirtschaft studieren, oder erfahrene Steinmetze ein Studium der Restaurierung und Grabungstechnik absolvieren können.
Auch Johanna Ritter hat ihren Abschluss in der Tasche - den Master of Education, Durchschnittsnote 2,0. Heute will sie den freien Tag nutzen und die Kita besuchen, in der sie früher gearbeitet hat. Sie nimmt sich Mantel, Schal und Autoschlüssel und fährt die paar Kilometer zur Kita des Johannischen Sozialwerks.
In ihren letzten Berufsjahren kamen immer jüngere Kinder in den Kindergarten, erzählt sie, die Kita wurde mehr und mehr zur Krippe für die Kleinsten:
"Mit dieser Betreuung der Krippenkinder wurden die Tätigkeiten auch anders, das Bild hat sich verändert, also wurden viel mehr pflegerische Tätigkeiten, wickeln füttern, ja und ähm ... und das fand ich auf Dauer für mich ... schwierig, weil ich gedacht habe, ne, ich hab mir eigentlich vorgestellt, anders zu arbeiten."
Neugierig und gespannt betritt Johanna Ritter die vertrauten Räume. 20 Stunden die Woche hat sie hier gearbeitet für 734 Euro. Ganz herzlich wird sie von ihrer früheren Kollegin Angelika Steffen begrüßt, 23 Jahre haben sie als Team zusammen gearbeitet, jetzt zeigt ihr Angelika Steffen, was sich verändert hat, seit sie weg ist:
"Früher war das so beengt, da waren die Tische hier in diesem einen Raum, und Johanna und ich wir hatten da die kleineren der Elementarkinder zusammen, da war es sehr eng, und wickeln war eine Katastrophe, jetzt haben wir es alles herrlich, wie im Himmel."
Johanna Ritter: "Jetzt wo ich nicht mehr da bin."
Bis zur Rente durchzuhalten
Etwas wehmütig schaut Angelika Steffen ihre frühere Kollegin an. Johanna Ritters Kündigung war ein Schock für sie:
"Mein Gesicht na? Total bleich, entgleist. Damit hab ich nicht gerechnet, ich hab gedacht wir machen bis zur Rente - also bis ich auf Rente geh, gemeinsam weiter ..."
Johanna Ritter hebt entschuldigend die Arme. Als Grundschullehrerin arbeitet sie jetzt mit Fünf- bis Zehnjährigen.
Schon eine Woche später ist sie in ihrer Grundschule und packt das Material für die nächste Deutschstunde in ihre braune Ledertasche. Klasse 2b, Wörter zusammensetzen.
"Und da zaubern wir, indem wir Papierstreifen an die Tafeln heften wo "Geruch" drauf steht und "Sinn" und dann muss man ja ein Fugenmorphem einfügen, nämlich dieses "S" und das wird dann hervor geklappt und die Schüler können das dann sehen."
940 Euro bekommt Johanna Ritter jetzt als Referendarin, wie viel sie später als Lehrerin verdient, weiß sie nicht genau. Die Papierstreifen hat sie in Folie laminiert, damit sie lange halten. Genau wie ihr neuer Beruf:
"Ja ich kann mir das vorstellen, bis zur Rente durchzuhalten."
Sie schaut auf die Uhr, nimmt ihre Tasche und geht ins Klassenzimmer.