Zwei Stunden lang Künstler sein

Malen nach Zahlen - äh, Banksy

Auf dem Bild ist ein Mädchen in schwarz-weiß zu sehen, das einem roten, herzförmigem Luftballon nachschaut.
Das Werk "Girl with Ballon" auf einer Ausstellung des britischen Street Art-Künstlers Banksy in Moskau. © imago/TASS/Mikhail Tereshchenko
Katharina Kühn im Gespräch mit Mandy Schielke · 26.01.2019
Wie Banksy, Klimt, Frida Kahlo – das Berliner Unternehmen „Art Night" verspricht einen Abend voll malerischer Kreativität. Unsere Autorin hat sich mit anderen an die Leinwand gestellt und festgestellt: Es wird in dem Kurs nicht nur gemalt.
Mandy Schielke: Welche Art von Künstlerin wolltest Du denn werden, wen wolltest du imitieren bzw. kopieren?
Katharina Kühn: Es gab da eine Auswahl von ganz verschiedenen Künstlern aus ganz verschiedenen Epochen. Ich wollte einen Banksy malen, "Girl with Ballon", also dieses Mädchen, das ihre Hand nach einem wegfliegenden Herzballon ausstreckt.
Schielke: Streetart! Das ist am Anfang wahrscheinlich einfacher als gleich zu Van Gogh zu werden. Wie war das mit Deinen Mitmalern und Mitmalerinnen? Auch eher Streetart-affin? Wer kommt zu so einer Art Night?
Kühn: Wir waren da in dieser Bar in Berlin-Friedrichshain tatsächlich überwiegend Möchtegern-Künstlerinnen und nur wenig Männer. Die meisten von uns zwischen 20 und 30 – und alle an unterschiedlichen Arten von Kunst interessiert. Einige hatten den Kurs als Gutschein zu Weihnachten bekommen. Andere hatten bei der Kunst auch noch Hintergedanken:
Kursteilnehmer Paul: Zum einen fand ich es eine gute Idee, einfach so mal nach der Arbeit was anderes zu tun, also auch gerade mal irgendwie im kreativen Bereich sich auszuleben. Und zum anderen bin ich mit meinem Tinder-Date hier. Ich hab mich mal umgeguckt, was man eben so alternativ machen könnte zu dem Standard, einfach nur in eine Bar zu gehen und was zu trinken oder so und dann bin ich darauf gestoßen.
Kühn: Tatsächlich bewerben die Organisatoren diese Malabendende auch als Dating-Möglichkeit! Ist also gar nicht so ungewöhnlich, wie es vielleicht am Anfang scheint.

Das letzte Mal in der Schule gemalt

Schielke: Das klingt so, als würde insgesamt nicht das Künstlerische im Mittelpunkt stehen, sondern... das Soziale. Einfacher ausgedrückt: Man will jemanden kennenlernen?
Kühn: Ja, das schien mir auch so. Fast alle, mit denen ich mich da unterhalten habe, haben gesagt, dass sie nicht malen können oder das letzte Mal in der Schule einen Pinsel in der Hand hielten.
Schielke: Das Ganze wird ja als "nip and sip" verkauft, malen und trinken. Was kommt zuerst an so einem Abend?
Kühn: Tatsächlich das Trinken! Wer will, kann sich erst einmal ein Getränk an der Bar holen. Bei mir war es ein Wein, damit bin ich dann zu zwei Tischen gegangen, wo schon ein gutes Dutzend kleiner Staffeleien mit jeweils einer Stecklampe und einer Leinwand aufgebaut waren. Da lagen dann auch ein paar Farben rum, drei Pinsel, Bleistift, Wasserglas und eine Schürze. Und dann hat Francesca, die Leiterin des Kurses, den Abend recht pünktlich eröffnet:
Francesca: In der "Art Night" geht eigentlich hauptsächlich darum, Spaß zu haben. Ich habe hier ein Motiv und ich lerne Schritt für Schritt. Aber wir wollen einfach mit unserem kreativen Ich wieder in Kontakt kommen, ein bisschen offline kommen, neue Leute kennenlernen und einfach so ein bisschen Freiheit und Kreativität spüren. Also unbedingt eure eigenen Ideen mitbringen, es soll hier kein Malen nach Zahlen sein.
Schielke: Offline kommen. Freiheit! Kreativität! Schlüsselwörter unserer Zeit! Hoffentlich dann auch noch mit Leben erfüllt, diese plakativen Sprüche?
Kühn: So halb! Francesca hat den Abend in vier Schritte unterteilt, erst sollten wir mit Bleistift die Kontur unseres Bildes zeichnen, dann sollten die Grundfarben aufgetragen werden, dann mit einer anderen Farbe gearbeitet und zum Schluss der eigentlich kreative Teil: da konnten und sollten wir noch mal eigene Ideen einbringen und zum Beispiel mit Farbspritzern das Bild vollenden.
Schielke: Hmmm. Ich war ja nicht dabei, aber das klingt jetzt doch eher wie Malen nach Zahlen oder Malen nach Anleitung – und so gar nicht nach Freiheit und Kreativität!
Kühn: Ja, ich finde auch Kreativität ist hier zu viel gesagt! Um das noch mal zu erklären: ich habe als erstes die Konturen meines Banksy-Mädchens abgepaust, so wie ich das früher in der Schule gemacht habe, wenn ich zu faul zum richtigen Malen war. Also: Die Stecklampe hinter die Leinwand positioniert, ein Papier mit dem Banksy Girl dahintergeklemmt und dann mit Bleistift die Konturen abgemalt. Ich verstehe schon, dass einem da ein Erfolgserlebnis beschert werden sollte, weil so gewährleistet wurde, dass jeder ein halbwegs ähnliches Ergebnis erzielt und nicht mit einem undefinierbaren Strichmännchen nach Hause gehen muss. Aber das ist natürlich das Gegenteil von künstlerisch!

"Die hat kein Kinn mehr"

Schielke: Hätte man denn kreativer sein können?
Kühn: Ja, das hat die Kursleiterin auch immer wieder gesagt, man könnte auch ein ganz anderes Bild malen. Tatsächlich haben ein, zwei Leute das Bild abgewandelt. Ich nicht, ich habe den Banksy pechschwarz, ziemlich einfallslos, wie im gesprayten Original, abgemalt. So wie meine Tischnachbarin, die auch dieses Banksy-Mädchen kopieren wollte und dabei so ihre Schwierigkeiten hatte.
Nachbarin: Die hat kein Kinn mehr. Das Kinn ist jetzt schwarz. Da sind jetzt auch Haare.
Katharina: Ja, bei mir sieht das so aus, als hätte die auch einen extrem starken Bartwuchs, irgendwie.
Nachbarin: Ich hab mich eh gefragt, was das ist, sind das die Haare, die so ein dahinter und davor fallen.
Katharina: Und so ein bisschen Schatten.
Nachbarin: Dann hat sie aber schon ein komisches Gesicht.
Katharina: Ich denke auch gerade, du machst ja jetzt ziemlich dunkel, ich mach das so wässrig und dachte, ich mach dann noch eine zweite Schicht und dachte ich, das ist bestimmt so wie beim Nägel anmalen, dass wenn man dann einmal so eine gute Schicht hat, dann muss man noch mal rüber und dann kann man alles wieder verhunzen, ne?
Nachbarin: Ja, deswegen darf man auch nicht gleich bis direkt an Rand beim nächsten Mal.
Katharina: Ah.


Kühn: Am Ende sah es trotzdem ok aus, weil Francesca, unsere Anleiterin, geholfen hat, ein paar Ausrutscher wieder ungeschehen zu machen, ich hatte zum Beispiel zu dicke Ärmchen gemalt, die konnte ich dann mit ihrer Hilfe und Wasser wieder verschlanken.
Schielke: Banksy ist ja ein politischer Künstler, wenn man so will. Wie viel bleibt davon übrig, wenn man dieses ja eher nette Werk von ihm einfach nur kopiert?
Das Auktionshaus Sotheby's präsentiert das zerstörte Banksy-Bild "Girl With Balloon, 2018".
Das Auktionshaus Sotheby's präsentiert das zerstörte Banksy-Bild "Girl With Balloon, 2018".© picture alliance / Photoshot
Kühn: Kaum etwas. Oder: nicht so viel. Das lag auch daran, dass es zum Hintergrund seiner Arbeit nicht viele Infos gab. Also es wurde zwar schon gesagt, dass Banksy ein Urban Artist ist und seine Werke oft eine politische Aussage haben, es viele Werke in Bristol und London gibt, aber das war es dann auch.
Francesca hätte ruhig noch mal sagen können, dass es merkwürdig ist, ein Stencil, also ein mit Schablone gespraytes Graffiti, was von der Straße kommt, illegal entsteht, jetzt in Ruhe auf eine Leinwand mit Pinsel und Acrylfarben zu malen. Das ist ja eigentlich eine Riesen- Diskussion, ob man Urban Art ins Wohnzimmer hängt, darf das kommerziell sein, und so weiter. Ich bezweifle auch, dass Banksy es gut, findet, dass Menschen 34 Euro für zwei Stunden bezahlen, um dann in einer Szene-Bar seine Werke nachzumalen. Aber, da wir ja nicht wissen, wer er ist, können wir ihn auch kaum fragen.

Durch Kurs zum Malen motiviert

Schielke: Also wenig kreativ, kaum Infos über Banksy... war denn wenigstens der gesellige Teil überzeugend?
Kühn: Die Stimmung war wirklich feierabendtauglich! Wir sind schnell ins Gespräch gekommen, es war eine sehr angenehme Atmosphäre, fast schon ungewöhnlich für Berlin. So ein bisschen wie ein Team, das das gleiche Ziel verfolgt, sich gegenseitig unterstützt. Ernsthafte Künstler werden hier nicht so auf ihre Kosten kommen, man lernt keine besonders raffinierten Techniken. Aber ich glaube, wenn ich jetzt dorthin geh und sage, meine Güte, das ist ja gar keine Hochkultur und kein Aquarellkurs in der Toskana, dann ist das auch ein bisschen vom hohen Ross gesprochen. Denn: Es wird ja von Anfang an gesagt, es geht nicht nur ums Malen. Wir haben das auch kapierte, diese Teilnehmerin hat mir zum Beispiel gesagt, dass sie den Kurs als Motivation nimmt, zuhause zu malen.
Kursteilnehmerin: Ich hab‘ immer irgendwie Ausreden gehabt, mir nicht so eine Leinwand zu holen, immer irgendwie hinausgeschoben. Und jetzt kam ich doch mal dazu, dann gab es keine Ausreden mehr. Ich bin auch sehr froh darüber. Ich bin jetzt auf jeden Fall motivierter als davor.

"Girl with Ballon" links vom Künstler Banksy
„Girl with Ballon“: Links das Original vom Künstler Banksy an einer Hauswand, rechts nachgemalt von Katharina Kühn.© Montage: picture alliance/dpa/Foto: Beate Schleep, Katharina Kühn
Kühn: Und immerhin hat sie ja auch ein Bild mit nach Hause nehmen können.
Schielke: Du natürlich auch! Was wird damit passieren?
Kühn: Das habe ich mitgebracht und ich gehe auch davon aus, dass die Redaktion es hier aufhängt. Das ist mir sehr wichtig. Ich kontrolliere das auch die nächsten Male, wenn ich hier bin.
Schielke: Katharina Kühn war für die Echtzeit bei einer "Art Night" in Berlin, ein Kurs, der Malen und Bar-Abend miteinander verbinden soll. Vielen Dank!
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