Zweifel an jüngster Machtverschiebung in Ägypten

Heba Ahmed im Gespräch mit Nana Brink · 14.08.2012
Die ägyptische Aktivistin Heba Ahmed setzt unverändert auf die Kraft der Demokratiebewegung in ihrer Heimat. Die Lage in Ägypten sei jedoch sehr schwierig, die Widerstandsbewegung müsse an sehr vielen Fronten arbeiten. Eine davon: die Muslimbrüder.
Nana Brink: Man kann es als Schachzug bezeichnen, auch wenn nicht klar ist, welche Absprachen da im Hintergrund gelaufen sind. Die überraschende Absetzung von Ägyptens Chef des Militärrates, Tantawi durch Präsident Mursi hat im Land selbst hohe Wellen geschlagen. Aber was bedeutet das? Greift der Präsident, ein bekennender Muslimbruder, auch wenn er ja die Mitgliedschaft offiziell aufgegeben hat, nach der ganzen Macht? Beendet er die Macht der Militärs oder beginnt nun die Macht der Muslimbrüder? Eine, die die Revolution und auch die Zeit danach aus nächster Nähe miterlebt hat, ist die ägyptische Studentin Heba Ahmed. Sie ist Aktivistin der Organisation für Menschenrechte in den Arabischen Staaten. Schönen guten Tag, Frau Ahmed!

Heba Ahmed: Guten Tag!

Brink: Welchen Schluss ziehen Sie aus diesen Ergebnissen, ist das in Ihrem Sinne, also auch im Sinne der jungen Generation, die ja diese Revolution entscheidend mitgetragen hat?

Ahmed: Ich war ziemlich überrascht von der Entscheidung, und ich halte nicht sehr viel davon. Also ich glaube, es gibt wahrscheinlich sehr viele Gespräche, die im Hintergrund gelaufen sind, und ich glaube, dass die leider nicht sehr viel Demokratisierungspotenzial oder -hoffnung sozusagen vorhersieht.

Brink: Sie haben ja bestimmt sehr viel telefoniert auch, auch mit Ägypten. Wie wird denn das diskutiert, also gerade auch unter den Studenten? Was hören Sie?

Ahmed: Ich höre sehr unterschiedliche Stimmen, also es gibt euphorische Stimmen, die sagen, Mursi würde jetzt revolutionäre Entscheidungen treffen. Andererseits gibt es aber eine ernüchternde Stimmung unter vielen Menschen, die der Meinung sind, das sind nur Scheinentscheidungen, aber die strukturelle Macht des Militärs bleibt trotzdem erhalten. Also ich glaube, dass es vielleicht für die Glaubwürdigkeit des Präsidenten sehr wichtig gewesen, so zu tun, als hätte er mehr Befugnisse. Aber das entspricht nicht der Realität und auch nicht der Zukunft, die man erwartet.

Brink: Bedeutet das für Sie denn eine Entmachtung des Militärs, das haben Sie ja auch immer gefordert, also gerade die jungen Leute haben das ja gefordert.

Ahmed: Genau. Aber das sollte auch passieren, also das fordern wir immer noch, aber eben halt strukturell, und nicht einfach nur irgendwelche Personenwechsel. Das Militär hat eine sehr wichtige Rolle, aber auch übertriebene Vorrechte in Ägypten. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass die die Wirtschaftsstruktur extrem beeinträchtigen und das Land sozusagen von dem Militär abhängig machen.

Brink: Aber da müssten Sie ja doch im Zweifel sein, denn wir wissen ja, dass Mursi auch einen umstrittenen Verfassungszusatz aufgehoben hat, der ja dem Militärrat noch auch zum Beispiel ein Veto bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung zubilligen sollte. Das hat er jetzt an sich gezogen. Damit hat er ja fast mehr Macht noch als Mubarak. Stimmt Sie das nicht zweiflerisch?

Ahmed: Es gibt viele Gerüchte oder Zweifel, dass diese ganzen Entscheidungen, die Mursi in den letzten Tagen gesprochen hat, verfassungswidrig sind. Seine Befugnisse als Präsident sind ja nicht definiert. Und von daher ist diese Machtverschiebung nicht eine, die durch demokratische Prinzipien gerechtfertigt ist. Also das heißt, es besteht die Gefahr, dass Mursi mit seinen guten Taten sozusagen schlechte Ziele erreicht oder keine Demokratisierungsprozesse fördert. Und das ist halt das Problem bei solchen Entscheidungen und deshalb warne ich immer davor, nicht schnell euphorisch zu sein, weil es eben undemokratisch ist, was er gemacht hat. Es war im Sinne der Revolution, aber es war nur ein Schein, sozusagen.

Brink: Sehen Sie denn, dass es Korrektive gibt, also jemanden, der ihn vielleicht aufhalten kann bei diesem Weg, steuern kann, Einhalt gebieten kann, oder fürchten Sie, dass es vielleicht sogar einen Durchmarsch der Muslimbrüder gibt?

Ahmed: Also ich muss zugeben, dass ich in der Demokratiebewegung sehr viel Potenzial noch sehe und die Möglichkeit noch sehe, Entscheidungen zu korrigieren oder abzuhalten. Aber ich muss gestehen, dass die Muslimbrüder - also das ist natürlich eine sehr starke Organisation und hat sehr viele Anhänger und es ist sehr schwierig gerade. Also die Widerstandsbewegung arbeitet an sehr vielen Fronten, und es gibt eben sehr viele Probleme und sehr viele neue Herausforderungen für die Widerstandsbewegung, und die Muslimbrüder und ihre Politik ist eine davon.

Also Mursi ist nicht ein unabhängiger Präsident, sondern er ist, auch wenn er jetzt nicht offiziell Mitglied der Muslimbrüder ist, aber er ist geprägt und wird weiterhin in seinen Entscheidungen von den Muslimbrüdern geprägt. Und die scheinen auch eigene Interessen zu verfolgen und nicht wirklich revolutionär oder revolutionstreu zu sein. Sie waren ja auch nicht diejenigen, die als erste auf die Straße gegangen sind, und so wird es auch weitergehen. Es ist ein Machtkampf, und wenn sie an der Macht sind, dann werden sie weiterhin opportunistisch versuchen, an der Macht zu bleiben und andere Kräfte davon abzuhalten.

Brink: Sehen Sie denn, dass es so etwas wie eine unabhängige Presse schon gibt, die Sie ja in diesen Demokratiebewegungen unterstützen könnte?

Ahmed: Die Presse hat sich sehr stark entwickelt in den letzten Monaten oder im letzten Jahr, kann man sagen. Es gibt sehr viele Repressionsversuche des Regimes - ich rede vom Regime, weil es für mich keinen richtigen Wechsel gab - es gab auch einen Versuch, so eine Art Aufpasser sozusagen in jeder Redaktion anzusiedeln, und die Presse konnte sich sehr gut dagegen wehren. Mittlerweile sind viele Redaktionschefs gewechselt worden mit Muslimbrüder-nahem Personal. Was sehr gefährlich ist. Wir haben ja nicht Mubarak abgesetzt, damit wir eine neue Ära von Diktatur anfangen. Und leider ist die Pressefreiheit gefährdet.

Brink: Das führt mich auch in der Beziehung zu der Frage, wie geht es denn Ihnen als Frau dort? Hat sich da etwas zurückgedreht oder nach vorne bewegt?

Ahmed: Sehr viele Frauen haben ihre Stimme erhoben in Ägypten. Wir haben eine sehr starke Frauenbewegung, auch getragen von sehr vielen verschiedenen Organisationen, wir haben kein Monopol, und das finde ich ganz wichtig für die Vielfalt. Also ich bin gestärkt von dieser Bewegung, und ich kann nur sagen, dass ich immer gut auf meine Rechte zeigen kann. Es gibt natürlich Menschen, die können das nicht.

Man muss sagen, die sexuelle Belästigung auf der Straße hat sich in den letzten Monaten unglaublich gestärkt. Man weiß nicht, ob es früher weniger Fälle von sexueller Belästigung gab. Jedenfalls gibt es viele Berichte von Vergewaltigungen, von sexueller Belästigung in der Tram oder in der Metro, und das scheint wirklich ein Riesenproblem zu sein.

Brink: Was mich zu der abschließenden Frage führt: Ich kann ja Ihrer Antwort dann entnehmen, dass diese Bewegung Sie gestärkt hat. Sie werden sich also nicht enttäuscht zurückziehen? Was werden Sie machen?

Ahmed: Man ist natürlich ernüchtert, wenn man solche, wenn man denkt, es sind jetzt wie viele Monate vergangen, und wir haben nicht so viele Schritte nach vorne geschafft. Aber ich werde mich nicht zurückziehen und es werden sich sehr viele Leute nicht zurückziehen, weil wichtig ist, wachsam zu sein und sehr - die Entscheidungen zu begleiten. Und natürlich wird es Jahre dauern, also ich habe auch nie gesagt, dass es irgendwie in einem Tag eine Demokratie geben wird in Ägypten, aber wir müssen sehr geduldig sein und sehr ausdauerfähig sein. Es ist sehr schwierig in diesen Tagen, in Ägypten Widerstand zu leisten. Also, man wird von vielen Seiten bekämpft, und man muss an sehr vielen Fronten kämpfen.

Brink: Die ägyptische Studentin Heba Ahmed, Aktivistin der Organisation für Menschenrechte in den Arabischen Staaten. Und das Interview haben wir aufgezeichnet.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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