Zweifel am Sparwillen der Regierung

Moderation: Korbinian Frenzel · 25.06.2012
Man müsse sich fragen, ob im Haushaltsentwurf des Bundes für 2013 nicht mehr für das Erreichen der Schuldenbremse getan werden könne, meint Kristina van Deuverden, Steuerexpertin des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Aktuell sei die Lage der öffentlichen Haushalte gut.
Korbinian Frenzel: Schulden machen immer die anderen. Nach mehr als zwei Jahren Eurokrise könnte man das fast glauben. Die anderen, das sind natürlich die Griechen, die Iren oder die Spanier, Länder also, die ihre Haushalte nicht im Griff haben und die deshalb am europäischen Tropf hängen.

Schulden, und das geht in dieser Krise fast ein bisschen unter, machen aber auch wir, auch Deutschland. Im nächsten Jahr will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble 18,8 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen. So schlägt er es in dieser Woche dem Kabinett offiziell vor. Was wir mit Blick auf unsere kriselnden Europartner ja regelmäßig machen, nämlich genau hingucken, wie solide oder unsolide ihre Finanzen sind, das wollen wir jetzt auch mal mit uns selbst tun.

Und dazu begrüße ich die Konjunktur- und Steuerexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung am Telefon, Christina van Deuverden. Guten Morgen.

Christina van Deuverden: Guten Morgen.

Frenzel: Die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen sind hoch wie nie. Warum kommt der Bund mit diesem Geld eigentlich nicht aus? Warum braucht es neue Schulden?

van Deuverden: Ja, warum kommt der Bund damit nicht aus, das ist natürlich eine gute Frage. Wir haben im Bund ja seit 2010 die Schuldenbremse und haben jetzt eine Übergangszeit. Eine Übergangszeit, in der die hohen Defizite, die zu dem Zeitpunkt natürlich noch höher lagen, als sie es heute sind, zurückgeführt werden sollen. Das heißt, der Bund versucht, von Jahr zu Jahr sein Defizit auf die dann, ab 2016 geltende, verfassungsmäßige Obergrenze zurückzuführen.

Frenzel: Das heißt, wir tragen jetzt gerade noch die Erblast aus der Krisenzeit ab, deswegen sind die Schulden noch immer, die Schuldenneuaufnahme noch immer so hoch?

van Deuverden: Nun, die Erblast aus den Krisenzeiten, ja, auch. Aber man darf natürlich auch nicht vernachlässigen, dass wir natürlich auch im ganzen Jahrzehnt dieses Jahrtausends, denn relativ starke Neuverschuldung jedes Jahr hatten. Wozu natürlich auch beigetragen hat, dass die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Zeitraum jetzt doch etwas gekränkelt hat, möchte ich mal sagen.

Frenzel: Der Plan von Wolfgang Schäuble sieht ja vor, dass im Jahr 2016 dann ein ausgeglichener Haushalt vorliegen soll, sprich, der Bund will dann nur noch so viel ausgeben, wie er einnimmt. Da stellt sich ja die Frage: Wenn in Wachstumszeiten wie diesen gerade das Geld schon nicht reicht, wie ist es denn dann, wenn die Wirtschaft wieder etwas schwächer ist, wenn sie vielleicht sogar einbricht?

van Deuverden: Wenn wir jetzt auf den Bundeshaushalt gucken, dann gucken wir auf die Gesamtsumme, dann gucken wir auf diese 18 Milliarden. Diese 18 Milliarden sind natürlich immer auch teilweise konjunkturell bedingt. Will heißen, in schlechten Zeiten habe ich höhere Ausgaben für den Arbeitsmarkt und geringere Steuereinnahmen, und in guten Zeiten sind die Ausgaben für den Arbeitsmarkt halt ein bisschen geringer, die Steuereinnahmen ein bisschen höher, also sprich, wir haben da auch immer konjunkturelle Schwankungen drin.

Aus dem Grunde sollen die Haushalte, und das passiert ja im Moment auch in Europa mit dem Fiskalpakt halt strukturell ausgeglichen sein, das heißt, es soll sich über ein Konjunkturzyklus hinweg letztlich ausgleichen.

Frenzel: Das heißt, man hat letztlich immer noch die Möglichkeit, wenn die Konjunktur nicht gut läuft, dann weitere neue Schulden zu machen. Um ehrlich zu sein, das klingt mir nach einer ziemlich großen Entschuldigung, nach einer ziemlich offenen Tür, im Zweifel dann doch wieder höhere Schulden zu machen.

van Deuverden: Es ist in der Tat so, wenn Sie in einer schlechten Phase sind und dann auch noch diese sogenannten automatischen Stabilisatoren, die die wirtschaftliche Entwicklung abfedern sollen, quasi nicht wirken lassen, dann verschärfen sie letztlich die konjunkturellen Bewegungen. Ob das eine offene Tür ist oder nicht, das wird daran liegen, wie die institutionellen Regelungen sind.

Letztlich dazu beizutragen, dass wirklich die Verschuldung in Grenzen gehalten wird. Bei der Schuldenbremse im Bund haben wir da ein Konto. Auf dieses Konto sollen halt solche Beträge auflaufen. Und wenn auf diesem Konto dann eine gewisse Obergrenze überschritten ist oder die Überschreitung droht, dann wiederum soll der Bund gezwungen sein, entsprechend zu reagieren.

Frenzel: Mal ganz konkret auf dieses Jahr geblickt aus Ihrer Expertensicht: Wäre da mehr drin gewesen oder hat man es sich ein bisschen einfach gemacht im Finanzministerium und den Neuverschuldungsrahmen etwas groß gelassen?

van Deuverden: Also wir reden ja jetzt vom Jahr 2013. Und im Jahr 2013 wird die Verschuldung ja tendenziell nicht zurückgeführt. Das liest sich zwar ein bisschen anders, wenn man sich die Zahlen ansieht, da ist im Jahr 2012 ja eine höhere Neuverschuldung drin. Diese höhere Neuverschuldung geht aber zum großen Teil darauf zurück, dass wir in diesem Jahr zwei Tranchen für diesen neuen Fonds auf EU-Ebene leisten - also da wird wirklich Geld dieses Jahr noch eingeplant und fließen, auch im kommenden Jahr wird da natürlich Geld fließen, aber weniger. Und wenn ich solche Sonderentwicklungen raus nehme, dann ist es in der Tat so, dass da im kommenden Jahr im Bundeshaushalt nicht wirklich was passiert. Sprich, vor dem Hintergrund macht die Konsolidierung im kommenden Jahr nach den Plänen, die jetzt vorliegen, in der Tat eine Pause.

Frenzel: Gestern hat sich Angela Merkel mit Ministerpräsidenten getroffen, um über die Konsequenzen des Fiskalpaktes, also der europäischen Schuldenbremse für Länder und Kommunen zu sprechen, denn denen wird de facto das Schuldenmachen ja ebenfalls verboten und das Verbot aus der deutschen Schuldenbremse noch mal verschnellert.

Werden wir das als Bürger am Ende spüren? Werden wir Schwimmbäder sehen, die dicht gemacht werden, Bibliotheken oder Schulen, die nicht mehr renoviert werden?

van Deuverden: Nun ja, also für die Länder ist es insofern ein Problem, als dass die Vorgaben ja letztlich ab dem Jahr 2020 für sie gelten sollten. Das muss dann schneller passieren. Und, und das ist der eigentliche Punkt, die Kommunen waren bei der Schuldenbremse ja eigentlich außen vor.

Nun dürfen die sich ja eigentlich sowieso nicht wirklich richtig verschulden in Deutschland. Haben sie aber immer getan. An der Stelle muss nach den Überlegungen des Fiskalpaktes ein bisschen mehr passieren. Das ist gar keine Frage. Es muss schneller passieren. Wenn es also wirklich Probleme gibt und der Fiskalpakt nicht eingehalten werden kann und wenn dann Strafzahlungen fällig werden, dann trete ich, der Bund, ein und übernehme diese Strafzahlungen, dann, denke ich, wird das alles sehr interessant werden, denn wo liegen dann die Anreize, überhaupt auf Länderseite sich an diese Vorgaben zu halten, wenn die Zeiten wirklich so sind, dass es extrem wehtut.

Frenzel: Schauen wir mal ganz kurz zum Abschluss noch auf Anreize und auch Vorbildfunktion. Deutschland gilt ja so als der Zuchtmeister in Europa, der die anderen zum Sparen anhält. Wenn Sie auf die aktuelle Finanzplanung gucken, sind wir da eigentlich ein gutes Vorbild, insgesamt?

van Deuverden: Nun, aktuell ist die Lage in den öffentlichen Haushalten gut. Wir haben zwar die Neuverschuldung, wir haben auch einen hohen Schuldenstand, das wissen wir alle. Dennoch muss man sagen, dass die laufenden Haushalte zurzeit eigentlich keinen großen Zwängen ausgesetzt sind. Und vor dem Hintergrund muss man sich in der Tat fragen, ob nicht ein bisschen mehr möglich gewesen wäre. Zwar haben wir noch Zeit, wenn wir die Schuldenbremse einhalten wollen. Also, wie gesagt, es geht um die Jahre 2016 und 2020. Trotzdem hindert uns ja letztlich nichts daran, in so einer guten Lage, in der wir im Moment sind, das Ganze auch ein bisschen schneller voranzutreiben, denn wir wissen auch, dass die wirtschaftliche Entwicklung nicht in dem Maße durchlaufen wird. Irgendwann haben wir wieder eine leichte Schwächephase, und dann wird uns natürlich alles das, was wir jetzt nicht gemacht haben, besonders wehtun, wenn es dann nachgeholt werden muss.

Frenzel: Die Konjunktur- und Steuerexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Christina van Deuverden. Vielen Dank für das Gespräch!

van Deuverden: Ich danke Ihnen!


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Bei einem Treffen im Kanzleramt hat die Bundesregierung den Ländern ein Ja zum umstrittenen Fiskalpakt abgerungen.© dpa / Tim Brakemeier