Zweierlei Ansprüche
1985 sollte das Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Fassbinder in Frankfurt am Main uraufgeführt werden, danach 1998 im Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Beide Male ist es dazu nicht gekommen, es hatte Protest wegen antisemitischen Inhalts gegeben. Jetzt unternimmt das Theater an der Ruhr in Mülheim den dritten Versuch.
Alleine war ich zu dieser Schulaufführung hingegangen: Shakespeare, von dem ich noch nie etwas gehört oder gelesen hatte. Die beiden Hauptrollen im "Kaufmann von Venedig" spielte ein Paar, das auch in den Schulpausen Händchen gehalten hatte. Nach dem letzten Akt gab es tosenden Applaus. Wie konnte es sein, dass dieser Shylock als schwärzlicher, krummbeiniger Hund nichts anderes geworden war denn ein verlachtes, verhöhntes, ehrloses Subjekt? Er, den man betrogen hatte? Die Maske dieses Shylock entsprach den Bildern aus dem Stürmer-Juden. Wahrscheinlich fand diese Aufführung ungefähr 1964 in Darmstadt statt. Ich klatschte nicht.
Etwa zehn Jahre später las ich als Redakteurin einer kommunistischen Zeitung in einem Artikel zum Frankfurter "Häuserkampf" das Wort "jüdische" Spekulanten. Ich kann mich nicht erinnern, korrigiert zu haben. Später wollte ich, ich hätte das Adjektiv korrigiert. Geändert hätte es nichts. Längst wurde das Wort "Spekulant" wie etwas originär Jüdisches gebraucht. Als ob es gerade in jenem Frankfurter Westend, um das es gegangen war, nicht die "arischen" Hausbesitzer gegeben hätte, die mit ihrem Besitz, obgleich durch das Mainhattan-Streben der Stadt bedroht oder aufgekauft, ihrerseits Schwierigkeiten gehabt hätten nachzuweisen, wie sie denn in dieser einstmals vom jüdischen Bürgertum geprägten Gegend an jene Immobilien selbst gekommen waren. Danach hatte allerdings niemand gefragt.
Spekulieren Schmidt und Müller und eben auch Hershkovitz, dann wird der Protest auf Hershkovitz fallen. Spekulieren Schmidt und Müller nicht, dann fällt er erst recht auf Hershkovitz, weil Schmidt und Müller lieber auch spekuliert hätten. Dabei schleppen Schmidt und Müller ihren nationalsozialistischen Hausrat mit. Daraus leitet Fassbinder einen jüdischen Aktionsvorteil ab: Privilegiertheit infolge Schuldmangels. Wir erleben die klassische Verkehrung von Täter und Opfer.
Als Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" 1985 im Frankfurter Theater uraufgeführt werden sollte, nahm ich trotzdem daran keinen Anstoß. Durch den Protest hindurch, der sich gegen antisemitische Stereotype im Stück richtete, schimmerte deutlich der Versuch durch, nicht nur das zurückzuweisen, sondern auch die betroffenen Gemeindemitglieder als ehrbare Bürger in einer ehrbaren Stadt vorzustellen. Ich glaubte an die Integrität einzelner benannter Personen nicht, daran änderte auch die Tatsache nichts, dass es den nicht-jüdischen Akteuren daran ebenfalls mangelte. Überhaupt stand das Spekulieren damals in einem schlechten Ruf: Es war keine als anständig angesehene Arbeit. Die gesellschaftliche Adelung von Spekulationsgewinnlern setzte erst später ein und wird erst neuerdings wieder in Frage gestellt.
So war es zwar konsequent, das Zuspitzen des Immobilienskandals auf "Der reiche Jude" und abhängige zuarbeitende oder willfährige x-, y-, z-Deutsche verhindern zu wollen, bloß am Skandal selbst änderte das nichts.
Die Jüdische Gemeinde machte mit ihrer Bühnenbesetzungs-Aktion erstmalig offensiv auf sich aufmerksam. Das Stück wurde nicht aufgeführt. Sich bürgerschaftlich als Community zu Wort zu melden, das war der entscheidende Punkt und das bleibt auch für den Zentralrat der Juden in Deutschland wichtig, wenn er jetzt erneut die Absetzung des Stücks verlangt. Allerdings gibt es andere künstlerische Produktionen, durch die Menschen diskriminiert oder beleidigt werden, die jene Reizwirkung nicht entfaltet haben. Was daran liegen mag, dass es Ignatz Bubis war, der sich in dem Stück als die hinter dem Protagonisten liegende Person wähnte, der später als Vorsitzender des Zentralrats der Juden einer der angesehensten Repräsentanten wurde. Interventionen anderer wie die der Roma und Sinti gegen einen Walser'schen "Tatort" hatten keinen Erfolg.
Die Diskriminierungserfahrung wird auch der türkische Straßenkehrer teilen müssen, mit dem Fassbinder beginnt: der, dem die Prostituierte Roma B. "dreckiger Gastschwanz" und "stinkender, räudiger Hund" nachschreit.
Ich will jetzt nicht in hohem Ton die Freiheit der Kunst verteidigen. Ich weise nur darauf hin, dass es hier zweierlei Ansprüche gibt, die berechtigt sind und gegeneinanderstehen: das Interesse, vor Diskriminierung geschützt zu werden, und das Interesse an der Freiheit der Kunst. So viel rassistischer und antisemitischer Müll, wie öffentlich zu hören und zu lesen ist, kann gar nicht verboten werden. Das ist zwecklos: Ein Theater ist nicht die Bundeszentrale für politische Bildung. Fassbinder selbst hätte sich Peter Zadek und keinen anderen Regisseur gewünscht. Beide sind tot. Im Theater wird gemordet, gelogen, gehasst und geliebt, das war schon bei Lessing so, und er bekam das alles in "Die Juden" unter. Ein wunderbares Stück.
Esther Dischereit veröffentlichte zuletzt das Buch "Vor den Hohen Feiertagen gab es ein Flüstern und Rascheln im Haus", Berlin, AvivA Verlag, 2009. Sie erhielt in diesem Jahr den Erich-Fried-Preis.
Etwa zehn Jahre später las ich als Redakteurin einer kommunistischen Zeitung in einem Artikel zum Frankfurter "Häuserkampf" das Wort "jüdische" Spekulanten. Ich kann mich nicht erinnern, korrigiert zu haben. Später wollte ich, ich hätte das Adjektiv korrigiert. Geändert hätte es nichts. Längst wurde das Wort "Spekulant" wie etwas originär Jüdisches gebraucht. Als ob es gerade in jenem Frankfurter Westend, um das es gegangen war, nicht die "arischen" Hausbesitzer gegeben hätte, die mit ihrem Besitz, obgleich durch das Mainhattan-Streben der Stadt bedroht oder aufgekauft, ihrerseits Schwierigkeiten gehabt hätten nachzuweisen, wie sie denn in dieser einstmals vom jüdischen Bürgertum geprägten Gegend an jene Immobilien selbst gekommen waren. Danach hatte allerdings niemand gefragt.
Spekulieren Schmidt und Müller und eben auch Hershkovitz, dann wird der Protest auf Hershkovitz fallen. Spekulieren Schmidt und Müller nicht, dann fällt er erst recht auf Hershkovitz, weil Schmidt und Müller lieber auch spekuliert hätten. Dabei schleppen Schmidt und Müller ihren nationalsozialistischen Hausrat mit. Daraus leitet Fassbinder einen jüdischen Aktionsvorteil ab: Privilegiertheit infolge Schuldmangels. Wir erleben die klassische Verkehrung von Täter und Opfer.
Als Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" 1985 im Frankfurter Theater uraufgeführt werden sollte, nahm ich trotzdem daran keinen Anstoß. Durch den Protest hindurch, der sich gegen antisemitische Stereotype im Stück richtete, schimmerte deutlich der Versuch durch, nicht nur das zurückzuweisen, sondern auch die betroffenen Gemeindemitglieder als ehrbare Bürger in einer ehrbaren Stadt vorzustellen. Ich glaubte an die Integrität einzelner benannter Personen nicht, daran änderte auch die Tatsache nichts, dass es den nicht-jüdischen Akteuren daran ebenfalls mangelte. Überhaupt stand das Spekulieren damals in einem schlechten Ruf: Es war keine als anständig angesehene Arbeit. Die gesellschaftliche Adelung von Spekulationsgewinnlern setzte erst später ein und wird erst neuerdings wieder in Frage gestellt.
So war es zwar konsequent, das Zuspitzen des Immobilienskandals auf "Der reiche Jude" und abhängige zuarbeitende oder willfährige x-, y-, z-Deutsche verhindern zu wollen, bloß am Skandal selbst änderte das nichts.
Die Jüdische Gemeinde machte mit ihrer Bühnenbesetzungs-Aktion erstmalig offensiv auf sich aufmerksam. Das Stück wurde nicht aufgeführt. Sich bürgerschaftlich als Community zu Wort zu melden, das war der entscheidende Punkt und das bleibt auch für den Zentralrat der Juden in Deutschland wichtig, wenn er jetzt erneut die Absetzung des Stücks verlangt. Allerdings gibt es andere künstlerische Produktionen, durch die Menschen diskriminiert oder beleidigt werden, die jene Reizwirkung nicht entfaltet haben. Was daran liegen mag, dass es Ignatz Bubis war, der sich in dem Stück als die hinter dem Protagonisten liegende Person wähnte, der später als Vorsitzender des Zentralrats der Juden einer der angesehensten Repräsentanten wurde. Interventionen anderer wie die der Roma und Sinti gegen einen Walser'schen "Tatort" hatten keinen Erfolg.
Die Diskriminierungserfahrung wird auch der türkische Straßenkehrer teilen müssen, mit dem Fassbinder beginnt: der, dem die Prostituierte Roma B. "dreckiger Gastschwanz" und "stinkender, räudiger Hund" nachschreit.
Ich will jetzt nicht in hohem Ton die Freiheit der Kunst verteidigen. Ich weise nur darauf hin, dass es hier zweierlei Ansprüche gibt, die berechtigt sind und gegeneinanderstehen: das Interesse, vor Diskriminierung geschützt zu werden, und das Interesse an der Freiheit der Kunst. So viel rassistischer und antisemitischer Müll, wie öffentlich zu hören und zu lesen ist, kann gar nicht verboten werden. Das ist zwecklos: Ein Theater ist nicht die Bundeszentrale für politische Bildung. Fassbinder selbst hätte sich Peter Zadek und keinen anderen Regisseur gewünscht. Beide sind tot. Im Theater wird gemordet, gelogen, gehasst und geliebt, das war schon bei Lessing so, und er bekam das alles in "Die Juden" unter. Ein wunderbares Stück.
Esther Dischereit veröffentlichte zuletzt das Buch "Vor den Hohen Feiertagen gab es ein Flüstern und Rascheln im Haus", Berlin, AvivA Verlag, 2009. Sie erhielt in diesem Jahr den Erich-Fried-Preis.