Zwei plus Vier macht Einheit

Von Wolfgang Stenke · 05.05.2010
Nach dem Zusammenbruch der DDR nutzte die Regierung Kohl/Genscher die historische Gelegenheit, die Zustimmung der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs für die Wiedervereinigung einzuholen.
"Gegenstand dieser Gespräche sind die äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit, einschließlich Fragen der Sicherheit der Nachbarstaaten."

Helmut Schäfer, Genschers Staatsminister im Auswärtigen Amt, skizziert vor der Presse in Bonn das Themenfeld der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen. Und Markus Meckel, von Beruf evangelischer Pfarrer und gerade einmal drei Wochen Außenminister der DDR, sekundiert:

"Es wird darum gehen, gegenseitiges Verständnis zu fördern und zu sehen, wie kann Sicherheit Richtung Osten verbindlich organisiert werden."

Bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, die am 5. Mai 1990 in Bonn begannen, stand Weltpolitik auf der Tagesordnung: Die Abgesandten der beiden deutschen Teilstaaten trafen sich mit den Außenministern der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, um den außenpolitischen Rahmen der Wiedervereinigung zu zimmern. Mit der Lösung der "deutschen Frage" musste zugleich eine neue europäische Ordnung gefunden werden: Sollte ein souverän gewordenes Deutschland neutral bleiben oder zum westlichen NATO-Bündnis gehören? Was bedeuteten die zu treffenden Regelungen, die endgültig die Vorbehaltsrechte der Alliierten von 1945 ad Acta legten und einem Friedensvertrag gleichkamen, für die polnische Westgrenze? Und: Wie würde sich die Machtposition der Sowjetunion verändern?

Der rapide Wendeprozess in Osteuropa und die Sorge vor dem Machtverlust des Perestrojka-Politikers Michail Gorbatschow setzten die Verhandlungen unter Zeitdruck. In insgesamt vier Außenministertreffen, verteilt auf nicht einmal sieben Monate, wurde der "Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland" - so der offizielle Name – ausgehandelt. Stationen waren - neben Bonn - Berlin, Paris und Moskau. Eine wichtige Vorentscheidung hatten die USA, England und Frankreich schon im Februar 1990 mit der westdeutschen Seite getroffen: Am Rande einer Außenministerkonferenz von NATO und Warschauer Pakt einigte man sich trotz britischer und französischer Bedenken auf den Rahmen der Zwei-plus-Vier-Gespräche: Die DDR sollte als Juniorpartner mit am Tisch sitzen - unter dem Vorzeichen, dass auch ein vereinigtes Deutschland in der NATO bleiben würde. Das war Außenminister Genschers Form der Arithmetik, wie sie später sein dänischer Kollege Ellemann-Jensen zu Genschers 70. Geburtstag in launiger Form beschwor:

"Du hast beharrlich verneint, dass zwei plus vier gleich sechs wäre. Du hast darauf bestanden, dass zwei und vier gleich fünf werden würde – und so wurde es dann auch."

Auf der Bonner Konferenz beharrte der sowjetische Außenminister Schewardnadse darauf, es dürfe keine gesamtdeutsche NATO-Mitgliedschaft geben. Ende Mai aber, beim amerikanisch-sowjetischen Gipfel in Washington, stimmte der sowjetische Präsident Gorbatschow plötzlich zu. Eine Sensation, die Kanzler Kohl bei der telefonischen Unterrichtung durch Bush erst einmal nicht begriff. Es schien, so schrieb Bushs Beraterin Condoleezza Rice später, als sei ...

... die Nachricht, selbst wenn Bush eine große Schlagzeile darüber gesetzt hätte, zu verblüffend, um wahrgenommen zu werden.

Es folgte bei den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen ein diplomatisches Pokerspiel: Schewardnadse und Gorbatschow, die innenpolitisch unter Druck standen, versuchten den Preis der Einheit hochzutreiben, denn die Sowjetunion war fast zahlungsunfähig. Die Regierung Kohl offerierte zunächst acht Milliarden DM. Daraus wurden dann schließlich 15 Milliarden – unter anderem für Zahlungsbilanz- und Exportkredite, Abzugskosten der Roten Armee und Maßnahmen zur Reintegration der sowjetischen Streitkräfte. Trotzdem beschleunigten die Konzessionen an den Westen, die Gorbatschow im Juli 1990 bei dem legendären Treffen mit Kohl im Kaukasus bekräftigte, den Zerfall der Sowjetunion. Gorbatschow musste später Jelzin weichen, Polen erhielt die gewünschte Garantie der Oder-Neiße-Grenze. Die Deutschen aber bekamen am 12. September 1990 in Moskau mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages das Plazet zu ihrer Wiedervereinigung. Deutschland willigte in die Reduktion seiner Truppen auf 370.000 Mann ein und erklärte den Verzicht auf ABC-Waffen. Durch den Obersten Sowjet ratifiziert wurde der Vertrag am 4. März 1991. Außenminister Hans-Dietrich Genscher:

"Das ist eine gute Nachricht für Deutschland, aber auch eine gute Nachricht für Europa und für die Welt."