Zwei Jahre nach dem Krieg

Von Gesine Dornblüth |
Gut zwei Jahre ist der Krieg zwischen Georgien und Russland um die von Georgien abtrünnige Region Südossetien jetzt her. Am 7. August 2008 hatte die georgische Armee Südossetien beschossen. Russland schickte daraufhin Truppen nach Georgien und bombardierte Teile des Landes. Eine unverhältnismäßige Reaktion von russischer Seite, wie es in einem von der Europäischen Union in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht heißt. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist bis heute angespannt.
Khatuna Kazalikaschwili öffnet die Tür zu einem kleinen Haus in Kazbegi. Der Ort liegt am Fuß des Kazbeg, des höchsten Berges in Georgien. In einer Vitrine hängen rostige Steigeisen, alte Seile, Haken.

Khatuna Kazalikaschwili gehört zu einer Bergsteigerfamilie. Ihr Schwiegervater war einer der Ersten, die den über 5000 Meter hohen Gipfel des Kazbeg bezwangen. Damals gehörte Georgien noch zur Sowjetunion. Seine Kinder stellen Andenken und Fotos aus. Eine Ehrenurkunde mit dem Titel "Alpinist der UdSSR" ist darunter, ein Wimpel vom allsowjetischen Gewerkschaftsrat.

"Meine Familie und ich haben früher wie jeder normale Sowjetbürger gelebt: Wir haben gearbeitet und versucht, zu erreichen, was wir konnten. Aber das Land war sehr abgeschlossen. Das ist vorbei. Jetzt sind wir frei. Wir können alles bekommen, jede Information, und wir haben das Recht, selbst zu bestimmen, wie wir leben wollen."

Die Georgier wollen vor allem eines: In einem freien Land leben, unabhängig von dem einstigen großen Bruder Russland, von Moskau, das ihnen zu Sowjetzeiten diktierte, was zu tun war. Aber Russland lässt das nicht zu. Vor zwei Jahren marschierten russische Truppen in Georgien ein, Flugzeuge bombardierten Teile des Landes. Khatuna Kazalikaschwili hat Angst, dass sich das wiederholt, und dass sie die ersten Opfer sind. Denn Kazbegi ist der letzte Ort vor der russischen Grenze.

Sie wischt sich eine Träne aus den Augen. Sie habe nichts gegen Russen, sagt sie. Zu Sowjetzeiten kamen russische Touristen scharenweise nach Kazbegi. Seit den 90er Jahren wurden es immer weniger. Seit dem Krieg unterhalten Georgien und Russland keine diplomatischen Beziehungen mehr. Wer das jeweils andere Land besuchen will, muss ein Visum beantragen. Dementsprechend bleiben die russischen Touristen nun ganz fort. Und die Kazalikaschwilis haben sich längst umorientiert auf das westliche Ausland – wie ganz Georgien.

Im Haus gegenüber sitzen die Schwiegermutter und der Mann beim Tee. Jago Kazalikaschwili schlägt sich als Bergführer durch, außerdem bietet er einfache Übernachtungsmöglichkeiten an, vier Betten in einem Raum. Seine Frau ist Ärztin, so haben sie ein Auskommen. Die Gäste kommen aus Israel, Polen, Tschechien, Deutschland.

"Es sind weniger Touristen als vor dem Krieg."
"Vor allem aus Westeuropa kommen weniger."
"Die Polen und Tschechen kommen trotzdem. Die sind an den Unfug der Russen gewöhnt. Die schreckt nichts ab. Die europäischen Touristen lächeln immer. Das gefällt uns. Die Russen dagegen gucken immer finster."
"Die wollen immer nur alles mit ihrem Stiefel nieder treten."

In der Tat führt sich Russland in Georgien wie ein Gutsherr auf. Russland hat die beiden abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien und Abchasien als Staaten anerkannt – im Alleingang, trotz heftiger internationaler Kritik. Bisher sind ihnen nur Venezuela, Nicaragua und die winzige Pazifikinsel Nauru gefolgt.

Gegen internationale Proteste hat Russland zudem seine Truppen in den beiden Separationsgebieten verstärkt und Militärbasen errichtet, statt sich, wie im Waffenstillstandsabkommen von 2008 vereinbart, auf die Positionen vor dem Krieg zurückzuziehen. Und Russland behindert sogar die Europäische Union bei ihrer Friedens- und Vermittlungsarbeit.

Die EU hat Militärbeobachter in die Region geschickt. Die sollen eigentlich in dem gesamten Konfliktgebiet patrouillieren, auch in Abchasien und Südossetien. Russland aber lässt die EU-Beamten nicht auf abchasisches und südossetisches Gebiet. Georgien hat angesichts der russischen Blockadehaltung kaum Handlungsspielraum. Vielleicht, meinen die Kazalikaschwilis in Kazbegi, müsse Georgien doch besser einen Ausgleich mit Russland suchen. Nur wie, das wissen sie nicht.

"Was wird, weiß niemand."
"Solange Putin und Medwedew an der Macht sind, werden die Spannungen andauern. Und Saakaschwili. Die muss man alle drei auswechseln. Wir brauchen neue, vernünftige Leute in der Regierung, hier und dort. Wir sind doch Nachbarn. Wir müssen miteinander auskommen."

Ein Regierungswechsel ist zur Zeit jedoch unwahrscheinlich, sowohl in Georgien, als auch in Russland.

Die Meinung der Kazalikaschwilis ist typisch. Viele Georgier sind gespalten im Hinblick darauf, wie Georgien mit Russland umgehen soll. Das hat ein Forschungsinstitut im Frühsommer in einer Umfrage herausgefunden. Dass es dauerhaft so nicht weitergehen kann, ist allen klar. Georgische Oppositionspolitiker fordern seit geraumer Zeit Verhandlungen mit Russland, kaum einer der Befragten hielt das für richtig. Die Russlandpolitik ihrer Regierung begrüßten allerdings auch nur wenige. Präsident Saakaschwili und seine Vertrauten setzen nach wie vor auf Konfrontation mit dem großen Nachbarn. Saakaschwili appelliert an die EU und die westlichen Länder, Georgien gegen Russland zur Seite zu stehen. Allein sei Georgien verloren.

Dieser Ansicht ist auch Temur Jakobaschwili, der stellvertretender Premierminister:

"Die Provokationen von russischer Seite halten an. Denn wir haben mit Russland eine Besatzungsmacht auf unserem Staatsgebiet. Vor allem in Südossetien werden immer wieder Georgier entführt oder festgenommen. Wir haben auch terroristische Anschläge auf unsere Infrastruktur, auf unser Eisenbahnnetz und unsere Stromleitungen erlebt."

Vor drei Wochen gab das russische Militär bekannt, es habe Luftabwehrraketen in Südossetien und Abchasien stationiert. Auch das ein Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen von 2008. Die georgische Regierung sieht sich durch solche Schritte bestärkt. Schota Utiaschwili, Abteilungsleiter im Innenministerium Georgiens:

"Russland setzt den Krieg mit anderen Mitteln fort. Da ist immer noch der Importstopp für georgische Güter. Er gilt seit 2006. Russland war vorher der größte Markt für georgische Agrargüter. Dieser Markt ist weg. Das ist das eine. Noch schlimmer sind die militärischen Drohungen. Die Russen verbreiten die Botschaft: "Wir kommen wieder." Sie suggerieren uns: "Wenn ihr dann auf der sicheren Seite sein wollt, dann arbeitet mit uns zusammen."

Das aber will die derzeitige Regierung auf keinen Fall. Viele Mitglieder der georgischen Elite um den Präsidenten sind geprägt von den USA. Und sie wollen ihr Land so schnell wie möglich in die NATO führen. Micheil Saakaschwili selbst hat in Washington als Anwalt gearbeitet, bevor er in die Politik ging. In den USA knüpfte er Kontakte zu den Republikanern und sicherte sich die Unterstützung des damaligen Präsidenten, George W. Bush.


Auch Gogi Gakharia hat sieben Jahre in den Staaten verbracht. Nun bildet der 27jährige georgische Soldaten aus. Seine knappe Freizeit verbringt er in einer der zahlreichen Bars in der Tifliser Altstadt. Gerade lässt er einen Eiswürfel in sein Glas Gin plumpsen:

"Kein Georgier, der etwas im Kopf hat, sollte je wieder für Russland sein. Wenn wir vor zwei Jahren bereits NATO-Mitglied gewesen wären, wäre der August-Krieg nicht passiert. Die NATO ist unsere einzige Chance, wenn wir politische Stabilität, Sicherheit und Fortschritt erreichen wollen. Ich hoffe, dass sich dort ein Platz für das kleine Georgien findet. Ich hoffe das wirklich."

Zurzeit sieht es allerdings nicht danach aus. Weder die EU noch die NATO sind bereit, Georgien in absehbarer Zeit aufzunehmen.

Für den Oppositionspolitiker Zurab Noghaideli ist das Gerede über eine NATO-Mitgliedschaft deshalb auch völlig unsinnig – ein politisches Ablenkungsmanöver:

"Eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens liegt leider in sehr ferner Zukunft. Die Türen sind natürlich offen. Aber die Türen sind so weit entfernt und wir sind so schwach, dass es zurzeit unmöglich scheint, die Türen zu erreichen. Deshalb sollten wir aufhören, über diese Mitgliedschaft zu spekulieren, und uns auf grundlegende Dinge hier konzentrieren. Wir müssen zuerst Georgien stabilisieren. Da geht es um Demokratie, um eine unabhängige Justiz. Darauf müssen wir uns konzentrieren."

Zurab Noghaideli war mal Premierminister unter Saakaschwili. In seinem Büro in einem Tifliser Villenviertel hängt eine ganze Wand mit Bildern aus der Zeit: Noghaideli mit Condoleeza Rice, Noghaideli mit George Bush, Noghaideli immer wieder mit Saakaschwili. Vor drei Jahren stieg er aus der Regierung aus, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Mittlerweile leitet Noghaideli eine Oppositionspartei. In den letzten Monaten war er mehrfach in Moskau. Er möchte Verhandlungen:

"Ich will Georgien die Chance für eine Wiedervereinigung mit Abchasien und Südossetien eröffnen. Seit dem Krieg im August 2008 ist klar, dass die konfrontative Politik gegenüber Russland dazu führt, dass die Landesteile sich noch weiter voneinander entfernen, anstatt sich einander anzunähern. Natürlich müssen wir zuallererst mit den Abchasen und den Südosseten verhandeln. Dazu aber müssen wir Russland einbeziehen."

Noghaideli hat in Moskau diverse Regierungsvertreter getroffen und sogar eine Kooperationsvereinbarung mit der Putin-Partei "Einiges Russland" unterzeichnet. Die russische Regierungspartei ist nicht gerade für ihre demokratische Vielfalt berühmt. Bei vielen Georgiern weckt Noghaidelis Vorstoß denn auch Misstrauen. Viele meinen, er werde von Russland bezahlt. Noghaideli weist diese Vorwürfe zurück. Aber wer seine Partei finanziert, will er auch nicht sagen:

"Es gibt Gott sei Dank noch einige Leute, die Veränderungen im Land wollen. Sie können das nicht öffentlich tun, denn dann würden sie ihr unternehmerisches Fortkommen, sogar ihr Leben, auf jeden Fall aber ihre Freiheit riskieren. Deshalb kann ich ihre Namen nicht nennen."

Während sich die Politiker streiten, versuchen einige Georgier, ihr Auskommen mit den Russen zu finden. Ausgerechnet die, die wegen des russischen Angriffs alles verloren haben.

Besuch in der Flüchtlingssiedlung Tserowani, etwa eine halbe Stunde von der Hauptstadt Tiflis entfernt. 6.500 Menschen leben hier, georgische Vertriebene des Krieges vor zwei Jahren. Alles ist neu: exakt 2002 Häuser, die Gemeindeverwaltung, die Polizei- und die Krankenstation, die Schule mit Turnhalle und der Kindergarten. Etwa zwanzig Kinder sitzen im Kreis, strecken die Arme zum Gesang mal nach rechts, mal nach links aus, mal in die Höhe. Eigentlich wollen die Vertriebenen zurück. Ihre Häuser stehen nur 30 Kilometer entfernt. Aber dort ist seit dem Krieg die russische Armee. Und die macht keine Anstalten, sich zurückzuziehen.

Tengiz Miaragov sitzt mit seinen Nachbarn in einem der identischen Häuser. Er holt eine Handvoll Äpfel aus dem Schlafzimmer. Ernte aus dem eigenen Garten in Akhalgori, im russisch kontrollierten Südossetien. Auch Miaragov ist von dort geflohen; seine Mutter lebt dort noch. Und er besucht sie. Das geht. Er hat sich bei den Russen in Akhalgori einen entsprechenden Passierschein besorgt:

"Ich will ehrlich sein. Es wäre eine Lüge, wenn ich sagen würde, dass wir in Akhalgori misshandelt werden. Wer Papiere hat, kann hinüberfahren und auch wieder zurück."

Auch Davit Balaschwili hat noch eine Mutter in Akhalgori und fährt regelmäßig hinüber, in das von Russen besetzte Gebiet, um nach dem Rechten zu schauen. Die Russen würden ihn korrekt behandeln, sagen beide. So gibt es jenseits der georgisch-russischen Propaganda wenigsten im Alltag ein paar Erleichterungen für die Menschen. Davit Balaschwili hat einen alten Golf. Damit fährt er Taxi:

"Die Russen behandeln uns nicht schlecht. Okay, sie überprüfen die Papiere und das Auto. Aber wenn die Papiere in Ordnung sind, winken sie einen durch. Mir haben sie sogar noch eine gute Fahrt gewünscht. Natürlich ist es kein Zustand, wenn du in dein Dorf fährst, in dein eigenes Haus, und ein Fremder dich fragt, was du dort willst. Aber was sollen wir tun? Russland ist unser Nachbar. Niemand kommt ohne seinen Nachbarn aus."

Mittlerweile gibt es eine zarte Annäherung aus Russland. Nach vier Jahren nehmen beide Länder in diesen Tagen Linienflüge zwischen Moskau und Tiflis wieder auf.
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