Zweite Amtszeit für Rohani

Ein Kleriker als Hoffnungsträger für junge Iraner

Eine iranische Frau läuft an Wahlplakaten von Irans Präsident Hassan Rohani vorbei
Eine Frau läuft an Wahlplakaten des wiedergewählten Präsidenten Hassan Rohani vorbei. © AFP / Atta Kenare
Von Reinhard Baumgarten · 20.05.2017
Bei allen Mängeln und Versäumnissen: Hassan Rohani ist gegenwärtig der bestmögliche iranische Präsident, kommentiert Reinhard Baumgarten. Seine Wiederwahl mache deutlich, dass gerade junge Frauen und Männer im Iran beharrlich auf Veränderung setzten.
Angesichts der geltenden Herrschaftsverhältnisse ist es leicht, den Urnengang im Iran als ein gut inszeniertes Stück Scheindemokratie abzutun. Und es ist durchaus angemessen darauf hinzuweisen, dass nur handverlesene Kandidaten antreten durften. Mehr als 1600 Personen – darunter 137 Frauen – hatten sich um die Kandidatur beworben. Zwölf alte Männer befanden sechs ältere Herren für geeignet, ins Rennen gehen zu dürfen.
Die Islamische Republik Iran wird von westlichen Medien gerne als Gottesstaat oder Theokratie bezeichnet. Beides trifft es nicht. Die Islamische Republik ist eine Gerontokratie. Alte Männer und Greise mit überkommenem Weltbild herrschen über eine Bevölkerung, deren Durchschnittsalter bei 29 Jahren liegt. In dieser Situation wird ein 68-jähriger Kleriker zum Hoffnungsträger gerade für junge Menschen.

Seit 38 Jahren im Dienst der Herrschenden

Hassan Rohani ist durch und durch ein Gewächs des Regimes. Seit 38 Jahren steht er im Dienst der Herrschenden. Er ist kein Konterrevolutionär, er will die Islamische Republik nicht abschaffen. Er will sie reformieren, er will sie umbauen. Er verspricht mehr Freiheit in Lehre und Forschung, mehr Bürgerrechte, mehr Austausch mit der Welt, mehr Gleichberechtigung, mehr Jobs. Er verspricht viel mehr, als er halten kann. Vieles musste er in den ersten vier Jahren als Präsident schuldig bleiben. Er verfügt nur über eine überschaubare Machtfülle. Seine Wähler wissen das.
Warum also wird der Mann wieder gewählt? Warum gehen 73 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt zur Wahl? Weil sie hoffen! Sie hoffen, dass sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem Land durch Beharrlichkeit ändern lassen. Staatsbedienstete und Nutznießer müssen wählen gehen, wenn sie weiterhin von den Gaben des Regimes leben wollen.
Aber die vielen Millionen junge Frauen und Männer, die stundenlang auf der Straße darauf gewartet haben, ihre Stimme abgeben zu können – sie müssen nicht wählen gehen. Sie gehen wählen, weil sie beharrlich auf Änderung setzen. Sie tragen mehr demokratischen Willen und Bereitschaft in sich, als viele Menschen in den EU-Staaten, die von Politikverdrossenheit reden und ihre Freiheit zu wählen, zu demonstrieren, ihre Meinung zu sagen sowie ihren Zugang zu Bildung und Wissen nicht mehr wirklich zu schätzen wissen.

Die zu bohrenden Bretter sind dick

Hassan Rohani muss in seiner zweiten Amtszeit liefern. Er wird lange und starke Bohrer und viel Kraft brauchen, um die vor ihm liegenden dicken Bretter zu bohren. Der erzkonservative Kandidat Ebrahim Raisi wird nicht neuer Präsident. Hinter Raisi standen all jene Kräfte, die sich angeblich der Revolution verpflichtet fühlen, längst aber zu Reaktionären in eigener Sache geworden sind, für die die Islamische Republik zum Selbstbedienungsladen geworden ist.
Hassan Rohani ist bei allen Mängeln und Versäumnissen gegenwärtig der bestmögliche Präsident Irans. Bessere mögen folgen, wenn er einen Teil seiner Versprechungen einlösen kann.
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