Zweifel an den Lebenslügen
Der Kneipenbesitzer Felix untersucht nach dem Tod der Eltern seine Vergangenheit. Mehr oder weniger ziellos befindet er sich in einer nicht näher genannten Stadt im Ruhrgebiet. "Mir geht es gut", beteuert Felix Nowak immer wieder, doch spätestens seit er seinen tot geglaubten Vater zufällig auf der Straße gesehen hat, beginnt er, an seinen eigenen Lebenslügen zu zweifeln.
Frank Goosen ist ein handwerklich äußerst talentierter Schriftsteller. In seinem Debüt "Liegen lernen" (2001) entwarf er mit einigen wenigen Strichen ein Panorama der Bundesrepublik Deutschland in den Achtzigern, mischte nostalgische Jugenderinnerungen mit alltäglichen Liebesgeschichten und Situationskomik und wurde dafür von der Kritik als "deutscher Nick Hornby" gefeiert.
"Liegen lernen" verkaufte sich knapp 150.000 Mal. Mit seinem zweiten Roman "Pokorny lacht" (2003) zeigte der gelernte Kabarettist dann noch einmal, wie routiniert er Charaktere und Geschichten zu entwerfen vermag. Frank Goosen kann es einfach, und wer einen letzten Beweis sucht, wird mit dem ersten Satz seines neuen Romans fündig werden:
"Ich sah meinen Vater erstmals neunzehn Jahre nach seinem Tod."
So schlicht und zugleich spannend beginnt die Geschichte von Felix Nowak, einem Mann von beinahe 40 Jahren, der es in seinem Leben zu nicht mehr gebracht hat als zu ein wenig geschäftlichem Erfolg und einer sorgsam gepflegten Sammlung von Musik-CDs.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist "Pink Moon" im Tonfall wesentlich dunkler. Den ersten Hinweis darauf liefert bereits der Titel, der auf Nick Drakes gleichnamiges und von Depressionen geprägtes Album aus dem Jahre 1972 anspielt. "Pink Moon" heißt auch das elegante Restaurant, das Felix Nowak in einer namenlosen Stadt im Ruhrgebiet betreibt, und wenn dort an den Wänden großformatige Schwarzweißfotos von Nick Drake, Tim Buckley und Gram Parsons hängen, kann man kaum noch übersehen, dass der durch die Popkultur veredelte Weltschmerz in diesem Roman gewissermaßen zur Innenausstattung gehört. "Mir geht es gut", beteuert Felix Nowak immer wieder, doch spätestens seit er seinen tot geglaubten Vater zufällig auf der Straße gesehen hat, beginnt er, an seinen eigenen Lebenslügen zu zweifeln.
Während Felix Nowak nach seinem tot geglaubten Vater sucht und sich dabei langsam und zögerlich in die Fotografin Evelyn verliebt, schildert Frank Goosen in zahlreichen Rückblenden die triste Kindheit und Jugend seines Erzählers. Das alles ist nun äußerst sorgfältig und pointiert arrangiert.
Die große Leistung dieses Romans liegt allerdings nicht in der souveränen Bewältigung des Vater-Sohn-Stoffes, sondern in einem geradezu unheimlichen Blick fürs Detail, der am Rande der eigentlichen Erzählung zum Tragen kommt. So verwandelt sich eine nächtliche Tankstelle mit ihren "automatischen Glastüren" und einer "ganzen Wand voller Zeitschriften, gut ausgeleuchteten Lebensmitteln, einer Kühltheke mit einer großen Auswahl an Eiscreme und einem Stehcafé" in ein Gruselkabinett der Dienstleistungsgesellschaft – und der Abend bei einem befreundeten Ehepaar, das sein Beziehungselend unter "Kirschholzparkett", "weißen Tischdecken" und "Originalkunst" zu verstecken versucht, gerät zu einem kleinfamiliären Horrorszenario. Alles plätschere so vor sich hin, vertraut der Gastgeber sich in einem stillen Moment Felix Nowak an:
"Keine Sensationen, keine großen Gefühle, alles ein bisschen langweilig."
In diesen kleinen, zwischen Melancholie, Kälte und Verzweiflung changierenden Einblicken in die Abgründe des Alltags liegt die wahre Größe dieses Romans. Dass die verschiedenen Handlungsstränge zuletzt wieder zusammengeführt werden und "Pink Moon" ein überzeugendes Ende nach allen Regeln des "creative writing" verpasst bekommt, nimmt man dagegen schon fast als selbstverständlich hin. Das kann Frank Goosen einfach. Aber er kann eben noch einiges mehr.
Frank Goosen: Pink Moon
Eichborn. Frankfurt am Main 2005.
299 S., 19,90 Euro.
"Liegen lernen" verkaufte sich knapp 150.000 Mal. Mit seinem zweiten Roman "Pokorny lacht" (2003) zeigte der gelernte Kabarettist dann noch einmal, wie routiniert er Charaktere und Geschichten zu entwerfen vermag. Frank Goosen kann es einfach, und wer einen letzten Beweis sucht, wird mit dem ersten Satz seines neuen Romans fündig werden:
"Ich sah meinen Vater erstmals neunzehn Jahre nach seinem Tod."
So schlicht und zugleich spannend beginnt die Geschichte von Felix Nowak, einem Mann von beinahe 40 Jahren, der es in seinem Leben zu nicht mehr gebracht hat als zu ein wenig geschäftlichem Erfolg und einer sorgsam gepflegten Sammlung von Musik-CDs.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist "Pink Moon" im Tonfall wesentlich dunkler. Den ersten Hinweis darauf liefert bereits der Titel, der auf Nick Drakes gleichnamiges und von Depressionen geprägtes Album aus dem Jahre 1972 anspielt. "Pink Moon" heißt auch das elegante Restaurant, das Felix Nowak in einer namenlosen Stadt im Ruhrgebiet betreibt, und wenn dort an den Wänden großformatige Schwarzweißfotos von Nick Drake, Tim Buckley und Gram Parsons hängen, kann man kaum noch übersehen, dass der durch die Popkultur veredelte Weltschmerz in diesem Roman gewissermaßen zur Innenausstattung gehört. "Mir geht es gut", beteuert Felix Nowak immer wieder, doch spätestens seit er seinen tot geglaubten Vater zufällig auf der Straße gesehen hat, beginnt er, an seinen eigenen Lebenslügen zu zweifeln.
Während Felix Nowak nach seinem tot geglaubten Vater sucht und sich dabei langsam und zögerlich in die Fotografin Evelyn verliebt, schildert Frank Goosen in zahlreichen Rückblenden die triste Kindheit und Jugend seines Erzählers. Das alles ist nun äußerst sorgfältig und pointiert arrangiert.
Die große Leistung dieses Romans liegt allerdings nicht in der souveränen Bewältigung des Vater-Sohn-Stoffes, sondern in einem geradezu unheimlichen Blick fürs Detail, der am Rande der eigentlichen Erzählung zum Tragen kommt. So verwandelt sich eine nächtliche Tankstelle mit ihren "automatischen Glastüren" und einer "ganzen Wand voller Zeitschriften, gut ausgeleuchteten Lebensmitteln, einer Kühltheke mit einer großen Auswahl an Eiscreme und einem Stehcafé" in ein Gruselkabinett der Dienstleistungsgesellschaft – und der Abend bei einem befreundeten Ehepaar, das sein Beziehungselend unter "Kirschholzparkett", "weißen Tischdecken" und "Originalkunst" zu verstecken versucht, gerät zu einem kleinfamiliären Horrorszenario. Alles plätschere so vor sich hin, vertraut der Gastgeber sich in einem stillen Moment Felix Nowak an:
"Keine Sensationen, keine großen Gefühle, alles ein bisschen langweilig."
In diesen kleinen, zwischen Melancholie, Kälte und Verzweiflung changierenden Einblicken in die Abgründe des Alltags liegt die wahre Größe dieses Romans. Dass die verschiedenen Handlungsstränge zuletzt wieder zusammengeführt werden und "Pink Moon" ein überzeugendes Ende nach allen Regeln des "creative writing" verpasst bekommt, nimmt man dagegen schon fast als selbstverständlich hin. Das kann Frank Goosen einfach. Aber er kann eben noch einiges mehr.
Frank Goosen: Pink Moon
Eichborn. Frankfurt am Main 2005.
299 S., 19,90 Euro.