Zwei ungleiche Schwestern

Von Sina Fröhndrich · 03.05.2011
Im Film "Barfuß auf Nacktschnecken" mimt Diane Kruger eine junge Frau, die sich um ihre nicht ganz normale Schwester – dargestellt von Ludivine Sagnier - kümmern muss. Gefühlvolles Autorenkino der französischen Regisseurin Fabienne Berthaud.
Die eine lebt in Paris, verheiratet, geordnet, etwas spießig. Die andere lebt auf dem Land, kindlich, vielleicht verrückt, streunt gedankenlos durch die Wälder, verarbeitet tote Tiere zu Taschen und Unterwäsche. Die beiden Schwestern Clara und Lily könnten nicht gegensätzlicher sein. Als die Mutter plötzlich stirbt, muss sich Clara um ihre jüngere Schwester kümmern. Clara, gespielt von der Deutschen Diane Kruger, beginnt dabei mehr und mehr, ihr eigenes Leben als Sekretärin in der Kanzlei ihres Mannes zu hinterfragen. Genau diese Entwicklung war es, die Kruger an der Rolle gereizt hat:

"Ich war fasziniert von Clara, weil sie eine riesige Evolution hat, die sehr nuanciert ist, die in sehr kleinen Schritten geht, und weil ich noch nie eine so alltägliche Rolle gespielt habe, die eigentlich tragisch war."

Die alltägliche Rolle steht Kruger gut. Sie spielt die Clara überzeugend - ungeschminkt, natürlich und dabei sparsam in der Mimik. Ganz anders Filmschwester Ludivine Sagnier, die als kindlicher Teenager Lily zu Höchstform aufläuft. Wobei sie mit ihrer ausgestellten Naivität manchmal etwas nervt.

Sagnier, bei uns vor allem bekannt durch die Francois-Ozon-Filme "Acht Frauen" und "Swimming Pool", hat versucht, sich für die Rolle das Kindliche anzueignen:

"Um diese Rolle richtig zu spielen, habe ich meine Tochter genauer betrachtet, um es realistisch zu machen. Lily ist wie ein Kind, sie ist abgeschottet von der Gesellschaft, sie hat keine Ambitionen, sie weiß nicht, was es heißt, nicht die Wahrheit zu sagen. So sind Kinder, in Frankreich heißt es: 'Kinder sagen immer die Wahrheit.' Und so ist Lily."

Die kindliche Lily in ihren Trägerkleidchen ist ehrlich und überdreht. Ihren Körper empfindet sie als Gebrauchsgegenstand, den sie einer Gruppe pubertierender Jungs ohne Scham anbietet. Sie umhäkelt Bäume mit Wolle und legt Maulwürfe in den Gefrierschrank.

Dieses Anderssein in der heutigen genormten Gesellschaft ist das Hauptmotiv des Films, sagt Regisseurin Fabienne Berthaud:

"Das Wichtigste für mich war, zu verstehen, wie Menschen, die anders sind in unserer durchorganisierten Gesellschaft leben können. Wir müssen sehr stark sein heutzutage und wir müssen ein bisschen Freiheit finden, die Türen öffnen, denn wir sind sehr in unserem Leben eingesperrt."

Die Frage nach der richtigen Lebensweise, danach, wie normal, eingefahren, eingesperrt man eigentlich selbst lebt, hat auch Hauptdarstellerin Diane Kruger beschäftigt, die schon zum zweiten Mal mit Regisseurin Berthaud zusammengearbeitet hat:

"Was mich total an dem Film interessiert hat, ist, dass es o. k. ist zu sagen, jetzt ändere ich mein Leben. Jetzt kümmere ich mich mal nur um mich, auch wenn es egoistisch ist. Ich finde diese Entschuldigung, die man oft hat, jetzt ist es zu spät, jetzt bin ich zu alt, jetzt kann ich keine neue Sprache mehr lernen, das lerne ich sowieso nicht mehr, ist oft eine Entschuldigung für viele Menschen auch."

Regisseurin Berthaud erzählt ihren Film hinreißend mit eindrucksvollen Naturbildern. Die Baumwipfel rauschen, Vögel zwitschern, Wasser plätschert. Ihren Hauptdarstellerinnen Kruger und Sagnier sagte sie während des Drehs immer wieder: Schauspielert nicht, lebt die Rolle.

Leider können die wunderbar natürlichen, fast schon dokumentarisch anmutenden Bilder nicht hinwegtäuschen über die teilweise fehlende Spannung des Films. Früh wird der Konflikt deutlich und noch früher bahnt sich dessen Lösung an. Sehenswert ist Berthauds unterhaltsames Drama "Barfuss auf Nacktschnecken" dennoch - als sommerliches, gefühlvolles Autorenkino, das einem Denkanstöße für das eigene Leben mitgibt.

Autobiografisch sei übrigens allein der Filmtitel, versichert Berthaud:

"Als ich klein war, hat mich meine größere Schwester immer barfuß auf Nacktschnecken gestellt – der Titel ist also eine Revanche."

Frankreich 2010 - Originaltitel: Pieds nus sur les limaces, Regie: Fabienne Berthaud, Darsteller: Diane Kruger, Ludivine Sagnier, Denis Ménochet, Brigitte Catillon, Jacques Spiesser, Jean-Pierre Martins, Anne Benoît, ab 12 Jahren, 103 Minuten

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